Jasmin Duregger: „Nicht die inklusivste COP, die es jemals gab“

Jasmin Duregger: „Nicht die inklusivste COP, die es jemals gab“

Die Klima- und Energieexpertin Jasmin Duregger ist für die NGO Greenpeace Österreich als Beobachterin auf der 26. Weltklimakonferenz im schottischen Glasgow. Im Interview erzählt sie, wie sie ihre erste COP inmitten einer globalen Pandemie erlebt. Den Medien rät sie davon ab, die Konferenz bereits abzuschreiben – gleichzeitig spart sie aber nicht mit Kritik.

Halbzeit in Glasgow – wie geht es Dir?

Ich bin etwas erschöpft. Binnen zwei Wochen wird hier die globale Klimapolitik verdichtet diskutiert, oft bis in die Nacht hinein. Da braucht man jede Energiereserve, die man hat. Aber man merkt, dass sich etwas tut.

Als Klima- und Energieexpertin von Greenpeace Österreich bist Du als Observer, also als Beobachterin, akkreditiert. Was versteht man darunter und wie kann man sich Deine Aufgaben in Glasgow vorstellen?

Als Observer kann man bei den Verhandlungen zuschauen. Normalerweise kommen aber nur die Vertragsparteien zu Wort, also die einzelnen Staaten. Es gibt viele Sessions über den Tag hinweg: etwa zu den Kohlenstoffmärkten, zu Transparenzkriterien oder zu Adaptation – also zu Anpassungsmaßnahmen an die klimatischen Veränderungen, die neben den Klimaschutzmaßnahmen selbst besonders wichtig sind.

Sollten die Verhandlungen intensiver werden oder zu stocken beginnen, geht es manchmal in informelle Gespräche über. Dort dürfen Beobachtende nicht mehr zusehen. Erst wieder, wenn man sich zurück auf die formelle Ebene bewegt.

Wir können bei Greenpeace nicht alle Gespräche gleichzeitig verfolgen, sondern fokussieren uns auf das Wichtigste. Dabei tauschen wir uns auch mit anderen NGOs aus, vor allem über das Climate Action Network – ein Netzwerk aus 1.500 NGOs aus über 130 Ländern – und teilen unsere Notizen mit dem gesamten Netzwerk. So können wir überhaupt erst überblicken, was alles gesagt wird.

Manchmal gehen wir aber auch aus der observierenden Rolle heraus. Wenn eine Vertragspartei blockiert, fragen wir genauer nach und üben Druck aus, damit etwas weitergeht.

Ist den Beobachtenden wirklich nur Zuhören erlaubt?

Ja. Dort, wo die Parteien verhandeln, hören wir nur zu. Aber diese fachliche, technische Diskussion ist bloß ein Teil der Klimakonferenz. Daneben werden auch viele Klimaschutzmaßnahmen angekündigt. Täglich werden zig Reporte veröffentlicht. Gemeinsam mit der britischen COP-Präsidentschaft wurde letzte Woche so einiges verkündet: etwa der Wald-Deal oder der Kohleausstieg einiger Länder. Diese Ankündigungen sind nicht offizieller Bestandteil der Klimakonferenz, werden hier aber getätigt, weil gerade die ganze Welt auf Glasgow schaut.

Problematisch ist, dass sich bei den technischen Verhandlungen kaum jemand auskennt. Großbritannien will als Gastgeberland glänzen und hat deshalb zu Beginn viele solcher Deals verkündet. Wir sehen das zwiegespalten. Teilweise sind es gute Ankündigungen und richtige Schritte. Ganz oft werden aber einfach bisher schon bestehende Versprechen zu einem neuen Paket zusammengeschnürt. Viele für den Kohleausstieg wichtige Länder – etwa Australien, Indien, China – sind nicht beim Deal dabei. Das Waldabkommen gibt es in ähnlicher Form bereits. Wo Licht ist, da ist also auch Schatten.

Bei den UNFCCC-Zwischenverhandlungen diesen Sommer gab es einen großen Aufschrei, als China Beobachtende aus den Transparenz-Verhandlungen ausschließen ließ. Ist es üblich, dass Staaten beschließen, in informelle Verhandlungen überzugehen?

Das gibt es immer wieder. Anfangs wird zwar betont, dass Verhandlungen für Beobachtende offengehalten werden sollen, aber trotzdem geht es später oft in informelle Gespräche über. Natürlich ist das problematisch. Wir können dann nicht mehr live verfolgen, wer blockiert und dafür an die Wand gestellt gehört. Über einige Ecken bekommen wir dennoch mit, was so passiert, denn auf den Gängen wird viel gesprochen und manchmal kommen auch einzelne Staaten auf uns zu.

Es ist die erste Klimakonferenz für Dich. Bist Du alleine hier oder gibt es so etwas wie ein Team Greenpeace?

Offiziell sitze ich auf einem Ticket der österreichischen Delegation, also auf einem „Pink Badge“. Hauptsächlich bin ich aber mit der Greenpeace-Delegation unterwegs. Hier haben die meisten ein „Yellow Badge“ – also eine gelbe Eintrittskarte für Observer. Wir sind circa 30 bis 40 Leute aus verschiedensten Ländern. Viele sind aus dem globalen Süden, was uns ein Anliegen war, denn meist sind gerade diese Menschen hier unterrepräsentiert. Der Zugang ist für sie schwierig. Zwei Delegierte aus Afrika haben nicht rechtzeitig ein Visum bekommen, deshalb konnten sie erst eine Woche später anreisen.

Wir schlafen alle zusammen in einem Hostel. Morgens und abends gibt es eine gemeinsame Besprechung. Die Dinge ändern sich fast im Minutentakt. Was vor einem halben Tag aktuell war, kann mittlerweile schon überhaupt nicht mehr stimmen.

Wie sehr können NGOs die Verhandlungen beeinflussen?

Schon sehr. Wenn man hier gesammelt auftritt, ist einiges möglich. Keine der Vertragsparteien kommt mit einer fixen Position. Verhandlungspunkte wie die Klimafinanzierung wirken sich auch auf andere Themenfelder aus. Das Ziel, hundert Milliarden Dollar an Klimafinanzierung bereitzustellen, wurde nicht erreicht. Nun suchen die Entwicklungsländer überall nach Geld, um die Lücke zu schließen. Wenn sie das Geld bei den Verhandlungen zu Adaptation nicht finden, könnten sie bei anderen Verhandlungen blockieren.

Hier können wir aber einwirken, indem wir auf die Medien zugehen und zeigen, wer sich querlegt. Kein Land will zuhause als Blockierer und gegen Fortschritt dargestellt werden. Der Druck von medialer und öffentlicher Seite bewirkt oft, dass doch noch etwas weitergeht.

Du hast in einem Tweet die Metapher der österreichischen Klimaanwältin Michaela Krömer aufgegriffen, die Klimakonferenz sei wie ein freiwilliger WG-Putzplan. Wie kann man sich das vorstellen?

Der freiwillige WG-Putzplan basiert darauf, dass das Pariser Klimaabkommen sehr lose ist. Es ist ein Staatenvertrag zwischen vielen unterschiedlichen Ländern, der nicht direkt eingefordert werden kann. Es gibt keine Sanktionen, wenn etwas nicht funktioniert – ähnlich eines freiwilligen WG-Putzplans. Vielleicht wird man irgendwann rausgeschmissen, eigentlich aber gibt es keine Sanktionen.

Ich habe die Metapher zu unterschiedlichen Teilen des Vertrags gezogen. Man hat sich auf 1,5 Grad Celsius geeinigt, um die Erderhitzung zu beschränken. Im WG-Putzplan wäre das eine Einigung darauf, alle eineinhalb Wochen die Wohnung zu putzen.

Im Pariser Vertrag haben wir auch unterschiedliche Voraussetzungen. Manche Länder sind gut entwickelt und haben viele Möglichkeiten, andere wiederum nicht. Auch im Putzplan bezieht man mit ein, wer mehr Zeit hat und wer die besseren Putzgeräte hat.

Aktuelle Verhandlungen wie der Artikel 6 zu den Kohlenstoffmärkten können auch mit dem Putzplan erklärt werden. Hier geht es darum, dass sich Länder freikaufen könnten, wenn sie ihre Klimaschutzverpflichtungen nicht einhalten. Das wäre, als würde ich sagen, ich kann zwar nicht putzen, aber ich gebe dir 20 Euro und dafür putzt du meinen Teil. Das ist aber schwierig, weil umgekehrt gesagt werden könnte, ich habe ja nicht für dich geputzt, sondern für mich selbst. Bei den Kohlenstoffmärkten ist das das Problem der Doppelzählungen. Man weiß nicht, wer sich die Klimaschutzmaßnahmen anrechnen lassen darf, was wir bei Greenpeace sehr kritisch sehen.

Greenpeace ist Mitglied des NGO-Netzwerks Climate Action Network, das täglich den „Fossil of the Day“-Award an jenes Land vergibt, das sein Bestes gibt, das Schlechteste für den Klimaschutz zu tun. Wem würdest Du diese Auszeichnung für die erste Woche verleihen?

Das ist schwierig, denn es gibt hier einige Vorreiter. Saudi-Arabien blockiert gerade auf vielen Ebenen. Sie wollen gar keine Schlussentscheidungen mit politischen Zielen. Australien ist an seinen Taten gemessen ein Wahnsinn. Man glaubt ja, Australien ist ein entwickeltes Land und würde hier progressiver sein, doch sie bauen nach wie vor massiv Kohle aus und haben nicht vor, das zu stoppen. Zudem haben sie extrem niedrige Klimaschutzversprechungen, das ist beschämend.

Brasilien ist wegen der Kohlenstoffmärkte schwierig. Sie wollen sich die Zertifikate aus dem alten Kohlenstoffmarkt des Kyoto-Protokolls anrechnen lassen. Das hieße konkret, Klimaschutzmaßnahmen, die vor sieben Jahre getätigt wurden, sollen plötzlich heute für die Emissionsreduzierung angerechnet werden. Innerhalb der Europäischen Union ist es jedenfalls Polen, das immer wieder stark blockiert.

Die Vertragsstaaten verhandeln meist nicht einzeln, sondern in Verhandlungsblöcken. Es gibt Beispielsweise die G77 + China, die Europäische Union oder die Gruppe der Small Island States. Tritt Österreich auch als eigenes Land auf, oder kann nur die EU als Ganzes abstimmen?

Beides ist möglich. Man spricht dann entweder “on behalf of Austria“ oder „on behalf of the EU”. Diese Blöcke sollen die Verhandlungen beschleunigen. Bei über 190 Vertragsparteien würde es ewig dauern, bis alle zu Wort kommen. Deshalb spricht meist jemand stellvertretend für einen dieser Verhandlungsblöcke und dann nur noch jene Länder, die etwas hinzufügen möchten.

Spannend ist diesbezüglich die High Ambition Coalition. Die EU hat diese nicht als Ganzes unterschrieben, Länder wie Österreich, Frankreich oder Deutschland aber schon. Es gibt also durchaus abweichende Positionen innerhalb des Blocks der Europäischen Union.

Neben des „Fossil of the Day” gibt es auch den „Ray of the Day”-Award. Wer ist dein Lichtblick der ersten Woche?

Die Rede von Barbados war sehr spannend und inspirierend. Solche Reden haben zwar keinen offiziellen Status, sind aber wichtige Symbolpolitik. Ein Lichtblick ist auch Schottland mit seiner Ankündigung, eine Millionen Dollar mehr in den „Loss and Damage“-Fond einzuzahlen, der für Klimakatastrophen vorgesehen ist. Das ist zwar eine symbolische Summe, aber eine wichtige.

Neuseeland hat mir auch gut gefallen. Es gibt am Ende der Klimakonferenz eine Abschlussbestimmung. Uns wichtig, dass sich hier alle Vertragsstaaten explizit darauf einigen, die Subventionen für die fossilen Energien Kohle, Öl und Gas zu streichen. Neuseeland hat sich hierfür besonders eingesetzt. Insofern haben auch die Kohleausstiegs-Ankündigungen ihre Berechtigung. Der Druck wird immer größer.

Pandemie, Visa-Beschaffung, Barrierefreiheit, Zugang zum Konferenzgelände und in die Verhandlungen, etc. – ist es die „inklusivste aller Klimakonferenzen“, wie es Premier Boris Johnson im Vorfeld oft betont hat?

Nein, sicher nicht. Die Visa-Beschaffung hat teilweise nur auf Druck funktioniert. Viele Plätze sind immer noch leer. Anfangs gab es auch große Probleme mit dem Zugang zur Konferenz. Ich bin die ersten Tage eineinhalb Stunden in der Schlange gestanden. Viele Verhandlungen haben deshalb erst später begonnen.

Die Internetplattform bricht auch immer wieder zusammen. Wenn dann gerade Österreich spricht, gibt es keine Möglichkeit, denn Stream nachzusehen.

Durch die Corona-Pandemie ist die Anzahl an erlaubten Personen in den Räumen sehr beschränkt. Ich war noch in keinem einzigen Verhandlungsraum drin, sondern sitze meistens vor der Tür an einer „Working Station“ und streame die Verhandlungen auf dem Computer. Das ist sicherlich nicht die inklusivste COP, die es jemals gab.

Am Samstag waren alleine in Glasgow über 100.000 Menschen auf der Straße, ein kilometerlanger Demonstrationszug durch die Gassen. Mit Greenpeace warst Du auch dabei. Wie hast Du die Demonstration erlebt?

Es war sehr erfrischend. Wir sitzen hier 14 bis 15 Stunden in künstlich belichteten Räumen und schauen auf unseren Computer. An der frischen Luft zu sein gibt viel Energie und es ist toll zu sehen, was hier passiert.

Wie ist die Stimmung auf der Straße?

Viel Frustration. Aber nicht bloß auf dieser COP, sondern das liegt am Prozess von Klimakonferenzen. Es wirkt realitätsfern. Wir bräuchten klare Ansagen, verhandeln aber über technische Details oder machen die halbe Zeit nur Symbolpolitik. Das hat man auch bei der Rede der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg rausgehört. Sie sagt jetzt schon, dass die COP ein Versagen sei. Es liegt an den Vertragsstaaten, zu zeigen, dass dies nicht der Fall ist. Sie müssen zeigen, dass diese Klimakonferenzen nach wie vor Berechtigung haben.

Jasmin Duregger gemeinsam mit einem russischen Greenpeace-Mitstreiter auf dem Klimastreik in Glasgow
Jasmin Duregger gemeinsam mit den russischen Klimaaktivisten Vasily Yablokov (Greenpeace) und Arshak Makichyan (Fridays for Future) auf dem Klimastreik in Glasgow

Gibt es für Dich nach einer Woche so etwas wie Routine? Wie sieht ein typischer Tag auf einer Klimakonferenz aus?

Um halb sieben gehe ich frühstücken, eine Stunde später haben wir dann ein einstündiges Briefing, bei dem wir den Tagesablauf besprechen. Wir erfahren, welche Sessions für unsere Anliegen relevant sind und besprechen, wer wo zuhört. Parallel dazu gibt es viele Medienanfragen, die zu beantworten sind.

Wir suchen auch das Gespräch mit den Delegierten und mit vielen Wissenschaftler:innen, die vor Ort sind. Abseits davon sind Presseaussendungen zu schreiben und wir müssen die Medien auf dem Laufenden halten. Das füllt schon sehr intensiv den Tag.

Wir versuchen auch, uns mit Gleichgesinnten zu verbünden. Nicht nur mit NGOs, sondern etwa auch mit der High Ambition Coalition. Bei Greenpeace ist niemand permanent Freund oder Feind, sondern wir suchen nach gemeinsamen Zielen.

Ansonsten ist es einfach super intensiv. Die Logistik ist schwierig. Jeden Tag brauche ich eine halbe Stunde zum Konferenzzentrum und dann sind dort noch die Security Checks, die viel Zeit in Anspruch nehmen.

Bleibt dazwischen noch Zeit, Dir die Stadt anzusehen oder ins Museum zu gehen?

Nein. Ich habe von Glasgow tatsächlich nur das Hostel und das Eventzentrum gesehen. Wir wohnen in der Nähe des Hauptbahnhofs und in der Gegend gehe ich abends essen, meist aber wieder work-related. Für touristische Attraktionen bleibt leider keine Zeit.

In die „Green Zone“ habe ich es auch noch nicht geschafft. Hoffentlich in der zweiten Woche dann. Die „Blue Zone“ ist der Bereich, in dem die Verhandlungen stattfinden. In der „Green Zone“ gibt es eine Art Messe rund um Klimaschutzmaßnahmen. Hier stellen auch viele Unternehmen aus.

Bei Greenpeace habt ihr euch bemüht, vor allem Personen aus dem globalen Süden mitzunehmen. Wie wichtig ist Inklusion im Kampf für mehr Klimaschutz?

Das ist sehr wichtig, denn gerade die Entwicklungsländer sind die, die die Klimakrise heute schon am stärksten spüren. Die „Small Island States“ sind tatsächlich meist die progressivsten Staaten, denn denen steht das Wasser schon bis zum Hals. Man hat hier auch eindrucksvolle Bilder einer Pressekonferenz aus Tuvalu mitten im Wasser gesehen. Denen geht es ums Überleben. Sonst versinken sie im Meer.

Auf der Klimakonferenz laufen viele Veranstaltungen parallel ab. Wie entscheidest Du, welche Termine und Veranstaltungen Du wahrnimmst?

Wir versuchen zu priorisieren. Uns geht es vor allem um die fossilen Energien und darum, uns klar gegen die Kohlenstoffmärkte zu positionieren. Hier soll es zu keiner Entscheidung kommen, denn das muss größer interpretiert werden.

Wir wollten zwar weniger über das Politische sprechen, ganz drum herum kommen wir aber nicht. Womit darf man in der zweiten Woche noch rechnen? Was erwartest Du dir von den restlichen Tagen dieser Klimakonferenz?

Ich würde sagen, alles ist noch offen. Viele hatten Angst vor einer COP, wie es 2009 in Kopenhagen der Fall war. Die ist ergebnislos als schlimmste COP in die Geschichte eingegangen. Danach sieht es aber nicht aus. Die Stimmung in den Verhandlungen ist halbwegs positiv. Bei einigen Punkten kommt man gut voran. Am Ende wird es ein großer Kuhhandel zwischen den einzelnen Parteien und wer wo nachgibt.

Ich erhoffe mir ein klares Bekenntnis zum Ende der fossilen Energien. Nicht nur im Rahmen von Deals, sondern klar formuliert in der Schlussentscheidung. Wir erwarten uns zudem eine Absage an die Kohlenstoffmärkte, denn die würden den Pariser Klimavertrag verwässern.

„Wir haben kein Klimaschutzgesetz und keine Ahnung, wie wir 2040 Klimaneutralität erreichen sollen. Im Moment sieht es nach Vertragsbruch des Pariser Abkommens aus.“

Nach wie vor erwarten wir auch, dass die Länder verstehen, wie wichtig Klimaschutzfinanzierung ist. Ohne diese Mittel werden Entwicklungsländer kaum zu Kompromissen bei anderen Verhandlungspunkten bereit sein. Beim World Leaders Summit haben wir schon einige Zusagen gehört. Es ist aber schwer zu sagen, ob das neues Geld oder nur neu verpacktes Geld ist und wie all das aufgeteilt wird.

Es geht auch darum, nicht nur hier in Glasgow zu glänzen. Wenn die österreichische Delegation wieder abreist, müssen Taten folgen. Wir haben kein Klimaschutzgesetz und keine Ahnung, wie wir 2040 Klimaneutralität erreichen sollen. Im Moment sieht es nach Vertragsbruch des Pariser Abkommens aus. Wir machen nicht genug. Österreich muss auch die Emissionen im Verkehrssektor extrem nach unten schrauben. Das Klimaticket ist zwar eine super Sache und ich habe mir meines auch schon gekauft, aber Vorhaben wie der Lobautunnel und Millionen für den Straßenbau gehen nicht mit dem einher, was hier in Glasgow besprochen wird. Dementsprechend braucht es klare Ansagen.

Was würde ein Vertragsbruch des Pariser Abkommens für Österreich bedeuten, gibt es hier doch keine Sanktionsmöglichkeiten?

All das basiert auf Gruppenzwang, wie beim WG-Putzplan. Wenn man selbst nicht putzt, kippt die Stimmung. Das kann sich auf andere Bereiche auswirken. Wenn ein Land beim Klimaschutz blockiert, könnte es sein, dass sich die anderen Staaten bei einem darauffolgenden Wirtschaftsgipfel querlegen.

Prinzipiell ist es die Idee einer sich positiv verstärkenden Spirale. Daher rührt auch das Raufschrauben der Klimaschutzziele. Alle paar Jahre sollen neue Klimaschutzpläne vorgelegt werden. Gerade hatten wir die erste Runde und haben gemerkt, dass wir mit den jetzigen Plänen auf 2,7 Grad anstatt auf 1,5 Grad kommen. Mit diesem Wissen müssen die Ambitionen erhöht werden, um gemeinsam 1,5 Grad zu erreichen. Für Österreich bedeutet das konkret minus 65 Prozent der Emissionen bis 2030. Das haben wir auch in den EU-Verhandlungen lange gefordert. Österreich muss sich dazu bekennen.

Jasmin Duregger auf der 26. Weltklimakonferenz in Glasgow

Wir sind schon fast am Ende unseres Gesprächs. Gibt es etwas, dass Du noch hinzufügen möchtest?

Eines noch: Bundeskanzler Alexander Schallenberg war nur für Symbolpolitik und eine Rede in Glasgow. Jetzt rücken die Klima- und Umweltminister:innen an. Sie haben weit mehr Mandat und Handhabe über die Verhandlungen und müssen stark und progressiv auftreten. Mit Leonore Gewessler haben wir zum ersten Mal eine Klimaschutzminsterin der Grünen. Sie ist in vielen Belangen progressiv und hat einiges weitergebracht. Anderes sehen wir natürlich problematisch, etwa das Klimaschutzgesetz, die schwache Steuerreform oder das Lobau-Projekt. Es wird spannend, wie sie als Grüne Klimaministerin am internationalen Parkett auftritt und ob sie sich traut, aus dem Schatten der EU zu treten. Ich bin jedenfalls gespannt und werde das über meinen Computer genau beobachten.

Die Rolle des Journalismus in der Klimakrise wird immer mehr zum Thema. Wie sollen die österreichischen Medien über diese Klimakonferenz berichten?

Ich würde davon absehen, die Konferenz bereits abzuschreiben. In der ersten Woche hatte ich öfter das Gefühl, man gehe ohnehin davon aus, dass es ein Versagen wird. Von dieser Einstellung möchte ich abraten. Die globale Politik ist wirklich schwierig und unverbindlich. Trotzdem ist es wichtig, dass die Vertragsparteien am Tisch bleiben. Es zählt nicht nur, was niedergeschrieben wurde, sondern es geht um die Signale an die Welt und die Wirtschaft dort draußen.

Wichtig ist vor allem, dass die Medien hinschauen und aufdecken. Sie müssen anprangern, wenn einzelne Länder blockieren. Das erhöht den Druck auf die Politik und kann zu progressiveren Ergebnissen führen.

Wir bedanken uns bei Jasmin Duregger für das Gespräch!

Hinweis: Das Gespräch wurde per Videokonferenz am 07. November 2021 geführt. Alle Beitragsbilder wurden privat von Jasmin Duregger zur Verfügung gestellt.