Wie Unternehmen mit Influencer*innen Greenwashing betreiben

Wie Unternehmen mit Influencer*innen Greenwashing betreiben

Unternehmen arbeiten gerne mit Influencer*innen zusammen, um glaubwürdiger zu wirken. Stellen sich die grünen Behauptungen als falsch heraus, werden die Influencer*innen aber oft zur Zielscheibe für die Empörung der Kundschaft. Der Greenwashing-Effekt durch Influencer*innen ist nicht zu unterschätzen. Ein Vertrauensbruch kann zum Generalverdacht der gesamten Nachhaltigkeitsbranche führen. Deshalb braucht es mehr Transparenz und Orientierung, vor allem aber politische Lösungen, wie der Journalist Benedikt Dietsch (Flip) erklärt.

von Astrid Sailer und Florian Mendl, gemeinsam mit der Rechercheplattform „Inspektorin Grün“

Im Sommer 2022 geriet der nachhaltige Rucksack-Hersteller Got Bag in Erklärungsnot. Das Unternehmen warb fälschlicherweise damit, seine Produkte aus 100 Prozent Meeresplastik herzustellen, wie Flip und die ZEIT recherchierten. Als Reaktion darauf beendete die Greenfluencerin Louisa Dellert ihre Kooperation mit Got Bag. Die Enttäuschung der Kundschaft ist groß, das Vertrauen verloren. Aber die Empörung richtet sich auch gegen Dellert. Sie hätte es besser wissen müssen, vorab recherchieren und gar nicht erst mit so einem betrügerischen Unternehmen zusammenarbeiten dürfen, so die Vorwürfe. Ihre Nachlässigkeit schade der gesamten Nachhaltigkeitsbranche.

Aber was machen sogenannte Greenfluencer*innen wie Dellert eigentlich? Einfach gesagt produzieren sie, meist auf Social Media, Inhalte zum Thema Nachhaltigkeit. Sie klären auf, teilen Tipps und Tricks und bereiten Wissen leicht zugänglich auf. Ihr Geld verdienen sie durch Kooperationen mit Unternehmen, als Werbepartner*innen für nachhaltige Produkte.

In der Nachhaltigkeitsbranche sind solche Kooperationen eine wesentliche Werbestrategie. Aus gutem Grund: Grüne Behauptungen von Unternehmen erscheinen glaubhafter, wenn sie von prominenten Persönlichkeiten beworben werden. Dieser Greenwashing-Effekt durch Promis konnte in zahlreichen Studien belegt werden. Vertrauenswürdige und sogar weniger vertrauenswürdige, aber eben attraktive Prominente haben einen positiven Effekt auf die Glaubwürdigkeit grüner Behauptungen, wie eine Studie aus Indien zeigt.

Influencer*innen haben einen ähnlichen Marketingeffekt wie Promis. Diese Strategie hat sich aus dem sogenannten Celebrity Endorsement entwickelt – also Werbung mit Prominenten als Markenbotschafter*innen. Der Vorteil: Influencer*innen haben meist viele Follower*innen, die zu ihnen aufschauen und ihnen vertrauen. Für sie haben sie die Expertise schlechthin, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Wenn sie ein Produkt testen und gut finden, wirken sie wie ein Gütesiegel, das das Vertrauen der Kundschaft steigert. Einer Studie aus dem Jahr 2019 zufolge werden Influencer*innen in Werbekampagnen sogar als vertrauenswürdiger als andere Prominente wahrgenommen.  

Ein unmoralisches Angebot und viel Hass

Got Bag und Louisa Dellert sind kein Einzelfall. Auch dem dänischen Fair Fashion-Label Organic Basics wurde vorgeworfen, man würde mit dem Deal mit Mode-Multikonzern Delta Galil (u.a. Tommy Hilfiger, Lacoste, Converse) seine Werte verraten. Hintergrund: Während das Unternehmen auf Social Media noch fleißig für die neue nachhaltige Kollektion warb, meldete es wegen Zahlungsunfähigkeit Insolvenz an. Gerettet wurde es ausgerechnet von einem Konzern, der keinen Wert auf Nachhaltigkeit legt: Delta Galil sieht sich mit „besonderen Menschenrechtsbedenken“ vonseiten des UN-Menschenrechtsrats konfrontiert. Grund dafür ist ein Standort des israelischen Moderiesen in völkerrechtlich illegal besiedeltem palästinensischem Gebiet.

Delta Galil kooperiert unter anderem mit Konzernen wie Adidas, Walmart und Amazon. Außerdem gab es kein Konzept zur Übernehme für bisherige Mitarbeiter*innen von Organic Basics, was ebenso kritisiert wurde.

Influencerin Anina Gepp – selbst zuvor Kooperationspartnerin von Organic Basics – informierte auf ihrem Instagram-Kanal über den bedenklichen Verkauf des Unternehmens an Delta Galil. Dadurch wurde sie selbst zur Zielscheibe für den Frust der Kundschaft. Hasskommentare gegen Influencer*innen tauchten unter ihrem Posting auf – darunter auch der weitverbreitete Mythos, Influencer*innen würden keine richtige Arbeit leisten. Dieser Vorwurf hängt stark mit einer Missgunst gegen erfolgreiche Frauen zusammen, der auch heute noch präsent ist. Weibliche dominierte Berufe wie beispielsweise Influencer*innen werden häufig belächelt und kleingeredet.

Schaden für die gesamte Branche

Greenwashing schadet der gesamten Nachhaltigkeitsbranche. Ein Vertrauensbruch zwischen influencer*innen und Follower*innen kann dazu führen, dass alle nachhaltigen Unternehmen in einen Topf geworfen werden. Das führt zu einem Vertrauensverlust und geringerem Zulauf in der gesamten Branche. Egal, ob andere Unternehmen auch Greenwashing betreiben, oder nicht.

Greenwashing durch nachhaltige Unternehmen legitimiert zudem den Einsatz solcher Strategien in weniger nachhaltigen Unternehmen. Nachhaltigkeitsbegriffe und grüne Behauptungen werden inflationär verwendet. Dadurch schwindet der Wettbewerbsvorteil der Nachhaltigkeitsbranche.

Mehr Transparenz und gesetzliche Regelung

Nach wie vor fehlt es an tiefgreifenden Maßnahmen zur Eindämmung von Greenwashing. Die Regulierungen sind unzureichend, Kund*innen müssen meist auf die freiwillige Selbstverpflichtung eines Unternehmens zu seiner Nachhaltigkeitsstrategie vertrauen. Geläufige Werbebegriffe wie „nachhaltig“ oder „umweltfreundlich“ sind nicht gesetzlich geregelt. Einzig “bio” bzw. “biologisch” ist in Österreich reguliert. Aber selbst wenn hier durch Zertifizierung nachgeschärft wird, geht es nicht ohne grundlegende Veränderungen auf politischer Ebene.

“Die geplante EU-Gesetzgebung zu sogenannten Green Claims ist da ein erster Schritt in die richtige Richtung“, findet Benedikt Dietsch, Journalist bei Flip und Co-Autor der ”Got Bag”-Recherche. Das soll für mehr Transparenz rund um Nachhaltigkeitsversprechen sorgen. Grüne Behauptungen sollen künftig internationalen Standards unterliegen und von unabhängigen Stellen kontrolliert werden. Mehr Transparenz soll es in allen Schritten der Produktionskette geben: Zahlen sollen offengelegt und Belege erbracht werden. Ein Unternehmen, das mit 100 Prozent Meeresplastik wirbt, muss diese Zahlen auch belegen können.

Derzeit ist es selbst für erfahrene Greenfluencer*innen schwierig, die Glaubwürdigkeit solcher Behauptungen zu überprüfen und guten Gewissens zu bewerben. Flip-Autor Dietsch hat Verständnis dafür, dass es Influencer*innen an Ressourcen für tiefgründige Recherchen fehlt. “Aber sie müssen sich bewusst sein: Wenn sie überverkaufte oder falsche Werbebotschaften weitergeben, verleihen sie diesen dadurch Glaubwürdigkeit und unterstützen so Greenwashing,” sagt Dietsch.

Und weiter: „Um Greenwashing einzudämmen, braucht es vor allem Verbraucher*innen, die zwischen echter Nachhaltigkeit und bloßem Marketing-Blabla unterscheiden können.” Deshalb möchten Dietsch und seine Kolleg*innen mehr Transparenz und Orientierung schaffen. Dafür braucht es allerdings mehr Zeit und Geld, denn aufwändige Recherchen wie jene zu Got Bag können mehrere Monate dauern. Mit genügend Ressourcen könnte der Journalismus aber dazu beitragen, Greenwashing vermehrt aufzudecken.


Titelbild: martin-dm/Canva

Screenshot: @louisadellert/Instagram