Lebensmittel retten – Leben retten

Lebensmittel retten – Leben retten

Das Brot ist zu hart, der Salat welkt und die Marmelade sowieso schon fast leer. Ohne viel darüber nachzudenken, werfen wir tagtäglich Lebensmittel in die Tonne. In Tschechien dürfen das zumindest Supermärkte nicht mehr. Wäre das nicht auch eine Idee für Österreich? Ein Gastbeitrag von Elena Kolb.

Die Regale reichen fast bis an die Decke. Da stehen Paletten voller Erdbeercroissants neben dutzenden Grillsaucen, Milchpackungen und Nudeltüten. Und irgendwo dazwischen sieht man immer mal wieder Šimon Suk. Er sortiert, packt um und gibt Anweisungen. Der 21-Jährige studiert soziale Arbeit in Prag und hilft nebenbei noch bei der Koordination der Prager Lebensmittelbanken.

Die Lebensmittelbanken sind in Tschechien so etwas wie die Zwischenhändler für übrig gebliebene Lebensmittel und Essensspenden. Jeden Morgen holen Fahrer*innen Lebensmittel bei Supermärkten ab und bringen sie ins Lager der Lebensmittelbanken. Dort wird dann die Weiterverteilung organisiert. Das Essen geht an Kinderheime, Entzugseinrichtungen und Essensausgaben für Menschen aus der Ukraine. „Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs hat sich unsere Arbeit ungefähr verdoppelt“, sagt Šimon Suk. Die Lebensmittel-Nachfrage sei gestiegen, aber es kämen auch mehr private Essensspenden an als in den Vorjahren. „Die Spenden koordinieren wir auch noch mit“, sagt er.

Die Essensmengen, die bei den Lebensmittelbanken in Prag ankamen, stiegen bereits im Jahr 2018. Seitdem gibt es in Tschechien nämlich das Gesetz gegen die Lebensmittelverschwendung. Tschechische Supermärkte, die größer als 400 Quadratmeter sind, müssen Lebensmittel, die sie nicht mehr verkaufen können, kostenlos spenden. Wenn sie gegen das Gesetz verstoßen, drohen ihnen hohe Geldstrafen.

Bräuchten wir so ein Gesetz auch in Österreich? 

Ganz so einfach sei es nicht, meint Dominik Heizmann von der Umweltschutzorganisation WWF Österreich. „Wir brauchen ganzheitlichere Lösungen“, sagt er. Soziale Einrichtungen hätten bei solch einem Gesetz Bedenken. „Sie haften in Österreich nämlich für die Lebensmittel, die sie verteilen“, so Heizmann. Zuallererst bräuchten die sozialen Einrichtungen Unterstützung bei der Verteilung von Lebensmitteln und dann müsse diese rechtliche Grauzone abgeschafft werden, sagt Heizmann. Zusätzlich sollte es für Supermärkte vor allem günstiger sein, Lebensmittel zu spenden, als sie wegzuwerfen.

Lebensmittel werden aber nicht nur in Supermärkten weggeworfen. Das Problem ist viel größer. Laut dem Driven to Waste Report des WWF sind circa 10 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen auf Lebensmittelverschwendung zurückzuführen.  Ein Gedankenexperiment: Wäre die Lebensmittelverschwendung ein Land, stünde sie in ihrem Emissionsausstoß weltweit an dritter Stelle hinter China und den USA.

Allein in Österreich landeten laut Rechnungshof 2021 fast 800.000 Tonnen Lebensmittel in der Tonne. Der größte Teil davon in privaten Haushalten. „Deswegen braucht es neben Gesetzen gegen Lebensmittelverschwendung auch Bildungsangebote“, sagt Dominik Heizmann vom WWF Österreich. Die österreichische Regierung hat sich vorgenommen, gegen die Verschwendung vorzugehen. Bis 2030 sollen die österreichischen Lebensmittelabfälle im Handel und auf Verbraucherebene halbiert werden. „Dafür braucht es verbindliche Reduktionsziele und Maßnahmen für alle Sektoren – von der Landwirtschaft über die Produktion bis zur Außer-Haus-Verpflegung“, so Heizmann. Und das wichtigste Ziel sei natürlich, die Überschüsse von Anfang an zu vermeiden.

Obwohl die Supermärkte in Tschechien ihre übriggebliebenen Lebensmittel spenden müssen, landen dort ähnlich viele Lebensmittel im Müll wie in Österreich. Dass nur eine ganzheitliche Lösung im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung hilft, zeigt also auch ein Blick ins Nachbarland.


Titelbild: Šimon Suk rettet Lebensmittel, fotografiert von Elena Kolb

Elena Kolb ist freie Journalistin und hat bereits unter anderem für die Süddeutsche Zeitung und die Badische Zeitung geschrieben. In Freiburg hat sie Liberal Arts and Sciences studiert. Gerade war sie über ein Stipendium der Internationalen Journalisten Programme (IJP) in Tschechien, um von dort aus über Klima- und Energiethemen zu berichten.