In regelmäßigen Abständen erweitern wir unser Dossier „Klimakrise und Gesundheit in Österreich“. In der sechsten Ausgabe wollen wir herausfinden, wie Menschen mit Behinderungen von der Erderhitzung betroffen sind. Wo liegen die Problemfelder? Wie inklusiv ist die heutige Klimapolitik? Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, um Abhilfe zu leisten?
Ein Beitrag von Matthias Körner, Astrid Sailer und Theresa-Marie Stütz
Nachdem die Ahr, ein kleiner Nebenfluss des Rheins, im Sommer letzten Jahres von Starkregen überflutet wurde, starben mehr als 130 Menschen. Unter den Opfern fanden sich in einem Lebenshilfehaus in Sinzig auch zwölf Menschen mit Behinderungen. Die Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen wurden zwar über das bevorstehende Hochwasser in Kenntnis gesetzt. Niemand informierte sie aber über den tatsächlichen Ernst der Lage. Erst eine halbe Stunde bevor die Überschwemmung die Wände des Lebenshilfehauses eindrückte, wurde der zuständige Pfleger alarmiert. Er war aber alleine im Dienst. Es war daher unmöglich, alle Menschen aus dem Erdgeschoss in den ersten Stock zu retten. Den Verantwortlichen wird ein systematisches Versagen vorgeworfen.
Die Sterblichkeitsrate in Naturkatastrophen liegt bei Menschen mit Behinderungen zwei- bis viermal höher als bei Menschen ohne Behinderungen. Laut Julia Moser von Licht für die Welt sei dies „nicht nur durch die Behinderungen vorherbestimmt, sondern die vermeidbare Folge eines mangelhaft inklusiven Katastrophenschutzes.”
“Ohne Hilfsmittel wie Krücken, Rollstuhl oder Blindenstock von A nach B zu gelangen, an Lebensmittel zu kommen, die Toilette zu benutzen oder gar aus einem Haus zu fliehen, ist für Menschen mit Behinderungen, für Alte und Schwache eine Herausforderung, oft sogar unmöglich”, erklärt Kerstin Bottesch von der gemeinnützigen Organisation Handicap International, die sich weltweit für Entwicklungszusammenarbeit und Nothilfe engagiert.
Deshalb schlägt Robert Öllinger von myAbility vorsorgende Maßnahmen vor. Das Unternehmen ist auf die Förderung von Inklusion am Arbeitsplatz spezialisiert. Wesentlich sei die rechtzeitige Alarmierung, die Unterstützung in den Häusern sowie gut geschulte Einsatzhelfer*innen.
Informationen meist nicht barrierefrei verfügbar
Die mangelnde Barrierefreiheit ist nicht nur auf Katastrophenfälle beschränkt. Wie die Erderhitzung unsere Lebenswelt beeinflusst, ist für viele Menschen mit Behinderungen bisher nicht greifbar. Informationen sind für viele schwer verständlich.
Öllinger plädiert für einen barrierefreien Informationszugang und verweist auf das Zwei-Sinne-System. Dabei sollen mindestens zwei der drei Sinne “Sehen”, “Tasten” und “Hören” angesprochen werden. Dann könne ein Großteil der Menschen erreicht werden. Dies wird unter anderem durch Gebärdensprache oder als Text, der sich für Screenreader eignet, möglich. Auch Warnungen in Leichter Sprache seien ein Lösungsansatz. Leichte Sprache orientiert sich an Menschen mit Lernschwierigkeiten, verzichtet auf lange Sätze und komplizierte Formulierungen. Je kürzer und einfacher, desto verständlicher lautet die Devise. So sollte eine bessere Aufklärung über die Klimakrise gelingen.
Die Ahrtal-Flut zeigte, wie wichtig barrierefreie Kommunikation ist. Für solche Fälle gibt es in Österreich und Deutschland bereits das Warnsystem KATWARN. Dieses warnt Menschen mit Behinderungen vor Extremwetterereignissen oder Umweltkatastrophen und war auch während der Ahrtal-Flut im Einsatz. Katastrophenwarnungen sind per App, E-Mail oder SMS empfangbar und so vor allem für gehörlose Menschen eine barrierefreie Alternative zu Radio- und Sirenenwarnungen.
Betroffene berichten allerdings von Lücken im Warnsystem auf lokaler Ebene in Österreich. Fredrik Fischer, ebenfalls von myAbility, weist darauf hin, dass Warnungen in österreichischer Gebärdensprache oder in Leichter Sprache noch nicht verfügbar seien.
Mehrfache Benachteiligung in der Klimakrise
Weltweit beziffert die WHO die Anzahl der behinderten Personen mit über einer Milliarde. In Österreich ist es nahezu jede*r Fünfte. Was Barrierefreiheit und Inklusion betrifft, gebe es im Umgang mit der Klimakrise noch viel Luft nach oben – so lautet das Fazit der jährlichen Konferenz des Österreichischen Behindertenrates vom 16. September 2022. Denn Menschen mit Behinderungen spüren die Erderhitzung stärker.
Der UN-Menschenrechtsrat (UNHRC) klassifiziert sechs Bereiche, in welchen Personen mit Behinderungen besonders von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen sind:
- Gesundheit
- Nahrungsmittelsicherheit
- Wohnen
- Wasser und sanitäre Versorgung
- Lebensunterhalt und Arbeit
- Mobilität (Bewegungsfreiheit)
“Es gibt Personen wie jene mit Trisomie-21, die beispielsweise durch ihre Behinderungen mit Herz-Kreislaufproblemen leben”, sagt Fredrik Fischer. In den immer heißer werdenden Sommern könne dies lebensbedrohlich sein. Außerdem haben “einige Menschen mit hochliegenden Rückenmarksverletzungen eine geringere Fähigkeit zu schwitzen, was ihre Empfindlichkeit gegenüber Hitzewellen erhöht”, berichtet die internationale Hilfsorganisation Licht für die Welt.
Ein weiteres Beispiel sind sogenannte Zoonosen, die durch die Erderhitzung häufiger auftreten. Menschen mit Vorerkrankungen werden durch diese stärker belastet. Mex M. ist einer von ihnen. Er hat Multiple Sklerose. Seine Symptome verstärken sich mit zunehmender Außentemperatur. Daher hat er sein Recht auf Klimaschutz für seine Gesundheit in Österreich am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingeklagt. Mit der Klage soll aber auch eine Beschwerdemöglichkeit für Betroffene erreicht werden. Bisher wurden die Verfahrenskosten über ein Crowdfunding gedeckt. Ein Urteil über das Verfahren ist noch ausstehend.
Menschen mit Behinderungen sind zudem öfter von Armut gefährdet. Sie trifft die Klimaerhitzung laut Markus Ladstätter vom Verein BIZEPS, einer Beratungsstelle für Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige, doppelt: „Einerseits, weil sie die Auswirkungen zu spüren bekommen und andererseits, weil sie durch teils fehlende finanzielle Ressourcen die Auswirkungen nicht lindern können.“ „Verglichen mit 60 % der Menschen ohne Behinderungen, sind nur 36 % der Menschen mit Behinderungen erwerbstätig”, erklärt Julia Moser. Für viele wäre zum Beispiel der Heizungstausch unleistbar.
Mitzubedenken ist außerdem ein barrierefreier Zugang zum Gesundheitssystem. Zusätzlich zur höheren Armutsgefährdung haben viele Menschen mit Behinderungen einen erhöhten Assistenzbedarf bei Arzt- und Krankenhausbesuchen. Das sind zum Beispiel Gebärdensprachdolmetscher*innen, die nicht immer zur Verfügung stehen.
Mitreden und mithandeln ermöglichen
Auch die Teilhabe in der Klimabewegung wird Menschen mit Behinderungen erschwert. “Demonstrationen gegen geführte Klimapolitik oder spezifische Maßnahmen werden teils sehr exkludierend geführt”, erklärt Fredrik Fischer.
So kommen bei politischen Entscheidungen Menschen mit Behinderungen kaum zu Wort. Das europaweite Plastikstrohhalmverbot ist ein Beispiel für nicht inklusive Klimaschutzmaßnahmen, bei denen Menschen mit Behinderungen nicht mitgedacht wurden. Viele behinderte Menschen benötigen Strohhalme zum Trinken. Einen gleichwertigen Ersatz gibt es nicht. Die Folge ist eine erschwerte Flüssigkeitszufuhr. Expert*innen empfehlen deshalb, dass Klimapolitik und Krisenpläne gemeinsam mit behinderten Menschen gemacht werden sollten.
„’Nichts über uns ohne uns’ ist das zentrale Prinzip der UN-Behindertenrechtskonvention, und dieses muss auch in der Klimakrise gelten.”
Julia Moser, Licht für die Welt
Klimaschutz und Inklusion gehen Hand in Hand
“Die politisch Verantwortlichen müssen endlich ihrer Verantwortung nachkommen und die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen umsetzen”, kritisiert Inklusions-Experte Ladstätter. Er verweist besonders auf Artikel 11, der “Gefahrensituationen und humanitären Notlagen” gewidmet ist. Mit diesem hat sich Österreich dazu verpflichtet, „den Schutz und die Sicherheit von Menschen mit Behinderungen” zu sichern. Eine Verpflichtung, der das Land bis dato kaum nachkommt.
Die Klimakrise zeigt die Behindertenfeindlichkeit als strukturelles Problem auf. Um dagegen vorzugehen, muss gesellschaftliche Inklusion selbstverständlich werden. Der Stellenwert von marginalisierten Bevölkerungsgruppen muss mehr in die Mitte der Gesellschaft gerückt und soziale Teilhabe ermöglicht werden.
Um die Erderhitzung wirksam einzudämmen und unsere Lebensgrundlage zu erhalten, sind viele Veränderungen und Umgestaltungen nötig. Dies beginnt bereits mit Chancengleichheit am Arbeitsmarkt, aber auch bei der Etablierung von diversen Informationsangeboten. Diese Maßnahmen müssen jedoch unbedingt unter Berücksichtigung von Menschen mit Behinderungen überlegt und umgesetzt werden. “Es wäre effizient und naheliegend, alle Veränderungen im Namen des Klimaschutzes gleichzeitig und konsequent zur Schaffung von Barrierefreiheit und Inklusion zu nutzen”, schlägt auch der Österreichische Behindertenrat vor. Wir können den Schutz unserer Lebensgrundlage als Chance nutzen, um unsere Welt inklusiver zu gestalten. Denn alle Menschen sollten davon profitieren und ein gutes Leben führen können.
Illustration: Blanka Vaszi