Energiewende: Den „Blutkreislauf der Gesellschaft“ neu erfinden

Energiewende: Den „Blutkreislauf der Gesellschaft“ neu erfinden

Ich treffe Prof. Reinhard Steurer in einem hellen Zimmer zwischen Türkenschankpark und den mit kleinen Plaketten betitelten Bäume, die auf dem Gelände der BOKU wachsen. An einem ungewöhnlich sonnigen Novembertag sprechen wir über Klimapolitik, Donald Trump und die Zukunft.

Interview mit Prof. Reinhard Steurer am 22.11.2016.

Klimareporter.in: Sie sind assoz. Professor an der BOKU am Institut für Wald-, Umwelt- und Ressourcenpolitik und kommen aus der Politikwissenschaft. Was sind ihre Forschungsschwerpunkte?
Reinhard Steurer: Ich arbeite hauptsächlich zu nachhaltiger Entwicklung, Klimawandel und Klimapolitik, wobei letztere neuere Schwerpunkte sind. Hier geht es um die Frage, wie der Klimawandel vermieden werden kann, und seit einigen Jahren auch immer mehr um Anpassung an den Klimawandel – also darum wie wir den vom Klimawandel verursachten Veränderungen begegnen sollen.

Klimareporter.in: Glauben Sie, dass die Lösung in der Politik liegt oder mehr in der Einzelperson?
Reinhard Steurer: Ich glaube die Antwort ist kein Entweder-oder. Nur wenn die ganze Welt Treibhausgase reduziert, lässt sich der Klimawandel aufhalten. Um das zu erreichen muss die Politik den Einzelnen starke Anreize für klimafreundliches Verhalten geben.

Klimareporter.in: Was sind die größten Interessenkonflikte bei der Beschließung internationaler (Umwelt-)abkommen?
Reinhard Steurer: International sind traditionell die Konflikte zwischen reicheren und ärmeren Ländern von besonderer Bedeutung. Im Speziellen gibt es Reibungen zwischen den USA und China. Das kann sich in Zukunft noch zuspitzen, weil der künftige US-Präsident Donald Trump angekündigt hat, aus dem Pariser Abkommen aussteigen zu wollen. Wenn das wirklich umgesetzt wird, ist das ein Rückschritt von mehreren Jahrzehnten. Der Standpunkt der USA ist somit sehr klar: Wirtschaftswachstum um jeden Preis, auch wenn es mehr CO2- Ausstoß bedeutet. Die chinesische Regierung hat immerhin angekündigt, das Pariser Abkommen einhalten zu wollen. China hat auch nationales Interesse an Umwelt- und Klimaschutz-Maßnahmen.

Klimareporter.in: Und welche Rolle spielt Österreich dabei? Wie beurteilen Sie die Entwicklung der österreichischen Klimapolitik?
Reinhard Steurer: Leider überwiegend negativ. Bisher war die österreichische Regierung vor allem rhetorisch gut, aber abgesehen von einem umfassenden Einkauf von CO2-Zertifikaten ist in den letzten Jahren nur wenig passiert. Vor dem EU-Beitritt galt Österreich als Umwelt-Musterland. Damals hat man befürchtet, die EU könnte Österreichs Umweltpolitik gefährden. Mittlerweile kommen alle Impulse zur Österreichischen Klimapolitik von der EU. Österreich folgt nur noch EU-Anforderungen ohne eigene Akzente zu setzen und wird stark gefordert sein, die Ziele für 2020 und 2030 zu erreichen. Spätestens für das 2030-Ziel braucht es einen radikalen Wandel in der österreichischen Klimapolitik, weg von „Freikaufen“ mittels Zertifikaten, hin zu deutlichen CO2-Reduktionen im Inland.

Klimareporter.in: Wie könnte dieser Wandel erreicht werden?
Reinhard Steurer: Wir stehen vor einer großen gesellschaftlichen Umwälzung, vergleichbar mit der Industriellen Revolution. In den nächsten Jahrzehnten geht es um die Umstellung der Energieversorgung von fossilen auf erneuerbare Energieträger. Das ist keine Kleinigkeit, sondern so als hätte die Gesellschaft einen Blutkreislauf der nun auf eine neue Basis gestellt werden muss. Eine Schlüsselmaßahme wäre in diesem Zusammenhang, Fossilenergie deutlich zu verteuern und gleichzeitig erneuerbare Energien zu fördern. Im Moment übersteigen alle direkten und indirekten Subventionen für Fossilenergie (also mangelnde Kostenwahrheit) jene für erneuerbare Energien.

Klimareporter.in: Sind sie optimistisch was die Machbarkeit dieses Wandels betrifft?
Reinhard Steurer: Ich glaube dieser Wandel wird über kurz und lang passieren müssen, aber es wird viel länger dauern als in Paris in Aussicht gestellt. Im Laufe von 50 Jahren und mehr werden wir die Abhängigkeit von Fossilenergie hoffentlich deutlich zurückgedrängt haben. Es wird aber vermutlich nicht reichen, um die Erwärmung auf 2 Grad zu beschränken sondern eher auf das Doppelte hinauslaufen. 

Klimareporter.in: Was würde eine Erwärmung von 4 Grad bedeuten?
Reinhard Steurer: Ich bin kein Klimawissenschafter, aber eine so deutliche Erwärmung wird wohl unkalkulierbare Folgen und enorme Risiken mit sich bringen. Einige Phänomene, so zum Beispiel der Anstieg des Meeresspiegels, lassen sich sehr genau berechnen und vorhersagen. Andere Auswirkungen, wie etwa extreme Wettererscheinungen (vor allem Dürreperioden und Überschwemmungen) sind jedoch sehr unsicher und regional sehr unterschiedlich. Laut Berechnungen des Ökonomen Stern ist jedenfalls zu erwarten, dass die Kosten der Klimawandel-Folgen die Kosten für eine Vermeidung des Klimawandels deutlich übertreffen werden. Das politische Problem besteht darin, dass die Kosten für die Vermeidung jetzt entstehen und jene der Klimawandel-Folgen in mehr oder weniger ferner Zukunft. Was liegt Politikern mit Blick auf den nächsten Wahltermin wohl näher?

Klimareporter.in: Was ist ihre Definition von „nachhaltig“? Glauben Sie an Green Growth?
Reinhard Steurer: Hinter dem Begriff „nachhaltig“ verstecken sich sehr verschiedene Auffassungen. Diese reichen von Nachhaltigkeit durch mehr Wachstum bis hin zu Nachhaltigkiet durch weniger bzw. kein Wachstum (bzw. „Degrowth“). Mein bevorzugter Ansatz ist: sorgen wir für umwelt- bzw. klimafreundliche Konsum- und Produktionsmuster, dann werden wir sehen was das fürs Wachstum bedeutet. Die Idee einer „Green Economy“ sollte genau darauf abzielen: in erster Linie die Wirtschaft umweltfreundlich gestalten. In der Realität beobachte ich allerdings eher ein Streben nach  „Green Growth“, also weiterem Wachstum das möglichst umweltfreundlich sein sollte.

Klimareporter.in: Haben die Entwicklungsländer ihrer Ansicht nach weniger Verantwortung, dem Klimawandel entgegen zu wirken?
Reinhard Steurer: Nein, ich finde, alle stehen in der Verantwortung, klimaschützende Maßnahmen zu ergreifen, denn andernfalls sind selbst 4 Grad Erwärmung unerreichbar. Dennoch betrifft dies natürlich am allermeisten diejenigen, die pro Kopf die meisten Emissionen verursachen, also zum Beispiel die USA und ölfördernde Länder. In Entwicklungsländern findet man extrem niedrige pro Kopf Emissionen. Es geht hier also weniger um die Senkung derselben, sondern vielmehr darum, dass diese mit zukünftiger Entwicklung nicht weiter steigen. Das bedeutet, dass diese Länder das fossile Zeitalter überspringen müssen. Wir können uns nicht leisten, dass Entwicklungsländer in den nächsten Jahrzehnten dieselbe Entwicklung durchlaufen wie die heutigen Industrieländer. Wie wir beim Telefonwesen in Afrika sehen, ist ein derartiger technologischer Sprung möglich: dort wurde das Zeitalter des Festnetzes übersprungen und gleich die Mobiltelefonie etabliert. Wenn erneuerbare Energien attraktiv und billig genug sind, dann sollte das auch in der Energieversorgung gelingen. Anzeichen dafür gibt es bereits. Hierbei sind natürlich die reicheren Staaten gefordert, die nötige Unterstützung zu bieten. Im Paris-Abkommen ist diese Unterstützung im Moment mit 100 Mrd. $ im Jahr vorgesehen. Jetzt muss das und vieles andere nur noch umgesetzt werden. Diese Umsetzung wird sehr schwer werden und uns noch lange beschäftigen.