Warum die Nationalratswahl diesmal keine “Klimawahl” ist – ein Interview mit Lukas Bayer

Warum die Nationalratswahl diesmal keine “Klimawahl” ist – ein Interview mit Lukas Bayer

Ein Tag vor der Nationalratswahl 2024 steht der Wahlkampf kurz vor seinem Ende. Bislang dominieren dabei Themen wie Migration und Teuerung. Über den Klimaschutz wird erstaunlich wenig gesprochen. Welche Verantwortung tragen die Medien für diese Lücke im Diskurs? Und wie sieht eine Berichterstattung aus, die die Klimadimension konsequent mitdenkt? Ein Interview mit Klima-Journalist Lukas Bayer. 

Welche Rolle spielt das Klima in diesem Wahlkampf bislang?

Lukas Bayer: Bis zum Hochwasser hat es kaum eine Rolle gespielt. Mit der Flutkatastrophe ist das Klimathema doch noch aufgekommen, auch in den Medienberichten. Man sieht aber, dass etwa ÖVP und FPÖ den Zusammenhang mit der Klimakrise bewusst nicht ziehen und Renaturierung und Bodenverbrauch nicht thematisieren. Grüne und auch einige SPÖ-Politiker haben es dagegen sofort politisch genutzt und in Zusammenhang gesetzt. Diese Wahl wird aber keine Klimawahl, wie wir sie 2019 erlebt haben.

Woran liegt das? Auch vor dem Hochwasser hätte es ja Anknüpfungspunkte wie zum Beispiel die Hitzewellen im Sommer gegeben. 

Lukas Bayer: Dafür gibt es mehrere Erklärungen. Einerseits ist das Thema nicht mehr neu. 2019 war das noch eher der Fall, als es das erste Mal wirklich hochgekommen ist. Damals gab es von Seiten der Zivilgesellschaft über Fridays for Future einen großen Aufschwung. Dieser fehlt jetzt. Der Wahlkampf spiegelt in dem Sinne wider, dass das Thema allgemein in den Hintergrund gerät. Die Menschen haben große Sorgen um Energie, Migration und die Teuerung – aber weiterhin auch um ein sicheres Klima. Doch die Parteien, abgesehen von den Grünen und teilweise der SPÖ, vermeiden den Diskurs. . 

Welche Rolle spielen die Medien dabei? Sind Klimafragen in der Berichterstattung zur Nationalratswahl ausreichend präsent?

Lukas Bayer: Es ist schwierig, das pauschal für alle Medien zu sagen. In den großen TV-Duellen oder den Sommergesprächen war es vor dem Hochwasser kaum präsent. Leider ist in den Sommergesprächen des ORF fast ausschließlich die Partei zum Klima befragt worden, der man Klimathemen schon zuschreibt – die Grünen. Dadurch wird vermittelt, dass ein sicheres Klima ein parteipolitisches, grünes Thema ist, obwohl es alle Lebensbereiche, alle Parteien und alle Wähler*innen betrifft. 

Nach dem Hochwasser hat es zwar mehr Fragen zum Klima gegeben, vor allem zur Klimawandelanpassung und zur Renaturierung. Angesichts der Größe dessen, was da auf uns zukommt und der Transformation, die in allen Bereichen nötig ist, wird das dem Ausmaß aber überhaupt nicht gerecht. 

Wer trägt dafür letztlich die Verantwortung? Wenn Politiker*innen und Parteien das Thema nicht auf die Agenda bringen, sollten Journalist*innen es dann tun?

Lukas Bayer: Ich denke ja, weil man als Journalist*in eine Verantwortung gegenüber den Menschenrechten, der Demokratie und dem Rechtsstaat trägt. All das ist gefährdet, wenn die Grundlage weggespült wird und zusammenbricht. 

Journalist*innen und Medienschaffende können nicht immer auf die Politik warten, bis sie ein Thema aufbringt. Es gibt auch  Institute, NGOs und Thinktanks, die in Studien beispielsweise Lösungsansätze erarbeiten oder kritisieren, wenn die Klimapolitik stockt. Es gibt also genügend Anlässe, über die man berichten könnte.

Zum Beispiel über die Frage, wie man ein “Autoland” transformiert, in dem ein Teil der Industrie und Wirtschaft darauf ausgerichtet ist, Autoteile für Verbrenner zu produzieren. Da geht es etwa darum, was mit den Arbeitsplätzen und der Infrastruktur in diesen Gegenden passiert. Wie man dem Fachkräftewandel entgegentritt. Oder wer für die Kosten aufkommt. 

Wie schafft man es als Journalist*in, diese Themen auf die Agenda zu setzen, ohne den Aktivismus-Vorwurf zu füttern, der Klimajournalist*innen gerne entgegengebracht wird?

Lukas Bayer: Ich glaube, wir stellen die Frage nach dem Aktivismus zu oft. Es gibt ein journalistisches Handwerk. Das muss man anwenden, damit man nicht Greenwashing oder PR für gewisse Unternehmen oder Parteien betreibt. Ansonsten ist das aber eine Scheindebatte. Ich würde umgekehrt sagen: Ist es nicht Aktivismus, über Klimathemen nicht zu berichten, obwohl sie die gesamte Gesellschaft betreffen?

Wie könnte eine Wahlkampfberichterstattung aussehen, die die Klimadimension konsequent mitdenkt? Worauf sollten Journalist*innen achten?

Lukas Bayer: Sie muss greifbarer werden und Themen aufgreifen, die die Menschen tatsächlich betreffen. Anlässe wie der Hitzesommer mit den vielen Tropennächten oder aktuell das Hochwasser sind eine gute Ausgangslage, um in die Lebensrealität der Menschen hineinzuschauen. Wir sollten fragen, was die Politik unternimmt, damit nicht das vierte Jahrhundert-Hochwasser in diesem Jahrhundert erneut Häuser in Niederösterreich flutet.

Es geht also darum, Politiker*innen mehr als nur eine Frage zum Klima zu stellen. Zum Beispiel zum Renaturierungsgesetz. Wie geht es damit weiter und was bedeutet die Umsetzung der Vorgaben für Österreich? Was war mit dem Erneuerbare-Wärme-Gesetz oder den fehlenden Gesetzen wie dem Elektrizitätswirtschaftsgesetz? Gerade vor den Wahlen müssten Journalist*innen hier nachhaken. Wir dürfen uns nicht mit Antworten begnügen, die nur an der Oberfläche kratzen, die Verantwortung abschieben oder das Problem verharmlosen.

Darüber hinaus braucht es aber einen strukturellen Ansatz. Wir müssen uns überlegen, wie wir die Klimaberichterstattung in alle Ressorts einbetten. Es geht darum, dass Klima als Querschnittsthema überall mitgedacht wird und das zum Selbstverständnis wird.

Was ist in der Klimaberichterstattung dieses Jahr denn richtig gut gelaufen?

Lukas Bayer: Bei Extremwetterereignissen wie Hitze und Starkregen, wird der Klimazusammenhang mittlerweile öfter genannt. Bei der Berichterstattung zum aktuellen Hochwasser wurde beispielsweise laut einer Auswertung von APA-Comm in jedem dritten Beitrag der Klimawandel thematisiert. Allgemein müssten diese Beiträge aber noch tiefer gehen; wir müssen stärker über das “Warum” und über “Was jetzt?” reden.

Auch die Bebilderung ist angemessener geworden. In gewissen Medien, vor allem im Boulevard, sehen wir aber noch immer, dass Hitzewellen mit Frauen im Bikini, Frauen mit Fächer, Frauen, die sich an den Kopf fassen oder eis-schleckenden Kindern verharmlost werden. Das wird zwar weniger, aber Sexualisierung und Verharmlosung sind eigentlich ein No-Go.

Lukas Bayer ist freier Klima- und Wissenschaftsjournalist und Vorstand im Netzwerk Klimajournalismus Österreich. Bis 2023 leitete er das Projekt Klimareporter.in.

Titelbild: (c) Daniela Cabrilo