Friedhöfe oder letzte Ruhestätten sind Teil einer jeden Stadt, eines jeden Dorfes. Bei Begräbnissen und an Feiertagen wie Allerheiligen nimmt man dort von geliebten Menschen Abschied oder gedenkt ihrer. Im Allgemeinen verbindet man mit Friedhöfen Tod und Trauer. Selten sieht man sie als Orte voller Leben, obwohl sie genau das sein können. Friedhofsbesucher*innen und auch Verwaltungen können Friedhöfe mit ein paar einfachen Maßnahmen umweltfreundlich und als wertvolle Lebensräume gestalten.
Friedhöfe können wahre Hotspots der Artenvielfalt sein, vor allem in Städten. Laut Naturschutzbund sind sie vor allem aufgrund ihrer großen Strukturvielfalt wertvolle Lebensräume für Pflanzen und Tiere. Das bedeutet, dass viele unterschiedliche Standorte nebeneinander existieren: kleine Wiesenflächen, dazwischen Blumen und Sträucher auf den Gräbern, daneben eine alte Friedhofsmauer oder hohe Bäume. Eine 2019 veröffentlichte Metastudie, bei der 97 Studien aus fünf Kontinenten ausgewertet wurden, zeigte, dass Friedhöfe eine wichtige Rolle beim Naturschutz spielen. Trotz massiver Landnutzungsänderungen bleiben sie wichtige, beständige Rückzugsgebiete, unter anderem für seltene und gefährdete Arten. Die Vogelschutz-Organisation Birdlife fand in einem Friedhof-Projekt beispielsweise heraus, dass neben häufigen Vogelarten wie Amsel und Kohlmeise auch Girlitz, Bluthänfling, Blutspecht und Halsbandschnäpper nachgewiesen werden konnten. Diese Arten sind auf der Birdlife-Ampelliste allesamt als “gelb” eingestuft.
Ein anderes Beispiel ist der Europäische Feldhamster: er gehört zu den streng geschützten Tierarten und wird auf der Roten Liste als “gefährdet” eingestuft. Doch der Feldhamster erobert urbane Lebensräume und Friedhöfe gleich mit! Am Wiener Zentralfriedhof scheint er sich besonders wohlzufühlen:
Doch die Autor*innen der Metastudie identifizierten allerdings auch diverse Bedrohungen für den Lebensraum Friedhof: Die intensivere Bewirtschaftung der Flächen, die Änderung der Bestattungsgewohnheiten vielerorts, die Einführung nicht heimischer Arten durch den Menschen und der allgegenwärtige Ressourcenverbrauch machen Fried- und Kirchhöfen zu schaffen. Eine „Änderung der Bestattungsgewohnheiten“ ergibt sich insofern, als dass sich immer mehr Menschen für eine Feuer- und gegen eine Erdbestattung im Sarg entscheiden. Dadurch werden Flächen frei: Flächen, die Tier- und Pflanzenarten Schutz bieten können, mit denen aber bisweilen auch spekuliert wird. Friedhöfe gehören, neben Parks, oft zu den einzigen unverbauten Orten in einer Stadt – Grund genug für Bauträger*innen, ihr Interesse zu äußern. Unter anderem wird in Berlin bereits Friedhofsfläche umgewidmet, zu gering ist der Bedarf an neuen Gräbern.
Seit 2021 läuft zudem ein Forschungsprojekt der Universität und der Wiener Friedhöfe GmbH namens Biodiversität am Friedhof (BaF). Gemeinsam mit Friedhofsbesucher*innen wollen die Forschenden eine umfassende Bestandsaufnahme der Artenvielfalt auf österreichischen Friedhöfen durchführen. Dafür sollen Tier- und Pflanzenarten bestimmt und gezählt, Biotopkarten angelegt und Kartierungen durchgeführt werden.
In einem Video auf ServusTV erzählt Thomas Filek, Wildtierbiologe und Gründer des BaF-Projekts, von einem Kreislauf der Natur, der so in der Stadt einzigartig ist: je diverser ein Areal ist, umso diverser sind die Arten. Dort wo sich Insekten befinden, befinden sich auch oft Vögel. Wo Vögel sind, sind andere Beutegreifer wie beispielsweise Marder und andere Säugetiere nicht weit. Vor allem der Zentralfriedhof in Wien ist besonders. Dort gibt es ein eigens angelegtes Naturareal: einen unberührten Wald, einen Teich mit Schilfgürtel und eine Totholzecke. Außerdem finden sich dort auch Naturgräber, die auf Grabsteine verzichten.
Dabei sind Grabsteine per se nichts Schlechtes: Steine mit rauer Oberfläche bieten Flechten und Moosen einen Ort, an dem sie wachsen können, wenn man es nur zulässt. Allerdings werden Grabsteine oft unter menschenunwürdigen Bedingungen mittels Kinderarbeit im Globalen Süden abgebaut. Laut dem Verein Aktiv gegen Kinderarbeit spricht die indische Kinderrechtsorganisation Bachpan Bachao Andolan von etwa 100.000 Kindern, die allein in Indien in Steinbrüchen und Ziegeleien arbeiten. Das Schleppen der Steine, der viele Staub und hohe Temperaturen machen sich bemerkbar: die Lebenserwartung dieser Kinder liegt bei 30-40 Jahren. Mittlerweile gibt es Siegel wie XertifiX und Fair Stone, die garantieren sollen, dass die zertifizierten Steine ohne Kinderarbeit und unter Einhaltung von Umweltstandards abgebaut wurden.
Nicht jeder Friedhof kann ein eigenes Naturareal anlegen. Broschüren, wie die der Diözese Linz, zeigen, wie ein Friedhof dennoch nachhaltig bewirtschaftet werden kann. Friedhofsverwalter*innen, die die Artenvielfalt erhöhen möchten, sollten etwa von übermäßigen Mähen und dem Streuen von Salz im Winter absehen. Das Anbringen von Nistkästen und ein Schneiden der Bäume nur außerhalb der Brutzeiten von Vögeln und Eichhörnchen fördern hingegen die Artenvielfalt. Doch die Biodiversität am Gelände sollte nicht der alleinige Fokus sein: Das Müllaufkommen auf Friedhöfen, vor allem rund um Allerheiligen ist massiv: laut eines Artikel von der Standard-Zeitung entsorgen die 46 Wiener Friedhöfe dann etwa 70 Tonnen Grablichtmüll anstatt der 20 Tonnen, die durchschnittlich pro Monat anfallen. Insgesamt fallen 8000 Tonnen Friedhofsmüll pro Jahr an. Laternen aus Glas und passende Nachfüllpackungen für Kerzen können Abhilfe schaffen.
Wer als Friedhofsbesucher*in die Gräber von Verstorbenen nachhaltig gestalten und zu einem lebendigen Friedhof beitragen möchte, wird in Broschüren wie die der Diözese Graz-Seckau fündig:
Grabgestaltung:
Mehrjährige, heimische Pflanzen bieten Insekten und Vögeln Schutz und Nahrung, alte Mauern sind Rückzugsorte für Eidechsen. Eine Mischung aus Kleingehölzen, Stauden, bodendeckenden Pflanzen und Frühjahrsblühern sorgt für eine besonders hohe Artenvielfalt. Bei der Pflege des Grabes sollten außerdem keine Blumenerde mit Torf und keine chemischen Herbizide verwendet werden.
Müllvermeidung:
Auf Einwegkerzen in Plastikverpackungen sollte ebenso verzichtet werden wie auf Grabschmuck aus Kunststoff. Außerdem ist eine richtige Mülltrennung essentiell: die weitverbreiteten LED-Grablichter werden von vielen Menschen im Restmüll entsorgt, doch das ist falsch: Batterien und Akkus gehören in die Problemstoffsammlung.
Zertifizierte Grabsteine:
Wer sichergehen möchte, keinen Grabstein zu kaufen, der durch Kinderarbeit abgebaut wurde, schaut sich am besten die folgenden Siegel & Zertifizierungen an: XertifiX (Plus) und Fair Stone. Auf Siegelklarheit.de werden die Anforderungen an Produzent*innen zusammengefasst. Zum Teil schleifen Steinmetze auch bereits genutzte Grabsteine ab und bieten sie zur Wiederverwendung an.
Bestattung:
Mittlerweile gibt es einige Alternativen zu den bei uns gängigen Feuer- und Erdbestattungen: Friedwälder, See- und Luftbeisetzungen oder gar Särge aus Pilzen. Wie genau diese lebendigen Särge funktionieren und wie nachhaltig sie sind, hat sich Klimareporter.in hier angesehen.
Titelbild: Manuel Stigger – BaF