Erderhitzung, Naturkatastrophen, Klimaflucht. Wer nach diesen drei Begriffen nicht mehr weiterlesen möchte, ist nicht allein. Hier lohnt sich’s aber.
Immer mehr Menschen vermeiden bewusst Nachrichten, insbesondere über die Klimakrise. Das liegt teils daran, dass sich die Berichterstattung stark auf die Probleme konzentriert. Eine Gegenströmung ist der sogenannte konstruktive Journalismus. Aber kann man über die drängendste Krise dieses Jahrhunderts überhaupt konstruktiv berichten, ohne sie zu verharmlosen? Und wenn ja, wie? Die wichtigsten Fragen und Antworten findet ihr in unserem FAQ.
1. Was ist konstruktiver Klimajournalismus?
Konstruktiver Klimajournalismus beschäftigt sich nicht nur mit der fortschreitenden Klimakrise und ihren Folgen, sondern auch mit möglichen Lösungen. Konkrete Handlungsoptionen werden aufgezeigt und eingeordnet. Dadurch soll das Bewusstsein für die Klimakrise geschärft und lösungsorientiertes Denken gefördert werden . Die zentrale Frage im konstruktiven Journalismus lautet daher: Was jetzt?
2. Was unterscheidet konstruktiven Klimajournalismus von konventionellem Klimajournalismus?
Konstruktiv zu berichten, galt schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts als erstrebenswertes Element für guten Journalismus. Aber erst ab 2015 gewann der heute verwendete Begriff des konstruktiven Journalismus zunächst in Nordeuropa an Popularität. In der Praxis vor allem durch den dänischen Journalisten Ulrik Haagerup und sein Konzept der „Constructive News“ geprägt, appelliert er an die Verantwortung des Journalismus, durch kritische und konstruktive Berichterstattung zum Erhalt und zur Stärkung der Demokratie beizutragen. Das Konzept basiert auf drei Säulen: Lösungsorientierung, Differenzierung und Förderung des demokratischen Diskurses.
Dabei soll es ausdrücklich nicht Aufgabe der Journalist*innen sein, sich selbst Lösungen für komplexe Probleme auszudenken. Vielmehr sollen sie Lösungsansätze für bestimmte Probleme unabhängig und kritisch recherchieren und sie so vorantreiben, anstatt nur Hürden, Hindernisse und die Probleme beleuchten. Aus Sicht der Nachrichtenwert-Theorie – also ob etwas berichtenswert ist -, bietet die Klimakrise reichlich Stoff für gute Geschichten. Unser Gehirn reagiert evolutionsbedingt besonders schnell auf informationen über Konflikt, Drama und Katastrophen. Deshalb sind diese als Nachrichtenfaktoren längst etabliert und über sie wird besonders häufig berichtet: Etwa Auseinandersetzungen zwischen Klimaaktivist*innen und der Polizei, politisches Hickhack auf Weltklimakonferenzen oder die fast 200 Todesopfer der Flutkatastrophe im Ahrtal vor zwei Jahren.
Anders beim konstruktiven Journalismus: Hier werden die sieben W-Fragen bei der Recherche und Themenauswahl um eine weitere Frage ergänzt, um die Frage nach Perspektiven: Was nun? Was jetzt? Wie weiter? Damit wird die Berichterstattung um eine weitere Ebene erweitert: den Blick in die Zukunft.
Zwar werden auch im konstruktiven Journalismus klassische Nachrichtenfaktoren wie Sensationalismus (Konflikt, Drama, Katastrophen) bedient, aber eher als Anlass – beispielsweise das Hochwasser im Ahrtal – und nicht als Hauptinhalt der Geschichte. Stattdessen stehen Lösungsansätze im Vordergrund. Diese werden nicht durch die rosarote Brille, sondern eher durch ein Fernglas betrachtet, um Schwierigkeiten, Grenzen der Anwendbarkeit und Greenwashing-Praktiken nicht aus den Augen zu verlieren. So erhalten die Leser*innen ein ganzheitliches Bild.
3. Warum brauchen wir konstruktiven Klimajournalismus?
Wie Medien über die Klimakrise und ihre Folgen berichten, beeinflusst, wie die Klimakrise in der Gesellschaft wahrgenommen wird. Laut einer repräsentativen Umfrage des Bayerischen Rundfunks waren im Jahr 2016 rund 76 Prozent der Deutschen der Meinung, dass die Nachrichtenmedien zu viel über Probleme und zu wenig über Lösungen berichten. Eine überwiegend negative Berichterstattung wirkt oft abschreckend und entmutigend. Wenn die Probleme zu groß erscheinen, kann dies zu Ohnmachtsgefühlen und Resignation führen. Immer mehr Menschen vermeiden deshalb (bestimmte) Nachrichten oder stellen den Nachrichtenkonsum ganz ein, was auch als „selektive Nachrichtenvermeidung“ oder news fatigue bezeichnet wird. Laut Reuters Institute for the Study of Journalism gaben im vergangenen Jahr in Deutschland rund 29 Prozent der Befragten an, Nachrichten aktiv zu vermeiden. In den USA waren es bereits 42 Prozent und in Brasilien sogar 54 Prozent. Vor allem junge Menschen unter 35 Jahren beklagten, dass Nachrichten ihre Stimmung drücken und sie erschöpfen. In Großbritannien nimmt mehr als die Hälfte der Befragten (55%) einen negativen Einfluss von Nachrichten auf ihre Stimmung wahr. Konstruktiver Journalismus kann dem entgegenwirken und Nutzer*innen zurückgewinnen bzw. verhindern, dass sich noch mehr Menschen abwenden. Dabei geht es nicht darum, Fakten zu verdrehen oder die Realität zu beschönigen, sondern, wie es die Medienpsychologin Maren Urner formuliert, “statt nach dem »Wogegen« nach dem »Wofür« zu fragen”.
4. Welchen Mehrwert bietet konstruktiver Klimajournalismus den Nutzer*innen – und welchen den Medienunternehmen?
Viele Nutzer*innen fühlen sich nach einem konstruktiven Klimabeitrag signifikant besser als nach einem problemorientieren Beitrag, wie ein Experiment der Universität Mainz zeigt. Im besten Fall regen solche Beiträge zum Handeln an. Wer erfährt, was bereits getan wird und wie man selbst aktiv werden kann, fühlt sich eher in der Lage, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Einige Anregungen zur Berichterstattung: eine Reportage über Gemeinschaftsgärten in der Großstadt, ein Artikel über Energiegemeinschaften oder ein Beitrag über Traumabewältigung.
Konstruktiver Klimajournalismus fördert auch das Gemeinschaftsgefühl. Er kann dazu beitragen, dass sich die Nutzer*innen als Teil einer größeren Bewegung fühlen, die zusammenarbeitet, um die Klimakrise zu bewältigen. Laut dem Medienleitfaden der “Psychologists for Future” gibt es hier ein großes gesellschaftliches Missverständnis, da “die Mehrheit glaubt, in der Minderheit zu sein und sich daher passiv verhält”. Demnach unterschätzen 70 Prozent die Bereitschaft und Aktivität ihrer Mitbürger*innen zur Bekämpfung der Klimakrise. 82 Prozent unterschätzen, inwieweit andere die Überzeugung teilen, dass etwas gegen den Klimawandel getan werden muss. Dies sei doppelt ärgerlich, “weil die Einschätzung der Prioritäten und Erwartungen des Umfelds sehr entscheidend für menschliches Handeln ist”. Konstruktive Beiträge können helfen, diese Wahrnehmungsverzerrung mit Positivbeispielen zu überwinden und den Glauben der Nutzer*innen an ihre Selbstwirksamkeit zu stärken.
Expert*innen sehen darin sogar eine große Chance im Interesse der Branche: Gerade Krisenphänomene bieten Journalist*innen die Möglichkeit, durch hintergründige und lösungsorientierte Beiträge das Vertrauen in die Medien zu stärken und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden. Dies kann im Umkehrschluss auch Vorteile für die Medienunternehmen selbst haben: Mit konstruktiven Beiträgen können sie eine bessere Bindung zu ihrem Publikum aufbauen und damit die Verweildauer und Reichweite erhöhen. Außerdem bieten konstruktive Formate – besonders in sozialen Netzwerken – vielfältige Möglichkeiten zur interaktiven Einbindung der Nutzer*innen. Eine Studie des Kommunikationswissenschaftlers Klaus Meier aus dem Jahr 2018 zeigt, dass konstruktive Beiträge in sozialen Netzwerken häufiger geteilt werden. So wird im besten Fall die gesamte Medienmarke als positiv, hilfreich und publikumsnah wahrgenommen. All das ist auch aus finanzieller Sicht von Vorteil.
5. Was können Medien tun, um konstruktiver zur Klimakrise zu berichten?
Journalist*innen, Content-Creator*innen und andere Medienschaffende tragen eine große Verantwortung im öffentlichen Diskurs. Vielen fällt es jedoch schwer, alte, teils strukturell verankerte Muster in der journalistischen Arbeit zu überwinden. Hier gibt es Unterstützung von außen: Das Bonn Institute bietet Workshops an, in denen Interessierte lernen können, worauf es bei einer konstruktiven Berichterstattung ankommt. “Wie ein Muskel, den man trainieren muss, um ihn zu stärken, braucht auch für eine konstruktive Haltung Zeit und kontinuierliche Anstrengung“, sagt Lisa Urlbauer, Koordinatorin der journalistischen Trainings.
Sie verweist darauf, dass Klimajournalismus über die Grenzen einzelner (Fach-)Redaktionen hinaus gedacht werden sollte: “Die Klimakrise betrifft alle Bereiche unseres Lebens. Deshalb ist es wichtig, dass sich alle Ressorts mit ihren Aspekten beschäftigen – ob Politik, Sport, Kultur oder Lokales. Konstruktiver Journalismus ist kritisch und zeigt Perspektiven auf. Es geht darum, Lösungsansätze und Handlungsmöglichkeiten zu recherchieren, aber auch immer wieder zu hinterfragen: Was funktioniert, was funktioniert nicht? So kann Journalismus wichtige Debatten voranbringen – und bleibt relevant und zukunftsfähig.”
6. Was jetzt?
- Wissenschaftsjournalist Kristoffer Frøkjær hat zehn Tipps für einen besseren Klimajournalismus gesammelt.
- Wie du besser über Klimalösungen berichten kannst, findest du in einem Leitfaden der Initiative Covering Climate Now.
- Zehn Empfehlungen für konstruktive Klimaformate findest du in diesem Beitrag.