Manuel Kronenberg über Klimajournalismus: „Man muss auch mal Abstand halten“

Manuel Kronenberg über Klimajournalismus: „Man muss auch mal Abstand halten“

Manuel Kronenberg (links) schreibt gemeinsam mit Julien Gupta den Newsletter Treibhauspost. Im Gespräch erzählt er, was im Klimajournalismus falsch läuft, warum man auch einmal Abstand halten sollte und was sein 1×1 des Newsletter-Journalismus ist.

Hallo Manuel, lass uns zunächst über ein strukturelles Problem des Klimajournalismus sprechen: Jüngere Journalist*innen nehmen die Klimakrise tendenziell dringlicher und als berichtenswerter wahr als ältere Journalist*innen. Woran liegt das und wie lässt sich das überwinden?

Oft fehlt in den Redaktionen das nötige Wissen, um adäquat über die Krise zu berichten. Teilweise bräuchten die Teams mehr Kolleg*innen mit Expertise. Es muss aber auch systematisch in Weiterbildung investiert werden.

Dann ist da auch noch das Selbstverständnis der Journalist*innen, objektiv sein zu müssen. Das ist eine große Anforderung an den Beruf. Es braucht immer zwei Quellen und man sollte alle Seiten beleuchten. Im Klimajournalismus kann das zu Missverständnissen führen, denn es gibt keine zwei Seiten der Klimakrise. Es gibt einen krassen wissenschaftlichen Konsens über den menschengemachten Klimawandel und seine Folgen. Trotzdem werden oft „Expert*innen“ interviewt, die eine gegenteilige Sicht vertreten. Die machen aber weniger als ein Prozent aller Wissenschaftler*innen aus. Diese Phänomen nennt man False Balancing.

Ich denke, dass jüngere Journalist*innen viel seltener in diese Falle tappen, weil sie sich des Problems bewusst sind. Trotzdem müssen auch sie sich immer wieder vorwerfen lassen, nicht objektiv oder gar aktivistisch zu sein.

Im Klimajournalismus kennen viele den Vorwurf des Aktivismus. Teilweise kommt das von den obersten Etagen der Medienhäuser. Es gab da einen großen Aufreger auf Twitter, als in der ARD-Chefredaktion der Vorschlag abgelehnt wurde, im Vorabendprogramm über Klimathemen aufzuklären. Die Begründung war, dass es ein parteiisches Interesse sei und damit Politik gemacht werden würde. Das zeigt, wie wirr die Wahrnehmung ist.

Gibt es bei all dem eine Korrelation mit dem Alter?

Junge Menschen sind grundsätzlich offener für Veränderung und sie spüren, dass diese Veränderung auch dringend nötig ist. Klar: Sie sind viel stärker betroffen von der Klimakrise als die ältere Generation.

Dazu kommt die Bewegung Fridays for Future: Sie hat dazu beigetragen, dass ein Momentum entsteht. Diese Generation hat ein ganz anderes Bewusstsein für die Klimakrise und setzt sich viel stärker damit auseinander.

Problematisch ist auch, dass ältere Journalist*innen teilweise ihre sicheren Jobs haben und sich darauf ausruhen, während es für die jüngeren inzwischen viel weniger feste Positionen gibt. Früher war der Journalismusberuf super bezahlt, mega sicher und hoch anerkannt. Inzwischen hat man als junge*r Journalist:in ein bisschen die Arschkarte gezogen.

Journalist*innen in Führungspositionen sind tendenziell älter. Sie bestimmen, worüber berichtet und wie platziert wird. Nicht selten werden dadurch Klimageschichten vernachlässigt, weil sie der klassischen Nachrichtenwert-Theorie nach weniger berichterstattenswert sind, denn die Erderhitzung wird eher als schleichende Krise wahrgenommen. Wie stehst du zu dieser Aussage und wie war das, als du noch als freier Journalist tätig warst?

Damals habe ich eher Lokaljournalismus gemacht und seltener über Klimathemen geschrieben. Das Thema hat einen viel zu kleinen Stellenwert. Der Jahrhundert-Regen in Deutschland und West-Europa in diesem Jahr war kurzzeitig ein Riesenthema. Es wurde intensiv darüber berichtet, aber nur für ein paar Tage. Selbiges war auch der Fall, als der Weltklimarat den sechsten Sachstandsbericht veröffentlicht hatte. Das sind Einzelereignisse, die sich optimal für die Berichterstattung eignen, dann aber schnell in Vergessenheit geraten. Das zeigt ganz deutlich, dass Klimajournalismus sehr komplex ist. Die Klima-Veränderungen geschehen zu langsam, als dass die Journalist*innen sie greifen können und als berichtenswert empfinden.

Bei der Treibhauspost können wir das anders machen. Wir sind nicht darauf angewiesen, dass Themen einen Nachrichtenwert haben. Wir haben es geschafft, eine kleine Community aufzubauen, die Bock hat, alle zwei Wochen unsere Artikel zu lesen. Es ist ein Vertrauen da und darum können wir freier auswählen, was wir für wichtig erachten.

Warum habt ihr die Treibhauspost gegründet?

Wir haben gesehen, dass das Thema nicht richtig behandelt wird; dass weder in der Politik noch in den Medien auf die Wissenschaft gehört wird. Wir haben uns überlegt, wie wir uns konstruktiv mit dem Thema auseinandersetzen können. Was können wir zu einer Lösung beitragen? Dafür ist es auch wichtig, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen und genau das machen wir jetzt.

Außerdem hat und das Thema sehr beschäftigt, Stichwort Klimaangst. Vielleicht haben wir da auch nach einem Ventil gesucht.

Die letzten Ausgaben des Treibhauspost-Newsletters. Bild: Screenshot Treibhauspost

Die Treibhauspost als Newsletter kommt jeden zweiten Samstag per Mail. Sind Newsletter ein Zukunftsmodell im Journalismus?

Ja, auf jeden Fall. Sie werden keine anderen Formate ersetzen, aber eine größere Rolle spielen. Durch meinen Job bei Steady (deutsche Crowdfunding- und Newsletter-Plattform, Anm.) bin ich nahe dran und sehe die Trends im Mediensystem. In den USA sind Newsletter schon länger ein Thema und jetzt kommen sie auch nach Europa. Für die Autor*innen und Journalist*innen entfällt damit der Zwischenschritt über ein Medienhaus oder einen Verlag.

Wenn du einen Newsletter schreibst, hast du einen direkten Draht zur Leserschaft. Du hast ihre E-Mail-Adressen und weißt, wer dein Publikum ist. Das hast du bei einer Zeitung nicht. Es sind deine Leser*innen.

Allerdings sind viele Newsletter primär Meinungsformate, so eine Art ausgeklügelteres Tagebuch. Bei Treibhauspost schauen wir schon, dass es journalistisch und handwerklich sitzt. Wir nehmen uns gegenseitig die Texte ab und überprüfen alles noch einmal. Das ist nicht bei jedem Newsletter so.

Der wohl bekannteste Klima-Newsletter ‚HEATED‘ von Emily Atkin erzielt Umsätze im sechsstelligen Bereich. Sind solche Summen die Regel oder eher Ausnahme?

Es gibt ein paar Autor*innen, die damit gutes Geld verdienen können. Das sind aber ganz oft Leute, die sich schon einen Namen gemacht haben. Julien und ich sind alles andere als berühmt, wir sind quasi von null gestartet. Aber auch bei uns gibt es einige Leser*innen, die unsere Arbeit gut finden und uns freiwillig finanziell unterstützen. Das ist aber nur ein kleiner Obolus und trotzdem eine große Wertschätzung für uns.

Ein Newsletter ist am besten eine Einnahmequelle von vielen. Du kannst über ein bestimmtes Thema schreiben und dir damit ein Standing aufbauen und gleichzeitig anderweitig Geld verdienen. Etwa als Speaker, indem du ein Buch schreibst oder als freie*r Journalist*in.

Was ist die Philosophie hinter Treibhauspost?

Wir möchten auf die Klimakrise aufmerksam machen und dafür sensibilisieren. Die Texte sind relativ lang und gehen in die Tiefe. Wir behandeln bewusst nur ein Thema pro Ausgabe. Uns ist wichtig, die Leute zu erreichen. Einige haben sich vorher sicher weniger damit auseinandergesetzt. Ihnen wollen wir das Thema näherbringen und es anschaulich erklären.

Was habt ihr für die Zukunft geplant?

Wir haben das Projekt im März 2021 gestartet und schauen, was sich ergibt. Vielleicht gibt es irgendwann einmal einen Treibhauscast (lacht).

Was ist dein 1×1 des Newsletter-Journalismus?

Es muss ein Thema sein, dass dich bewegt und beschäftigt. Sonst wirst du niemals die Energie hineinstecken können, die es braucht. Es ist viel Arbeit und du kannst damit sicher nicht von heute auf morgen viel Geld verdienen. Du brauchst Geduld.

Newsletter funktionieren am besten, wenn sie Nischenthemen behandeln. Ein Newsletter über die Politik Europas ist viel zu breit. Du brauchst ein Alleinstellungsmerkmal.

Vorher musst du dir auch gut überlegen, wen du erreichen willst und was dein Angebot ist. Ganz wichtig ist, immer zum gleichen Zeitpunkt zu veröffentlichen. Es muss bei den Leser*innen zur Gewohnheit werden. Sie müssen wissen, dass die Treibhauspost jeden zweiten Samstag kommt.

Uns hat geholfen, dass wir nahbar sind und uns mit den Leser*innen austauschen. Du lernst die Leute kennen und bekommst von ihnen auch Input.

Zurück zum Klimajournalismus: Was möchtest du jungen Menschen auf ihrem Weg in den Klimajournalismus mitgeben?

Es ist wichtig, dass man sich nicht entmutigen lässt. Man muss aber auf sich selbst schauen und auch mal Abstand zum Thema halten; sich nicht zu tief reinstürzen und sich bewusst Zeiten setzen, in denen das Thema keine Rolle spielt. Sonst überwältigt dich das irgendwann. Es ist ein krasses Thema, das einen psychisch mitnehmen kann. Keinem ist geholfen, wenn man mental nicht mehr gesund ist.

Wir bedanken uns bei Manuel Kronenberg für das spannende Interview.

Titelbild und Artikelbild: Screenshot Treibhauspost