Dumpstern – Essen aus der Tonne

Dumpstern – Essen aus der Tonne

Für die einen ist es gesetzeswidriger Unfug, für die anderen eine Maßnahme gegen sinnlose Verschwendung – Dumpstern scheidet die Geister. Es geht darum, Mülltonnen von Supermärkten nach genießbaren Lebensmitteln zu durchsuchen und zu verwerten.  Und darum, ein politisches Zeichen zu setzen. Klimareporter.in hat mit Mike gesprochen, einem begeisterten Dumpsterer in Wien.

Autorin: Lisa Kiesenhofer

Mittwoch Nachmittag im 21. Wiener Gemeindebezirk. Hier wohnt Mike, ein begeisterter Dumpsterer. Er ist es schon lange Zeit gewohnt, von wenig Geld zu leben. Mittlerweile ist er in Rente und bekommt nur die Mindestpension. “Ich seh es einfach nicht ein, dass hier Essen, das noch gut ist, weggeschmissen wird, und ein paar 1000 Kilometer weiter verrecken die Leute. Für mich ist das in erster Linie Protest”, erklärt der Wiener, der seit zwei Jahren Abfall-Container nach Verwertbarem durchsucht. Das Dumpstern hat für ihn auch einen positiven Nebeneffekt: eine Unmenge an Lebensmittel zum Nullpreis. Essen kauft sich Mike fast nie, er hat das meiste aus dem Container. Lebensmittel, die er sich früher nie gekauft hätte, weil sie ihm zu teuer waren, fischt er jetzt gratis aus der Tonne.

Ein rechtlicher Graubereich

In Österreich ist die rechtliche Lage nicht ganz geklärt. Um an die Lebensmittel in den Tonnen zu kommen, muss man meistens zuerst in den Müllraum des Supermarktes kommen – hier gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich Zugang zu verschaffen, nicht alle sind legal. Viele argumentieren aber nicht nur mit Einbruch, sondern auch mit Diebstahl. Im österreichischen Gesetz gilt Müll als eine herrenlose Sache, also wäre hier prinzipiell nichts einzuwenden. Beschädigt man jedoch etwas (z.B. Schlösser aufbrechen, hinterlassenes Chaos im Müllraum,…), kann man wegen Sachbeschädigung bestraft werden. Die meisten Dumpsterer, erklärt Mike, haben einen Schlüssel, der bei fast allen Müllräumen der Supermärkte sperrt.  Es sei zwar relativ einfach, an diesen Schlüssel zu kommen, ausdrücklich erlaubt ist das Nachmachen des Schlüssels aber nicht. Fazit: Man befindet sich rechtlich in einer Grauzone.

Für Mike ist diese Zone maximal hellgrau – weil das Dumpstern, wie er sagt, aus ethischer Sicht gerechtfertigt ist. Er hatte mit den Behörden und einigen Marktleitern von verschiedenen Supermärkten schon Kontakt und meistens verliefen diese Begegnungen positiv. „Es hat sogar Filialleiter gegeben, die mir die Produkte geschlichtet in einen Einkaufswagen in den Müllraum gestellt haben“, sagt Mike. Dumpsterer, die sich fürchten, versteht er nicht. Für Mike gilt: “Sachen, die keinen Wert haben, kann man nicht stehlen. Bis jetzt habe ich nur von vier Fällen gehört, die eine Anzeige erhalten haben. Die wurden aber alle fallen gelassen, bevor sie überhaupt vor Gericht gingen.”

Dumpster-Tour mit Mike und Günther

Seit einigen Jahren ist das Dumpstern auch in Wien angesagt. Doch der anfängliche Boom ist mittlerweile wieder etwas abgeklungen. Was Mike und seinem Dumpster-Freund Günther ganz gelegen kommt: “Man muss sich halt beim Dumpstern auch anständig verhalten. Ich hab einmal von einem Fall gehört, wo sich Leute im Müllraum eine Joghurtschlacht geliefert haben – das geht natürlich nicht. Aber diese Probleme gibt es jetzt gottseidank nicht mehr”.  Die beiden Lebensmittelretter sind oft gemeinsam unterwegs. Bei einer Dumpster-Runde kommen sie meist bei sechs bis acht Spots vorbei. Und so eine Tour rentiert sich: Allein letzten Samstag fischte Mike mit einer Kollegin dreizehn Bananenschachteln voll mit Lebensmitteln aus den Containern.

Weil er so viel Lebensmittel allein meist nicht verarbeiten kann, verschenkt Mike Teile seine Beute. “Früher bin ich regelmäßig dumpstern gegangen und hab sogar Bestellungen von Leuten angenommen. Weil die Abholer aber immer seltener wurden, gehe ich heute nur mehr auf Anfrage”, erklärt der Mindestpensionist. Auch über Facebook hat sich in den letzten zwei Jahren eine große Dumpstercommunity aufgebaut. Viele Dumpsterer haben nach einer Tour dasselbe Problem wie Mike: zu viel Lebensmittel.

Die Lösung: Foodsharing. Hauptsächlich über Facebook vernetzen sich Leute, um übriggebliebene Lebensmittel an andere Leute weiterzuverteilen. Auch Mike begeistert sich für Foodsharing. Er bringt seine übriggebliebenen Lebensmittel zu einem Platz namens Fair-Teiler. Es gibt in fast jedem Bezirk einen Fair-Teiler-Foodsharing-Plätzen. Sie sind ein einfacher Weg, gerettete Lebensmittel sinnvoll weiterzuverschenken.  “Wer dumpstern geht, muss halt auch das Hirn einschalten“, sagt Mike: „Die Sachen, die man aus den Mülltonnen nimmt, müssen eben verwertet werden. Sinn der Sache ist ja, dass kein Lebensmittel verkommt.”

Fotocredits: Mike Riegler