Kernfusion: Der Wettlauf um die Sonne auf Erden

Kernfusion: Der Wettlauf um die Sonne auf Erden

Wissenschafter*innen weltweit liefern sich gerade einen Wettstreit um Tritium, einer Sonderform des Wasserstoffs, der bei der Kernfusion benötigt wird.  Auf lange Sicht könnte die Kernfusion unter den richtigen politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten 30 Prozent des weltweiten Energiemixes ausmachen.

Beim Stichwort Provence schießen den meisten wohl sehr schnell einige assoziative Bilder durch den Kopf: Lavendel, „das Parfum“, der letzte Urlaub womöglich. Allerdings beheimatet die Provence nicht nur wunderschöne Gebirgslandschaften und atemberaubende Küsten, sondern ebenso einen Versuchsreaktor für Kernfusion, der der größte auf seinem Gebiet ist. Unter dem Namen ITER, lateinisch für Weg, ist ein Projekt bekannt geworden, das nun bald seinen 16. Geburtstag feiert.

Wie funktioniert diese Technologie und wie vielversprechend ist sie?

Stark vereinfacht funktioniert die Energiegewinnung, wie der Name bereits verspricht, durch das Verschmelzen von Atomkernen. Dieser Vorgang findet auf natürliche Weise auch in der Sonne statt. Durch die Erhitzung von bestimmten Wasserstoffmolekülen wird ein Plasma erzeugt. Dieses muss mindestens 150 Millionen Grad Celsius heiß sein, damit die positiv geladenen Atomkerne, die sich eigentlich abstoßen würden, verschmelzen. Durch die aus diesem Vorgang gewonnene Energie wird Dampf erzeugt, der wiederum eine Turbine antreibt. Auf diese Weise ist eine Umwandlung in elektrische Energie möglich.

Für alle, die beim Wort Plasma an Blut gedacht haben: Durch die zugeführte Wärme verlieren die Atome ihre Elektronen. Dieses Gemisch aus freien Elektronen und Atomkernen wird als Plasma bezeichnet.

Im Interview mit klimareporter.in bezeichnet der Plasmaphysiker Friedrich Aumayr von der TU Wien die Kernfusion als “saubere Schwester” der Kernspaltung. Denn bei dieser würden nur minimale Mengen an radioaktiven Abfällen anfallen, die zudem über weitaus geringere Halbwertszeiten verfügen (30 bis 50 Jahre). Ein weiterer Vorteil der Kernfusion ist die Unabhängigkeit von den schwindenden Uranvorkommen und ihrer enormen Energiedichte.

Nicht mehr als ein Versuch

Der Versuchsreaktor ITER ist ein Versuchsreaktor und wird niemals selbst Strom erzeugen. Dies, und auch der zeitliche Horizont ruft Kritiker*innen vor den Vorhang. Bis zumindest 2035 werden lediglich Versuche stattfinden, um bei Erfolg ein neues Kraftwerk zu bauen. Nun steht im Angesicht der Klimakrise die Frage im Raum, ob eine stärkere finanzielle Förderung von bereits etablierten erneuerbaren Energien wie Wind- und Solarenergie sinnvoller wäre. Bisher sind 20 Milliarden Euro von 35 Staaten in das ITER-Projekt geflossen.

Der Physiker Aumayr kritisiert das Ausspielen von Erneuerbaren gegen die Kernfusion: „Wir werden alle Möglichkeiten der CO2-freien Energieerzeugung ausschöpfen müssen.“ Die Kosten seien vergleichsweise gering. Das Retten der Lufthansa hat beispielsweise 9 Milliarden Euro gekostet und geht nicht mit Innovation einher. Der kürzlich verstorbene Red Bull Gründer Dietrich Mateschitz hätte ITER mit seinem Vermögen alleine finanzieren können.

Auch die hohe Dichte von Kernfusion im Vergleich zu herkömmlichen Erneuerbaren und fossilen Energieträgern ist erstaunlich. Mit 350 Kilogramm an Deuterium-Tritium kann man so viel Strom erzeugen wie mit beispielsweise 2.700.000 Tonnen Kohle, 3.000 Windräder (1 MW Leistung) oder 70 Quadratkilometer Solarpanele.

Eine Grafik zeigt, dass Deuterium-Tritium mit 350 kg nur den Bruchteil an Ressourcen für 1 Gigawatt Strom verbraucht, verglichen mit z.B. Uran (25 Tonnen) oder Öl (fast 2.000.000 Tonnen).

Ein kürzlich im Fachmagazin Science erschienenes Paper des theoretischen Physikers Daniel Clery trübt aber die Vorfreude auf Energiegewinnung mittels Kernfusion. Wie zuvor erklärt, wird das Plasma aus Wasserstoff erzeugt. Wasserstoff kommt allerdings in verschiedenen Arten, chemisch gesagt in verschiedenen Isotopen vor. Für die  Kernfusion werden Tritium und Deuterium benötigt. Tritium ist ein äußerst selten vorkommendes und teures Wasserstoffisotop.

Elemente wie beispielsweise Kohlenstoff oder Wasserstoff haben eine gewisse, für sie typische Anzahl an Protonen. Bei allen Wasserstoffisotopen ist die Anzahl an Protonen gleich, die Neutronenanzahl variiert aber. Es handelt sich vereinfacht gesprochen um verschiedene Familienmitglieder einer Elementfamilie.

Nun befürchten Expert*innen, dass der Versuchsreaktor ITER alleine bereits den weltweiten Bestand an Tritium verbrauchen könnte. Die Hoffnung, dass zukünftige Kernfusionsreaktoren selbst Tritium erzeugen werden könnten, besteht aber. Hierbei soll Lithium durch Beschuss mit Neutronen in Helium und das so dringend benötigte Tritium umgewandelt werden. Dieser Vorgang soll auch bei ITER getestet werden.

Aumayer: Alles eine Frage der Wirtschaftlichkeit

Friedrich Aumayr, der auch selbst für ITER forscht, schätzt die Lage weniger düster ein. Spezifische Kernreaktoren in Kanada und Südkorea und Beschleunigeranlagen erzeugen bereits Tritium. Aumayr verweist auch auf die starken Interessen, die hinter der Produktion von Tritium stehen, denn gewisse Atomwaffen benötigen das kurzlebige Tritium. So sei es eher eine Frage der Wirtschaftlichkeit und weniger eine Frage der Möglichkeit.

Neben ITER schießen auch etliche Kernfusionsprojekte auf nationaler und privater Ebene wie Pilze aus dem Boden. Besonders vielversprechend ist Sparc. Dieses Projekt des Plasma Science and Fusion Centers und des MITs in den USA hat bessere Spulen als ITER und soll ab 2030 elektrische Energie in das Netz einspeisen. Aumayr erklärt, dass diese Kernfusionsreaktoren vorerst nicht wirtschaftlich sein werden und es hierbei eher um die Industrieführerschaft gehe.

 Ob bis zum Ende des Jahrhunderts 30 Prozent des Energiemixes aus Kernfusion stammen könnten, ist fraglich.  Sicher ist jedenfalls, dass wir vorerst mit den uns zur Verfügung stehenden Technologien auskommen müssen, um der Klimakrise zu trotzen und eine starke Umstrukturierung der Wirtschaft und das Aussteigen aus fossilen Energieträgern vorantreiben sollten.


Titelbild: Das ITER-Areal im April 2022. Bild: ITER Organization