Bam, oida!

Bam, oida!

Vor Kurzem schwirrte die stolze Neuigkeit, die eigentlich schon lange von gestern ist, zum zehnten Mal durch die Medien: Wien ist die lebenswerteste Stadt der Welt. Das liegt zum Beispiel an der guten Infrastruktur, der hohen Wohnqualität, der Vielzahl an Kultur- und Freizeitangeboten und der niedrigen Kriminalitätsrate. Auch über die Grünräume der Stadt hört man meist nur Gutes – Wien sei eine grüne Stadt, heißt es immer wieder. Wenn man an einem heißen Sommertag über Hotspots wie die Alserstraße oder den Schwarzenbergplatz geht, merkt man davon allerdings nur wenig.

Doch wie hängen diese Beobachtungen nun mit den Forderungen nach mehr Grün in der Stadt zusammen? Welche Probleme sind damit verbunden? Und was hat all das eigentlich mit dem Klimawandel zu tun?

Grünflächen und Grauzonen

Dichte Häuserreihen, verbaute Flächen und überall künstliche Baustoffe wie Asphalt und Beton – was von manchen vielleicht als urbanes Flair empfunden wird, ist auch der Grund dafür, dass sich das Klima in Städten sehr stark von dem ihrer Umgebung unterscheidet. Dieses Phänomen wird meist als Urban Heat Island-Effekt bezeichnet. Von den allgemein durch den Klimawandel steigenden Temperaturen wird es noch weiter verstärkt. Die Bäume und Grünflächen, die diesem Effekt entgegenwirken sollen, nennt man grüne Infrastruktur.

Wenn es in der Stadt regnet, hindern die künstlichen Baustoffe das Wasser daran, im Boden zu versickern – es fließt sofort an der Oberfläche in die Kanalisation ab. Scheint dann wieder die Sonne, steht das Wasser nicht mehr zur Verdunstung zur Verfügung und die Sonnenenergie wird von der Bausubstanz, also den Gebäuden und Straßen, die sich stark aufheizen, aufgenommen. Am Abend, wenn die Luft endlich abkühlen würde, gibt die Bausubstanz die gespeicherte Wärme wieder ab und die Lufttemperatur sinkt nur sehr langsam.

Von grünen, nicht versiegelten Flächen wie Parks, Grünstreifen oder auch begrünten Dächern kann das Niederschlagswasser hingegen aufgenommen und im Boden gespeichert werden. Trifft dann die Strahlungsenergie der Sonne auf den Boden, verdunstet das Wasser. Dabei ändert es seinen Aggregatzustand von flüssig zu gasförmig, wofür sehr viel Energie benötigt wird. Wenn es jedoch kein Bodenwasser gibt, das verdunstet werden kann, erwärmt die Sonnenstrahlung stattdessen die Oberflächen der Häuser, Straßen und Plätze, und damit auch die Luft in ihrer Umgebung. So kommt es zur Entstehung der typischen dicken Luft, die wir im Sommer in den meisten Städten zu spüren bekommen.

Auch bei Starkregenereignissen, die durch den Klimawandel immer häufiger werden, sind unversiegelte Böden, die Wasser aufnehmen können, sehr wichtig. Auf asphaltierten, versiegelten Flächen fließt das Niederschlagswasser immer oberflächlich ab und gelangt dann in die Kanalisation, die durch die großen Wassermengen überlastet ist.

Bodenversiegelung

Von einem versiegelten Boden spricht man, wenn ein Boden mit einer wasserundurchlässigen Schicht bedeckt ist. Das kann zum Beispiel Asphalt, Beton oder Pflasterstein sein. Dadurch verliert der Boden seine natürlichen (klimatischen, Filter-, Wasserspeicher-, Lebensraum-, …) Funktionen. Das Problem an dem Verbrauch von Flächen durch Versiegelung ist, dass Boden ein nicht vermehrbares bzw. endliches Gut ist – ein einmal versiegelter Boden kann nur sehr schwer wieder nutzbar gemacht werden. Österreich ist jenes Land, das in Europa mit 12,9 Ha am meisten Fläche pro Tag verbraucht (Stand 2017).

Träumen von mehr Bäumen

Bäume zählen zu den effektivsten Bestandteilen der grünen Infrastruktur, doch Baumpflanzungen sind in Städten ein eher schwieriges Thema. Gerade in den inneren Bezirken in Wien stoßen stadtplanerische Einrichtungen wie die MA 18 auf das Problem einer sehr dichten Bebauung, an der kaum etwas verändert werden kann.

Dazu kommt, dass es sehr teuer ist, in der Stadt einen Baum zu pflanzen. Bäume brauchen nämlich ungefähr so viel Erdreich für ihre Wurzeln wie das Volumen ihrer Krone. Um diese Wachstumsbedingungen zu schaffen, muss nicht nur der asphaltierte Boden aufgerissen werden, es müssen auch all die Kabel, Leitungen und Rohre, die unter den Asphaltflächen verlaufen, neu verlegt oder umgeleitet werden. Das kostet.

Ein weiteres Hindernis für Maßnahmen wie Baumpflanzungen, Fassaden- und Dachbegrünung oder die Beruhigung von Verkehrsstraßen sind häufig politische Interessen. Um Straßen oder Plätze auf diese Weise umzugestalten, müssen andere Arten der Raumnutzung wie der Autoverkehr zurückgestuft werden. Auf die Vorstellung, noch weniger Parkplätze oder noch mehr Fußgängerzonen in ihrem Alltag vorzufinden, reagieren leider viele Menschen empfindlich und oft zaudern politische Handlungstragende mehr als nötig, aus Angst, WählerInnenstimmen zu verlieren. Gerade deshalb ist es wichtig, Bewusstseinsbildung über den Klimawandel und die Anpassung daran zu betreiben. Menschen, die über Strategien zur Klimawandelanpassung aufgeklärt wurden, nehmen entsprechende Maßnahmen deutlich positiver wahr und sehen in einem neu gepflanzten Baum keinen Parkplatzdieb, sondern ein Zeichen für eine höhere Lebensqualität.

(Urban Heat) Island in the Sun

Neben einer besseren grünen Infrastruktur gibt es noch einige andere Maßnahmen, die kühlere Städte schaffen; sie sind in der untenstehenden Abbildung zusammengefasst.

Als blaue Infrastruktur bezeichnet man beispielsweise Wasserflächen (also Brunnen oder Teiche, aber auch Flüsse) in der Stadt. Durch die Möglichkeit, Wasser zu verdunsten, wirken sie sehr ähnlich wie die grüne Infrastruktur. Sehr wichtig ist auch eine energieeffiziente Bauweise. Damit ist gemeint, dass einerseits Häuser gut gedämmt und mit energieeffizienten Vorrichtungen wie beispielsweise Außenjalousien ausgestattet werden. Auch Dach- und Fassadenbegrünung sind sehr effektive Maßnahmen, die sowohl das Innenraum- als auch das Umgebungsklima von Häusern angenehmer machen. Andererseits können Straßen und Plätze auch energieeffizienter gestaltet werden, indem helle, die Sonnenstrahlung reflektierende Materialien für ihre Oberflächen verwendet werden.

Maßnahmen wie diese waren in unseren Breiten bis jetzt nur bedingt notwendig. In griechischen, spanischen oder auch italienischen Städten sind helle Fassaden und Plätze, große Brunnenanlagen oder kühlende Baustoffe jedoch seit Langem selbstverständliche Bestandteile des Stadtbildes. Von solchen südlichen Städten könnte sich Wien sicherlich Einiges abschauen. Denn auch wenn viele Stadtbewohnende gerade im Sommer besonders reif für die Insel sein mögen – mit der Karibik können die städtischen Wärmeinseln nun einmal nicht mithalten.

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Abbildung 1: Maßnahmen gegen die Urban Heat Islands (Quelle: Mohajerani et al. 2017: 528)

Wo in Wien die Ideen sprießen

Ein sehr wichtiges Stadtentwicklungsprojekt in Wien ist die Seestadt, die bis 2028 fertiggestellt werden soll. In der Planung dieses neuen Stadtteils im 22. Bezirk wird Radfahrer- und FußgängerInnenmobilität groß geschrieben, und das Areal soll zudem von ausreichend Grünräumen durchzogen sein. Ein weiteres aktuelles Projekt im 7. Bezirk ist die Umgestaltung der Zieglergasse – dort sollen zahlreiche Bäume gepflanzt und der Verkehr beruhigt werden. Außerdem sollen öffentliche Räume geschaffen werden, die zum Verweilen einladen. Bereits ausgewachsen ist das Projekt Mariahilferstraße. Trotz der zahlreichen KritikerInnen im Vorfeld wird kaum jemand leugnen, dass es sich in einer Begegnungszone mit Bäumen deutlich besser verweilen lässt als auf einer dicht befahrenen Straße. Außerdem gibt es noch viele andere Bereiche wie den Nordbahnhof, den Matzleinsdorferplatz oder den Reumannplatz, in denen sich Wien aktuell verändert. Eine Liste mit weiteren verschiedenen Vorhaben ist auf der Website der Stadt Wien einsehbar.
Zudem gibt es im Zeitraum von 2018 bis 2020 eine Ausstellung zum Thema Stadtentwicklung, die aktuell in der Seestadt besichtigt werden kann.

Ob Wien aus diesem Blickwinkel betrachtet immer noch die lebenswerteste Stadt der Welt ist, bleibt dahingestellt. Doch auch wenn aktuell häufig noch Asphalt, Autos und Abgase dominieren, gibt es viele Orte, an denen sich in Wien etwas tut.

Auf der Website der Ausstellung zur Stadtplanung in Wien gibt es die Möglichkeit, interaktiv den Satz
“Mein Grätzl braucht mehr …” zu beenden. Meine Antwort? “… Bam, oida!



zum Weiterlesen:

Smart City Wien
Bodenversiegelung

Sonstige Quellen

Mohajerani, Abbas; Bakaric, Jason & Jeffrey-Bailey, Tristan (2017): The urban heat island effect, its causes, and mitigation, with reference to the thermal properties of asphalt concrete. In: Journal of Environmental Management. Bd. 197. S. 522–538

Stadtentwicklung Wien (2018): Fortschreibung Masterplan. Stand der Planung 2017. wien 3420 aspern development AG. Wien: agensketterl

wien.info (Titelbild)