IPCC-Bericht: Wie wurde berichtet, was ist aufgefallen?

IPCC-Bericht: Wie wurde berichtet, was ist aufgefallen?

Eine Mure verschüttete die Pinzgauer Lokalbahn in Krimml, Bundesland Salzburg. Mit diesem Zug bin ich oft in die Schule gefahren. Während meine Heimatgemeinde geographisch geschützt liegt, sind viele Orte weiter westlich auf den Hochwasserschutz angewiesen. Zum ersten Mal wurden im neuen IPCC-Bericht anhand eines Atlas regionale Extremwetterereignisse explizit ausgewiesen. Österreich wird insbesondere mit Überschwemmungen zu kämpfen haben. ©Gerhard Obwaller/Land Salzburg

Eine Woche ist seit der Veröffentlichung des sechsten Sachstandberichts des Weltklimarats IPCC vergangen. Ich tippe diese Zeilen, während die Taliban den Sieg in Afghanistan erklären und Haiti nach einem Erdbeben einen Tropensturm erwartet. Erneut Überflutungen im Pinzgau und Pongau. „Welt vor dem Abgrund“, titelte die konservative Kronen Zeitung zum IPCC-Bericht und es kommt mir erschreckend passend vor.

Doch der Bericht gibt auch Hoffnung. Es ist eindeutig und unanzweifelbar (engl. „unequivocally“), dass der Mensch die Erderwärmung verursacht. Dass durch unser Zutun Extremwetterereignisse heftiger und teils häufiger werden, ist nun – anders als im fünften Sachstandbericht vor sieben Jahren – eine anerkannte Tatsache (engl. „established fact“). Jede Tonne an Treibhausgasen verschlimmert die Situation. Man kann es aber auch anders sehen: Jede Tonne zählt. Es liegt in unseren Händen, die Klimakrise abzuwenden und die Welt nicht in den Abgrund, sondern in einen ‚Steady-State‘ zu manövrieren.

„Der Bericht zeigt wissenschaftlich fundiert, dass Net-Zero zur Stabilisierung oder sogar Senkung der Oberflächen-temperaturen beiträgt“, sagt auch IPCC-Autor Professor Piers Forster von der University of Leeds gegenüber Carbon Brief.

Wie wurde über den IPCC-Bericht getitelt?

Der Bericht wurde am 9. August in einer 90-minütigen Pressekonferenz vorgestellt. Währenddessen ploppten schon die ersten Push-Benachrichtigungen am Smartphone auf (Entwürfe des Berichts waren schon vorab verfügbar). Falter-Naturressortleiter Benedikt Narodoslawsky mit einigen Headlines der deutschsprachigen Medien (Auszug aus dem FALTER.natur-Newsletter #21):

Dann gab es noch einen Artikel von Wissenschaftsjournalist Axel Bojanowski in der Welt, der auf Twitter heiß diskutiert wurde. Was die freie Journalistin Sara Schurmann dazu sagt, könnt ihr hier lesen.

Der britische Guardian warf einen Blick ins eigene Land sowie auf Australien und Hongkong.

  • „Globale Klimakrise: unvermeidbar, beispiellos und unumkehrbar“ – The Guardian
  • „UN-Wissenschaftsausschuss warnt vor einer Erwärmung der Welt um 1,5 °C bis 2040“ – Financial Times
  • „Führende Wissenschaftler fordern dringenden Fahrplan zur Bewältigung des Klimawandels“ – The Times
  • „Der Weltuntergangsbericht warnt vor einem apokalyptischen Klimawandel… kann Großbritannien die Welt vom Abgrund wegführen?“ – Daily Mail
  • „Alarmstufe Rot für die Menschheit“ – The Independent
  • „Wissenschaftler warnen, dass Hongkong noch mehr Taifune und Dürreperioden erleiden wird“ – South China Morning Post

Klima-Journalistin Emily Atkin (Newsletter HEATED) hat eine Reihe an Schlagzeilen englischsprachiger Medien zusammengefasst. Die Phrase „Alarmstufe Rot für die Menschheit“ ist auf eine Presseaussendung von UN-Generalsekretär António Guterres zurückzuführen.

  • „UN-Klimareport: ‚Alarmstufe Rot für die Menschheit'“ – Reuters
  • „UN-Bericht warnt vor Klimawandel als ‚Alarmstufe Rot für die Menschheit'“ – NBC News
  • „Historischer Bericht zum Klimawandel ist ‚Alarmstufe Rot für die Menschheit'“ – Bloomberg.com
  • „UN-Klimabericht ‚Alarmstufe Rot für die Menschheit‘: Guterres“ – Al-Jazeera
  • „Klimawandel: IPCC-Bericht ist ‚Alarmstufe Rot für die Menschheit'“ – BBC

IPCC-Bericht: Wer sagte was?

Greta Thunberg (Klimareporterin Isabella hat sich in diesem Beitrag mit dem neuen Kinofilm „I am Greta“ beschäftigt) meldete sich ebenfalls mit klaren Worten. Was mir besonders im Kopf blieb? In einigen Stunden oder spätestens in einer Woche würde sich niemand mehr für den Bericht interessieren (ab min. 2:35).

Ist dem so? Immerhin sagte ORF-Anchorman Armin Wolf in der ZIB2 (11. August): „Wenn es nur darum ginge, was wirklich wichtig ist und die größten Auswirkungen auf die Menschheit hat, müsste unser Hauptthema ja jeden Tag die Klimakrise sein.“ Narodoslawksy gibt die Antwort darauf: „Ja, völlig richtig. Warum ist es dann nicht Hauptthema jeden Tag? Ist es nicht genau das, was der öffentlich-rechtliche Sender in seiner Nachrichtensendung machen sollte: die Menschen über die relevantesten Themen zu informieren? Und reicht es dann fürs wichtigste Thema der Welt, alle sieben Jahre einen Klimaforscher ins Studio zu holen, also immer dann, wenn ein neuer IPCC-Bericht erscheint, der uns vom Sand erzählt? Wird man so die PolitikerInnen wachrütteln?“

Bemerkenswert finde ich auch die klaren Worte Narodoslawskys. Die Medien hätten – mit wenigen Ausnahmen – genauso versagt wie die Politik. Die Gesellschaft auch. Der Newsletter endet mit einem unüblichen und zugleich beeindruckenden Aufruf zum nächsten weltweiten Klimastreik am 24. September: „Österreich braucht Sie. Die Welt auch. Danke für Ihren Beitrag.“

Emily Atkin mag den IPCC-Tag nicht. In ihrem wöchentlichen Newsletter HEATED äußert sich die gebürtige New Yorkerin zur Klimakrise und zur Klimaberichterstattung. Wollt ihr ein Geheimnis wissen, fragt sie? Die meisten, die sagen, den IPCC-Bericht gelesen zu haben, haben nur die 42-seitige Zusammenfassung für Entscheidungsträger (engl. „Summary for Policymakers“) gelesen. Anders als die 3949 Seiten des ganzen Reports ist die Zusammenfassung politisch abgesegnet. 196 Staaten stimmten jeder einzelnen Zeile zu. Dementsprechend konservativ ist die Formulierung. Der Begriff ‚Fossile Brennstoffe‘ (engl. „fossil fuels“) kommt in den 42 Seiten kein einziges Mal vor. „You’ll learn the world is ending, and you will not know who to blame“, konstatiert Atkin.

Die meisten Medien sind ihrer Verantwortung aber nachgekommen und haben auch über die Ursache – die fossilen Brennstoffe – und nicht nur über die Auswirkungen geschrieben. Atkin schließt sich mit ihrer Medienkritik Thunberg, Narodoslawsky und Wolf an: „My pet peeve is that IPCC report day is literally the only day the entire political news media communicates climate science to the public.“

Die freie Journalistin Sara Schurmann äußerte sich in einem Twitter-Thread zur IPCC-Berichterstattung. Es liege an den Chefredaktionen, die Bedeutung der Berichterstattung zu erkennen und auch einmal Beiträge länger prominent zu platzieren, selbst wenn es weniger Klicks generiert. Aus journalistischer Verantwortung heraus muss die Dringlichkeit blattmacherisch deutlich werden.

Schurmann weist auf eine notwendige brancheninterne Debatte zur medialen Darstellung der Klimakrise hin. Rente, Hauskauf und Kinderkriegen sind nur einige vieler langfristigen Lebensentscheidungen, die mit den Auswirkungen der Klimakrise eng verwoben sind.

Der deutsche Klimajournalist Wolfgang Blau bringt die Problematik in der Klimaberichterstattung noch einmal auf den Punkt (von Axel Bojanowski oben noch als Unwissen der Wissenschafter:innen abgetan). Am IPCC-Bericht der Arbeitsgruppe 1 waren immerhin 234 Autor:innen beteiligt. 14.000 Studien wurden gesichtet und jeder der über 70.000 Kommentare zum Entwurf musste beantwortet/ in Betracht gezogen werden.

Was ist sonst noch aufgefallen?

Der Mittelmeerraum könnte zum „Hotspot des Klimawandels“ werden, schreibt der Standard. Noch schlimmer trifft es aber kleine Inselstaaten wie Kiribati oder das Inselgebiet Vanuatu, wie der Guardian berichtet. Österreich hat der ZAMG zufolge ohne Trendumkehr einen Temperaturanstieg von +5°C zu befürchten. Die Klimakrise ist eine Führungskrise, schreiben die Autorinnen von ‚All We Can Save‘ – eine Buchempfehlung für mehr als nur ein Buch. Dass wir die 1.5°C-Schwelle doch nicht früher als von einigen Medien berichtet erreichen könnten, argumentieren Malte Meinshausen, Zebedee Nicholls und Piers Forster: „It seems like the only thing that is changing across 30 years of IPCC reports is that the time is running“.

Den interaktiven Atlas des IPCC könnt ihr euch hier näher ansehen.