Die Kunst des Umdenkens: Klimakrise in der Kulturberichterstattung

Die Kunst des Umdenkens: Klimakrise in der Kulturberichterstattung

„Tod oder Leben!“ ist der Titel des Klimt-Gemäldes, das Klimaktivist*innen Ende 2022 im Leopold Museum mit Farbe überschüttet haben. Obwohl eine Glasscheibe das Kunstwerk schützte, war Klima plötzlich ein wichtiges Thema in Kulturressorts. Doch es dauerte nicht lange, bis es wieder aus der medialen Berichterstattung zur Kultur verschwand. Dabei sollte das Klima eigentlich kein Aufregerthema, sondern vielmehr fester Bestandteil der Berichterstattung sein. Auch im Kulturteil. Wir haben uns angeschaut, wieso das nicht klappt. Und wie klimabewusster Kulturjournalismus aussehen müsste.

von Selina Graf und Jannik Hiddeßen


Klima im Schatten der Schlagzeilen

Wie viele vegane Menüs sind am Plan? Wie viele Dieselgeneratoren stehen hinter den Bühnen? Wie nachhaltig ist die Veranstaltung eigentlich? Das sind Fragen, die sich der Kulturjournalismus laut Andreas Jantsch genauer anschauen sollen. Der Initiator von Music Declares Emergency Austria beobachtet: “Im Kulturjournalismus geht es stark um die Produktion und den künstlerischen Wert. Aber es wird auch sehr schnell kritisiert, wenn ein Festival-Lineup nicht divers genug ist.”

Elisabeth Feinig von der Initiative Museums for Future meint, dass es oft an Verständnis für die Kultur- und Museumsbranche fehlt: “Ich glaube, ein Blick hinter die Kulissen wäre auch mal spannend und nicht immer nur Artikel zu neuen Ausstellungen oder Theaterstücken.” Elke Kellner, Geschäftsführerin der ICOM Österreich, der größten österreichischen Organisation der Museen und Museumsfachleute, sieht: Es gibt viele Initiativen in der Kultur. Mediale Aufmerksamkeit bekommen sie aber nur wenig.


© Elisabeth Feinig Museums for Future

Unsichtbare Emissionen hinter den Kulissen

Ein Bereich, in dem die Klimarelevanz der Kulturbranche besonders ins Auge fällt, sind Großevents wie Festivals und Stadionkonzerte. Dabei sind Energiesauger wie riesige LED-Leinwände, hunderte Scheinwerfer und Boxentürme nicht das Hauptproblem.

Wie so oft, ist auch in der Kulturbranche die Mobilität der entscheidende Klimafaktor. Eine von Music Declares Emergency in Auftrag gegebene Studie untersuchte 2022 die CO2-Emissionen von 22 Schweizer Festivals. Sie ergab, dass sich rund zwei Drittel der Emissionen aus der Mobilität ergeben. Die Energieversorgung machte hingegen nur sechs Prozent der Emissionen aus. 

“Wenn du Mitten im Nirgendwo ein riesiges Festival aufziehst, keine Infrastruktur, öffentliche Anbindung oder Strom hast und da 100.000 Leute hin karrst, ist die Frage, ob das von den Emissionen her das gescheiteste ist.”, prognostiziert Andreas Jantsch für klassische Sommerfestivals. Kleinere, regionale Kulturveranstaltungen wären eigentlich die Lösung. Die Entwicklung geht aber in die entgegengesetzte Richtung: “Das ist ein allgemeines Problem, dass diese riesengroßen Konzerte unglaublichen Zulauf haben”, analysiert Andreas Jantsch. Denn während Weltstars wie Taylor Swift ausverkaufte Stadiontourneen spielen, müssen immer mehr kleine Künstler*innen Touren absagen, zu groß ist die Gefahr Minus zu machen. Die Pandemie-Jahre verschärften diesen Trend nur noch.

Die Kultur ist außerdem eng mit dem Tourismus verbunden: Knapp zwei Drittel der Besucher*innen der Wiener Bundesmuseen kommen aus dem Ausland. Und diese reisen vermutlich nicht alle klimafreundlich mit der Bahn an, wie ein Bericht zur Veranstaltung „Klimawandel im Kulturbetrieb“ des BMKÖS zeigt.

Aber nicht nur Besucher*innen, sondern auch Ausstellungsstücke oder Bühnenbilder müssen von A nach B kommen. “Da gibt es die große Debatte in der Museumswelt, ob es jetzt besser ist, ein Original wohin zu schicken, weil so ein Originalobjekt auch eine gewisse Aura hat oder ob eine Replika denselben Effekt hat”, so Kulturvermittlerin Feinig. 

Auch wenn der Energieverbrauch nicht das größte Problem ist, treibt er die Emissionen der Kulturbranche in die Höhe. Museen, Theater und Konzerthäuser betreiben große Immobilien inklusive energieintensiver Lüftungs-, Licht- und Tontechnik. Je nach Energiemix schlägt sich das auch im Fußabdruck der Institutionen nieder. Bühnen wie das Burgtheater und die Volksoper steuern hier mittlerweile mit eigenen Photovoltaikanlagen gegen. 

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der bei der Frage nach der Nachhaltigkeit gerne übersehen wird, ist die Finanzierung. Viele Kulturbetriebe sind vom Geld ihrer Sponsoren abhängig. So sponsert zum Beispiel der teilstaatliche Ölkonzern OMV eine ganze Liste an Wiener Kulturhäusern, unter anderem die Wiener Staatsoper, das Wiener Konzerthaus, das Kunsthistorische Museum, sowie das Leopold Museum. Gegen dessen OMV-Sponsoring richtete sich übrigens auch die oben erwähnte Klimt-Aktion der Letzten Generation. 

Die Kulturbranche ist aber nicht nur Mitverursacher der Klimakrise. Während Besucher*innen des Wacken Open Airs in Norddeutschland von starken Regenfällen überrascht wurde, forderten Hitzewellen Teilnehmer*innen bei den österreichischen Festivals Frequency und Electric Love heraus. Die Auswirkungen von immer längeren Hitzeperioden und häufigeren Extremwetterereignissen werden künftig immer mehr Kulturveranstaltungen zu schaffen machen. Kulturbetriebe stehen daher vor zwei Aufgaben: Einerseits sollen die eigenen Emissionen sinken, andererseits muss das eigene Angebot an die Auswirkungen der Klimakrise angepasst werden.

Kultur als Vermittler

Eine besondere Rolle in der Beziehung von Kultur und Klima spielt auch die inhaltliche Ebene. Die Kunst bietet Spielraum für Gedankenexperimente. Damit ist die Kunst ein wichtiger Bestandteil der Debatte rund um den Klimaschutz. Elke Kellner von ICOM Österreich sieht die Museen einerseits als Faktenlieferanten, andererseits aber als gesellschaftliches Vorbild, an dem man neue Entwicklungen und Trends ablesen könne. 



© Elke Kellner ICOM Österreich

Gerade in der bildenden Kunst und den Museen fand in den letzten Jahren eine intensive inhaltliche Auseinandersetzung mit Klima-Thematiken statt. So waren zum Beispiel im Technischen Museum in Wien und im Grazer CoSA Ausstellungen zur Klimakrise zu sehen. Seit April dieses Jahres findet die erste Klima Biennale in Wien statt. 

In der Musik scheinen sich hingegen nur wenige Künstler*innen ans Klima zu trauen. Andere wichtige gesellschaftliche Themen wie Rassismus, Klassismus und Homophobie werden in Songs aufgearbeitet. Jantsch versucht eine Erklärung: “Es gibt natürlich viele Krisen, die das Klimathema überlagern. Aber ich denke schon, dass das noch kommen wird.”

Grüne Bühnen und nachhaltige Exponate

Trotz aller anderen Probleme gibt es schon einige Initiativen und Lösungsansätze. “Gerade im Indie-Spektrum gibt es viele verantwortungsvolle Menschen, die sich Gedanken machen und das auch in ihren Merch-Produkten, ihrem Lebensstil umsetzen”, weiß Andreas Jantsch. Die britische Pop-Rock-Band Coldplay will sich in Sachen Klimaschutz als Vorreiter positionieren. Nachdem man eine Albumtournee aus Klimagründen komplett abgesagt hat, war ihre Tour 2022 angeblich klimaneutral. Dafür nahm die Band auch finanzielle Einbußen hin. 

Um Festivals klimafreundlicher zu machen, muss sich vor allem im Mobilitätssektor einiges tun. Eine Chance sind hier innerstädtische und regionale Festivals, zu denen Besucher*innen öffentlich anreisen können. “Ein Paradebeispiel ist das Popfest in Wien. Das ist ein innerstädtisches Festival, nur lokale Acts, es wird niemand eingeflogen. Da gibt es keine großen Travel-Parties, die vom Flughafen abgeholt werden müssen. Das stärkt die lokale Szene und verursacht wenig Emissionen”, erklärt Jantsch und sieht darin eine langfristige Lösung. 

Auch im Bereich der Ausstellungen muss ein Umdenken stattfinden. Die Dauer der Ausstellungen könnte verlängert und die Ausstellungsgestaltung, also Materialien und Ausstellungsmöbel, nachhaltig gestaltet werden. Es gibt schon einen Trend hin zu wiederverwendbaren Ausstellungsmöbeln. Einige Museen wie das Kunsthaus Graz haben mittlerweile einen eigenen Fundus angelegt. Über die Initiative Vitrinenbörse, die vom Museumsbund betrieben wird, können Lampen, Podeste und diverses Zubehör verschenkt oder verkauft werden. Aber auch in der Konservierung, im Museumsshop und Museumscafé wird immer mehr auf Nachhaltigkeit geachtet. Kellner erzählt: “In diesen Bereichen geht es auch immer mehr darum möglichst regionale und hochwertige Artikel zu haben.”

ICOM Österreich hat gemeinsam mit dem Bundesministerium für Kunst und Kultur im Jahr 2022 das Projekt 17 MUSEEN X 17 SDGs ins Leben gerufen. So soll ein konkreter Beitrag zur Umsetzung der 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedeten SDGs (Sustainable Development Goals) geleistet werden. Elke Kellner meint: “Wir haben hier eine Anleitung geschaffen, wie sich Museen mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen können und dazu umsetzen und beitragen können.” Seit 2018 gibt es außerdem für Museen und Ausstellungshäuser eine eigene Klima-Zertifizierung. Das österreichische Umweltzeichen haben bisher 34 Museen erhalten. 

Ob die Klimakrise im Bereich der Kultur überhaupt thematisiert werden muss, weiß Feinig eindeutig zu beantworten: “Es ist einfach schwer, Gewohnheiten zu ändern. Deswegen müssen wir uns das immer und immer wieder ins Bewusstsein rufen und verstehen, dass wir auch dementsprechend agieren müssen.” Elke Kellner stimmt ihr zu: “Ich glaube, diese Verknüpfung ist gesellschaftlich ganz wichtig.”