Wie der Einstieg in den Klimajournalismus gelingt – ein Interview mit Sara Schurmann

Wie der Einstieg in den Klimajournalismus gelingt – ein Interview mit Sara Schurmann

Eigentlich müsse jede Journalistin und jeder Journalist auch Klimajournalist*in sein. Angesichts des mangelnden Fachwissens und des großen Bedarfs in der Medienbranche gebe es auch gute Jobaussichten. Wie der Einstieg in den Klimajournalismus gelingt, wie man seine Themen findet, Grundwissen erlangt und welche Fehler man vermeiden sollte, erklärt Klimajournalistin und Autorin Sara Schurmann im Interview.

Mit deinem Offenen Brief „Nehmt die Klimakrise endlich ernst“ hast du die Medienbranche aufgerüttelt, hast gemeinsam mit Kolleg*innen das Netzwerk Klimajournalismus Deutschland gegründet und gerade erst mit „Klartext Klima“ dein erstes Buch veröffentlicht. Dabei ist dir selbst erst relativ spät die Dringlichkeit der Klimakrise bewusstgeworden. Wie bist du zur Klimajournalistin geworden?

Tatsächlich über den Bewusstwerdungsmoment. Ich bin seit zwölf Jahren Journalistin, zehn Jahre davon habe ich mich beruflich aber kaum mit Klima befasst. Im Frühjahr 2018 habe ich aber privat angefangen, fast täglich Artikel und Bücher zur Klimakrise und den ökologischen Krisen zu lesen. Wie akut die Klimakrise ist, ist mir aber erst im Sommer 2020 so richtig bewusstgeworden: Wenn wir unsere Lebensgrundlagen erhalten wollen, müssen wir noch in diesem Jahrzehnt in fast allen Bereichen unseres Lebens eine Revolution starten.

Für mich war das damals ein Schock. Ich war so lange Journalistin, hatte die Dringlichkeit aber trotzdem nicht verstanden. Deshalb wollte ich auch meinen Kolleg*innen über den Offenen Brief sagen: „Nehmt die Klimakrise endlich ernst!“

Krieg, Corona, Teuerung, Ernährungssicherheit, Hitzewelle etc. – die Klimakrise steckt in vielen Krisen, die uns zu schaffen machen. Muss angesichts dessen nicht jede Journalistin und jeder Journalist auch Klimajournalist*in sein?

Ja, absolut. Die Klimakrise ist Dimension jedes Themas und wir müssen sie überall mitdenken. Ich stelle mir deshalb immer zwei Fragen: Was bedeutet das Thema für die Klimakrise und was bedeutet die Klimakrise für das Thema?

Das heißt aber auch, dass jede Journalistin und jeder Journalist ein gewisses Faktenwissen brauchen, um angemessen darüber berichten zu können. Am besten lässt sich das mit Corona vergleichen: Mittlerweile gibt es in jeder Redaktion zumindest eine Person, die sich mit epidemiologischen Fragen bestens auskennt. Aber auch alle anderen Journalist*innen brauchen ein Grundwissen, um sagen zu können, was das für mich im Wirtschaftsressort, als Sportreporterin oder in Kunst und Kultur bedeutet. Bei der Klimakrise sind die Zusammenhänge sogar noch intensiver und detaillierter als bei Corona.

Wie gut sind die deutschsprachigen Medien auf die Klimakrise als ressortübergreifendes Querschnittsthema eingestellt? Sind sie auf dem richtigen Weg?

Ja und nein. Es bewegt sich etwas. Aber es gibt kein einziges Medium, das eine klimarealistische Berichterstattung macht, also die planetaren Krisen bei jedem anderen Thema mitdenkt und entsprechend priorisiert. Nicht mal die Berliner taz. Die Redaktion spielt in der Medienlandschaft eine ähnliche Rolle wie die Grünen unter den Parteien: Sie machen unter den Großen zwar den besten Job, aber beide sind weit davon entfernt, wirklich angemessen auf die Klimakrise zu reagieren.

Dein Buch „Klartext Klima“ ist eine Art Handbuch, mit dem man Zusammenhänge besser verstehen soll, um loslegen und effektiv handeln zu können. Was kann der Journalismus bewirken, wenn er endlich loslegt?

Wir Journalist*innen müssten eigentlich das Korrektiv sein, denn es gibt im Moment keinen realistischen öffentlichen und politischen Diskurs zur Klimakrise. Aber wir werden dem nicht gerecht.

Wenn der Journalismus damit endlich loslegen würde, könnten wir schnell soziale Kipppunkte erreichen. Dass das funktioniert, sehen wir bei Bürger- bzw. Klimaräten: Menschen, die verstehen, wie akut die Klimakrise ist und was effektive Reaktionen darauf sind, fordern entsprechende Maßnahmen ein. Klimarealistischer Journalismus kann das gesamtgesellschaftlich reproduzieren.

Worauf sollte ich achten, wenn ich nun als junge Journalistin oder junger Journalist in den Klimajournalismus einsteigen möchte?

Hab keine Angst davor, dass die anderen so viel mehr als du wüssten. Gerade bei Klima haben wir relativ viel Bedarf. Den Redaktionen wird das langsam auch bewusst.

Man wird ohnehin nicht von heute auf morgen Expertin. Wichtig ist, einmal anzufangen. Es hilft natürlich auch, sich in Netzwerken zu engagieren und zu Workshops zu gehen. Mit Kolleg*innen sprechen und zusammenarbeiten, denen man vertraut. Angesichts des Unwissens im Klimabereich würde ich jungen Kolleg*innen Mut machen, einfach durchzustarten. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie dann schnell einen besseren Job machen als der Durchschnitt, ist sehr hoch.

Kipppunkte, parts per million, verschiedenste Treibhausgase, Hothouse Earth etc. – wie viel Grundwissen brauche ich und woher bekomme ich dieses?

Ich würde sagen, lest mein Buch (lacht). Darin versuche ich, das große Ganze ohne viele Zahlen in Verbindung zu setzen. Wenn man dann zu einem konkreten Klima-Thema schreibt, muss man sich natürlich in den Bereich einarbeiten. Aber es geht erstmal darum, die wesentlichen Zusammenhänge zu verstehen. Du wirst am Anfang nicht gleich alles wissen können.

"Klartext Klima" von Sara Schurmann ist ein ideales Buch, um die Klimakrise und ihre Zusammenhänge besser verstehen zu können. Ein Grundwissen, das alle Journalist*innen haben sollten.
„Klartext Klima“ von Sara Schurmann ist ein ideales Buch, um die Klimakrise und ihre Zusammenhänge besser verstehen zu können. Ein Grundwissen, das alle Journalist*innen haben sollten. Foto: Brandstätter Verlag

Wie kann ich meine Chefredaktion davon überzeugen, dass ein Klima-Thema berichtenswert ist?

Am besten nicht alleine. Suche dir eine Kollegin oder einen Kollegen in der Redaktion, mit denen du dich gut austauschen und auch in Redaktionskonferenzen gegenseitig unterstützen kannst. Gemeinsame könnt ihr dann die Chefredaktion und Redaktion besser überzeugen, dass in der Klimaberichterstattung noch Bedarf besteht. Auch gemeinsame Recherchen und Projekte sind eine gute Idee. Wenn sich ein paar Leute zusammentun, wird vielleicht auch der Rest der Redaktion aktiv.

Welche Fehler passieren im Klimajournalismus noch zu häufig?

Viele. Zwei davon möchte ich besonders hervorheben. Zum einen reden wir immer noch davon, „das Klima zu retten“ oder für „kommende Generationen“ etwas zu tun. Journalistisch betrachtet ist das tatsächlich falsch, weil es unpräzise ist. Wir müssten die Dinge so verständlich und realitätsnah wie möglich benennen und erklären. Das heißt: Wir retten nicht das Klima oder die kommenden Generationen. Wir retten unsere eigenen Lebensgrundlagen, auch die von heute 70-Jährigen. Sprache ist hier gleichzeitig auch Framing.

Zum anderen wissen viele nicht, wie Naturwissenschaft funktioniert. Es werden zum Beispiel Studien verglichen, die ganz unterschiedliche Fragen untersuchen, ohne die Unterschiede klar zu machen. „Was müssen wir tun, um einen fairen Anteil an 1,5-Grad zu leisten?“ ist etwas komplett Anderes als „Wie werden wir klimaneutral bis 2045?“. Wir begegnen klimapolitischen Fragen noch viel zu oft mit Politikjournalismus und denken, die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Aber in den Naturwissenschaften gibt es harte Grenzen, die politisch nicht verhandelbar sind. An diesen Grenzen müssen wir die Politik messen.

Wie finde ich meine Themen? Ist es besser, über allgemeine Klima-Themen zu schreiben oder sich eine Nische zu suchen?

Klima ist ein Querschnittsthema und emotional wie fachlich herausfordernd. Deshalb rate ich, nach eigenem Interesse zu gehen: Wofür interessierst du dich besonders und was ist hier der Klima-Zusammenhang? Abgesehen davon sind die Themen natürlich auch vom jeweiligen Medium abhängig und was dort interessiert.

Wie kann ich die Dringlichkeit der Klimakrise verdeutlichen, ohne meine Leser*innen zu entmutigen?

Ich finde, dass hier die Rolle des konstruktiven Journalismus noch völlig unterschätzt und auch missverstanden wird. Wir brauchen unbedingt eine klare, verständliche Sprache, die die Dringlichkeit verdeutlicht. Gleichzeitig müssen wir aber Mittel, Wege und realistische Ansätze aufzeigen, mit denen die Krise abgeschwächt werden kann – denn es gibt Lösungen. Wenn wir eins davon weglassen, zeigen wir nicht das ganze Bild.

Wie kann ich mich laufend zu Ressourcen, Tipps und Neuigkeiten im Klimajournalismus informieren?

Am besten, indem man in Klimajournalismus-Netzwerken aktiv wird. Diese gibt es mittlerweile unter anderem in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Twitter ist auch empfehlenswert, denn hier kann man sich einen Pool aus Expert*innen zusammenstellen und am Diskurs dranbleiben.

Gerade jüngere Journalist*innen sehen sich, wenn sie vermehrt über Klima berichten, mit dem Vorwurf des Aktivismus konfrontiert – oder haben Angst, dass sie dann nicht mehr objektiv berichten würden. Sind diese Sorgen berechtigt?

Sie sind in dem Sinne berechtigt, dass die Vorwürfe kommen werden. Es hilft, hier eine vorgefertigte Antwort parat zu haben. Ich sage dann etwa, dass es zu den Werten von Journalist*innen gehört, dass wir uns für Demokratie und Menschenrechte einsetzen, und mir noch niemand erklären konnte, wie wir die erhalten können, wenn wir unsere Lebensgrundlage zerstören.

Schwieriger ist es, wenn man vorher aktivistisch tätig war und jetzt in den Journalismus wechselt, aber auch das ist nicht unmöglich. Da ist es ähnlich wie bei Journalist*innen, die in Parteien aktiv sind oder mit Politiker*innen verheiratet sind. In solchen Fällen gilt meist, dass man nicht über seine eigene Institution schreibt. Wichtig ist jedenfalls, transparent zu sein.

Welches Buch – abgesehen von „Klartext Klima“ – sollte ich für den Einstieg in den Klimajournalismus unbedingt gelesen haben?

Ich möchte stattdessen einen Film empfehlen: die Netflix-Doku „Breaking Boundaries“. Darin erklären Naturdokumentar David Attenborough und Klimaforscher Johan Rockström, dass wir nicht nur in der Klimakrise, sondern in multiplen ökologischen Krisen stecken und diverse planetare Krisen überschritten haben. Nur die letzten fünf Minuten, in denen es um Lösungen geht, solltet ihr schnell vergessen. Fahrrad fahren und weniger Fleisch essen allein, werden uns nicht retten. Was wir brauchen, sind strukturelle Veränderungen in allen möglichen Bereichen, die in der Summe nicht weniger sind als eine friedliche Revolution. Das auszusprechen, war ihnen wohl zu politisch.


Titelbild: Julia Steinigeweg

Cover „Klartext Klima“: Brandstätter Verlag