Auf Social Media trendet der „Underconsumption Core“ (dt: Unterkonsum-„Trend”): Möglichst wenig kaufen, Produkte bis auf den letzten Tropfen aufbrauchen und Kaputtes reparieren, statt es zu ersetzen. Doch steckt dahinter eine nachhaltige gesellschaftliche Veränderung oder doch nur ein weiterer kurzlebiger Hype?
Konsumrausch ohne Grenzen
Überkonsum wird seit Jahren glorifiziert: Auf TikTok und Instagram zeigen Influencer*innen in wöchentlichen Try-On-Hauls ihre neuen Outfits. An Black Friday stürmen Menschenmassen in die Geschäfte, um Produkte zu kaufen, die sie nicht brauchen – hauptsache sie sind im Angebot. Das Kaufen und Anhäufen immer neuer Dinge scheint ein Instinkt geworden zu sein. Neben Ordnung und Geldbeutel schadet übermäßiger Konsum aber vor allem einem: dem Planeten.
Antikonsum statt Überkonsum
„Im sogenannten globalen Norden, also in den reicheren Ländern, hat das Konsumverhalten seit vielen Jahrzehnten solche Außenmaße angenommen, dass wir die Ressourcen unserer Erde stark überausschöpfen,“ erklärt Siv-Ann Lippert. Sie ist Geografin und Geschäftsführerin des Bildungs- und Beratungsvereins Zukunftgestalten e.V., der eine nachhaltige Entwicklung fördern möchte. Der momentan angepriesene Trend des bedachten Konsums rege vor allem dazu an, das zu nutzen und zu schätzen, was man bereits hat. Es entstehe eine Kreislaufwirtschaft, die für einen Wandel der Gesellschaft zu mehr Nachhaltigkeit essentiell sei. Das Konzept wird auch Cradle-to-Cradle genannt: Alle Materialien sollen entweder in die Natur zurückkehren oder endlos wiederverwendet werden können – ohne Müll zu hinterlassen. „Wenn man sich die Frage stellt: Brauche ich das wirklich? Und wenn ja, brauche ich das auch wirklich neu? Dann wird damit dieser Kreislauf angestoßen.“ Unterkonsum praktizierte Lippert schon lang bevor es einen Namen dafür gab. Mittlerweile findet der Lebensstil vor allem bei der Generation Z (zwischen 1997 und 2012 geboren) und den Millennials (zwischen 1981 und 1996 geboren) großen Anklang, die sich der Umweltauswirkungen ihres übermäßigen Konsums zunehmend bewusst werden.
Weniger Besitz befreit
Auch Miriam Birg gehört zu ihnen. Die 21-Jährige ist selbst erst vor einigen Monaten auf den Underconsumption Core gestoßen. Nach einer Bestandsaufnahme ihres Kleiderschranks hat sie beschlossen, dass sie ihr Konsumverhalten ändern möchte. Mittlerweile teilt sie das Konzept mit circa 20.000 Menschen, die ihr auf TikTok folgen.
„Man muss kein*e Minimalist*in sein, um Underconsumption zu leben. Es geht wirklich nur darum, das zu kaufen, wo man weiß, man verwendet es und man braucht es auch auf.“
Miriam Birg
Durch die Umstellung hat Birg nicht nur mehr Platz in ihrer Wohnung, sondern auch im Kopf: „Ich fühle mich generell einfach viel freier. Es tut gut, zu wissen, was ich wovon besitze und in etwa wie viel davon.“
Underconsumption oder doch eher Normal Consumption?
Trotz vieler positiver Reaktionen erntet der Trend auch immer wieder Kritik. Während Influencer*innen wiederverwendbare Wattepads oder Periodenunterwäsche bewerben, ist der Lebensstil für viele Menschen Alltag – oftmals nicht aus freier Entscheidung, sondern aus Notwendigkeit. Nicht selten schwingt hier eine Verharmlosung von Armut mit. Menschen, die in prekären Lebenssituationen leben, sind oft gezwungen, abgetragene Kleidung zu reparieren oder sich den Kauf neuer Kleidung zu verkneifen. „Außerdem,“ erklärt Siv-Ann Lippert, „muss man einen gewissen Lebensstil haben, um sich Unterkonsum überhaupt leisten zu können.” Man könne nicht erwarten, dass sich Menschen mit existenziellen Sorgen – sei es durch Armut, Krieg oder andere Krisen – mit diesem Thema beschäftigen. Der Underconsumption Core wird als eine neue Erfindung der Social Media-Welt verkauft, dabei handelt es sich im Grunde um ein gesünderes und nachhaltigeres Konsumverhalten, das eigentlich völlig normal sein sollte. Gleichzeitig erreiche die Bewegung aber eben genau die Klasse, die den größten ökologischen Fußabdruck hat. Der Trend regt dazu an, das eigene Kaufverhalten zu reflektieren und konfrontiert damit die Normalisierung des übermäßigen Konsums, der von den Trendsetter*innen auf TikTok & Co. oft unkritisch vorgelebt wird. „Und insofern finde ich das trotzdem total gut und gerechtfertigt, dass es diesen Trend gibt“, ergänzt Lippert.
Wenn man den Underconsumption Core nicht nur als ästhetisches Konzept, sondern als Lebensweise betrachtet, ist er einer der ehrlichsten Trends, den Tiktok in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Ein Trend, der mehr Platz schafft, der Umwelt einen Gefallen tut und hoffentlich nicht in wenigen Monaten schon wieder vergessen sein wird.