Grün im Grab

Grün im Grab

Jedes Jahr müssen in Österreich 90 Tausend Menschen bestattet werden, gut fürs Klima sind Begräbnisse aber selten. Für die Umweltbewussten unter uns bietet die Bestattung Wien eine Alternative: Den Pilz-Sarg.

Wenn man mit der 71er-Straßenbahn zum Wiener Zentralfriedhof fährt und bei der Station „Zentralfriedhof 2. Tor” aussteigt, steht man vor einem Würstelstand mit dem Namen „eh scho wuascht“. Man könnte denken, der Name ist sehr passend für einen Würstelstand am Friedhof. Wenn man einmal tot ist, kann man nichts mehr falsch machen. Falsch gedacht. Selbst im Tod bleiben wir Menschen Klimasünder. Und das ist für die Zukunft der Lebendigen nicht ganz „wuascht“.

Hier am Zentralfriedhof liegen über drei Millionen Menschen begraben, täglich kommen zwischen 20 und 25 dazu. Diese Begräbnisse verbrauchen nicht nur Platz, sondern vor allem Ressourcen. Das Holz, aus dem Särge und Urnen hergestellt werden, kommt selten aus Österreich und auch die Produktion erfolgt oft im Ausland. In Deutschland zum Beispiel werden nur etwa 15 Prozent der benötigten Särge selbst gefertigt. Hierzulande ist dieser Anteil wohl noch deutlich höher: In Österreich gibt es zwei große Sargproduzenten, die die Bestatter beliefern und auch exportieren. Sie stellen jährlich etwa 75.000 Särge und kleinere Stückzahlen an Urnen her. Benötigt werden etwa 90.000 Särge, da auch bei der Einäscherung eine Sargpflicht gilt. Urnenbeisetzungen machen inzwischen fast die Hälfte der Bestattungen in Österreich aus, sagt Jürgen Sild, Geschäftsführer der Bestattung Wien. Demnach kommen also noch an die 45.000 Urnen dazu.   

Abgesehen von Produktion und Lieferketten belasten Bestattungen auch die lokale Umwelt. So werden Särge und Urnen vor der Beisetzung oft mit Chemikalien bearbeitet, die für den Boden giftig sind. Über den Boden gelangen diese Chemikalien dann ins Grundwasser. Eine weitere Gefahr für Boden und Grundwasser geht von Quecksilber aus Zahnplomben aus (Anm.: ab 2025 werden Zahnplomben aus Amalgam, in denen Quecksilber vorkommt, in der EU verboten sein). 2011 schätzte die Universität Wien die Quecksilberbelastung auf etwa 160 Kilogramm jährlich, die durch Erdbestattungen in den Boden gelangen. Laut derselben Schätzung gelangen durch Einäscherung jährlich noch weitere 40 Kilogramm in die Luft. Zusätzlich wird bei der Kremation natürlich auch CO2 ausgestoßen. Laut dem Berufsverband der Bestatter Österreichs benötigt man für die Verbrennung eines Leichnams im Schnitt zehn Kubikmeter Erdgas, das entspricht grob 20 bis 25 Kilogramm CO2. Im Jahr ergibt das einen Ausstoß von über 900 Tonnen CO2, das entspricht etwa dem gesamten Jahresverbrauch von 100 Österreicher*innen. Genau erhoben wird in Österreich jedoch nicht, wie viel CO2 bei einer Kremation ausgestoßen wird. In Deutschland errechnete das Umweltbundesamt 2022 einen Mittelwert von 67 Kilogramm CO2-Ausstoß pro Einäscherung. Sterben ist also in vielen Fällen eine Belastung für die Umwelt.

Im Bestattungsmuseum Wien kann man seit 2014 über Friedhöfe und Bestattungswesen lernen.
Foto: Livio Koppe

Das muss aber nicht so bleiben, immer häufiger kommen innovative und ökologische Bestattungsmethoden auf den Markt. Eine davon kann man im Bestattungsmuseum am Wiener Zentralfriedhof besichtigen: Hier findet man zwischen historischen Urnen und alten Leichenwägen den „lebenden Sarg“. Er ist von grau-weißlicher Farbe und wenn man ihn berührt, weiß man nicht ganz, ob man gerade einen Schwamm oder einen Champignon streichelt. Das macht auch Sinn, denn tatsächlich besteht der Loop Living Cocoon, wie er vom Hersteller genannt wird, aus Pilzen.

Der Hersteller ist die Firma Loop Biotech aus den Niederlanden und deren Gründer Bob Hendrikx der Erfinder des „lebenden Sarges“. Als Teil seiner Abschlussarbeit an der Technischen Universität Delft untersuchte er, wie dem Menschen die Transformation zu einer „positive-Footprint Species“ gelingen kann. Dabei stieß er auf Myzele, das sind die vernetzten fadenförmigen Zellen von Pilzen. Wie Hendrikx auf den Einsatz von Myzelen als Sarg kam, erklärt er im Interview mit klimareporter.in so: „Myzele sind die größten natürlichen Recycler und leben unter der Erde. Also suchte ich nach menschlichen Produkten, die sich unter der Erde befinden und kam so auf den Sarg.“

Hergestellt wird der Loop Living Cocoon weiterhin in den Niederlanden. Landwirtschaftliche Abfälle und Hanffasern werden gemeinsam mit einer lokalen Pilzart in eine Form gegeben und in sieben Tagen transformiert der Pilz die Abfälle in einen Sarg. „Der Pilz frisst das Rohmaterial und schafft so ein dreidimensionales Netzwerk aus Myzelen, das alles miteinander verbindet“, erklärt Bob Hendrikx. Dehydriert kann diese Struktur ein Gewicht von bis zu 200 Kilogramm halten. Wird der Pilz-Sarg dann beigesetzt, erweckt der feuchte Boden die Pilzstruktur förmlich wieder zum Leben. Innerhalb von 45 Tagen neutralisiert das Myzel-Geflecht Giftstoffe in Körper und Boden, regeneriert so verschmutzte Erde und zersetzt sich anschließend selbst.

Für Erfinder Hendrikx ist diese Fähigkeit der größte Vorteil des Produktes. Särge aus Holz brauchen bis zu 30 Jahre, bis sie vollständig abgebaut sind. „Vor allem die konventionellen Produkte sind sehr umweltschädlich. Es gibt mittlerweile einen Markt für Särge aus unbehandeltem Holz, die sich darauf konzentrieren, weniger schlecht für den Boden zu sein. Wir konzentrieren uns darauf, gut für den Boden zu sein“, sagt der Niederländer.

Die Pilz-Urne kann man nach Wunsch personalisieren und selbst bemalen. 
Foto: mavric

In Österreich vertreibt die Bestattung Wien den „lebenden Sarg“ von Loop Biotech seit 2022, dieses Jahr wurde auch die „lebende Urne“ ins Sortiment aufgenommen. Preislich bewegen sich die beiden Produkte im Vergleich zu Echtholz-Särgen und Urnen im Mittelfeld. Darüber, wie viele Pilz-Särge und Urnen seitdem in Österreich verkauft wurden, gibt es keine Zahlen. Trotzdem beobachtet Jürgen Sild ein steigendes Bewusstsein für Umweltschutz und Nachhaltigkeit: „Bei der Bestattungsvorsorge legen Kund*innen häufig Wert auf diese Aspekte und fragen die entsprechenden Beisetzungsarten und Produkte nach.”

Auch Bob Hendrikx ist davon überzeugt, dass der Markt für grüne Bestattungsmethoden in den kommenden Jahren wachsen wird, bis zu 10 Prozent ist seine Prognose. „Der Markt ist riesig, denn wir müssen alle irgendwann sterben.”

Nachtrag (20.11.2024): Wer lieber auf konventionellere naturnahe Bestattungsformen setzt oder niederschwellige Maßnahmen zu nachhaltiger Grabgestaltung sucht, wird hier fündig.

Titelbild: Bestattung Wien