Mit „Klimagefühlen“ umgehen – ein Interview mit Lea Dohm und Mareike Schulze

Mit „Klimagefühlen“ umgehen – ein Interview mit Lea Dohm und Mareike Schulze

Wut. Trauer. Angst. Verzweiflung. Ohnmacht. Verdrängung. Schuld. Oder auch Freude und Hoffnung. Die Gefühle, die wir angesichts der menschengemachten Klimakrise verspüren, sind vielfältig. Zu lernen mit ihnen umzugehen, kann uns aber dabei helfen, ins Handeln zu kommen. Ein Interview mit den Klima-Psychotherapeutinnen Lea Dohm und Mareike Schulze über ihr neues Buch „Klimagefühle“, den richtigen Umgang damit und die Rolle des Journalismus.

Ihr seid beide tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapeutinnen, habt Psychologists4Future mitgegründet und gemeinsam das Buch „Klimagefühle“ geschrieben. Warum müssen wir in der Klimakrise über Gefühle sprechen und uns mit ihnen auseinandersetzen?

Lea Dohm: Gefühle sind in der Klimakrise total wichtig. Einerseits können als unangenehm erlebte Gefühle dazu führen, dass wir es vermeiden, uns mit der Krise auseinanderzusetzen. Andererseits ist aus der Psychologie bekannt, dass uns Gefühle ins Handeln bringen. Was uns etwas bedeutet, lässt uns aktiv werden. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns mit ihnen auseinandersetzen.

Wie seid ihr zur Klimapsychologie gekommen?

Mareike Schulze: Ein bisschen wie die Jungfrau zum Kinde. Das ist gleichzeitig die Geschichte der „Psychologists and Psychotherapists for Future“. Lea und ich kannten uns damals noch gar nicht. Ich habe meinen Frust darüber, dass unsere Berufsgruppe so untätig ist, in eine Facebook-Gruppe geschrieben. Neben einigen nicht so schönen Reaktionen hat mir dann Lea geantwortet, und so haben wir die „Psy4F“ gegründet.

Lea: Viele Psychotherapeut*innen halten sich gerne politisch raus. Wir können die ökologischen Krisen aus meiner Sicht aber nicht in unserer Behandlung ausblenden, denn die Klimagefühle spielen in unsere Arbeit stark hinein. Deshalb wollten wir als Bewegung Position beziehen und sind auch schnell gewachsen. Mittlerweile gibt es europaweit mehr als 1.500 Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen, die ihr Fachwissen in den Umgang mit der Klimakrise einbringen.

Warum wird die Klimakrise noch immer von vielen bloß als weit entfernte Bedrohung wahrgenommen?

Lea: Dafür gibt es verschiedene Gründe, die nicht alle psychologisch sind. Zum Beispiel geben fossile Konzerne viel Geld für mächtige Kampagnen aus, die unsere Wahrnehmung beeinflussen sollen – Stichwort Greenwashing.

Aber natürlich steckt auch viel Psychologie dahinter. Unsere Wahrnehmung ist mehr auf die Gegenwart gerichtet. Sie hat für uns eine größere Bedeutung. Zum Beispiel, ob der Stuhl gerade gemütlich ist, oder ob mir zu heiß ist. Das nennt man „Present Bias“. Was dagegen in ferner Zukunft liegt, ist für uns weniger relevant. Wir denken zudem, dass eh schon alles gut ausgehen wird. Ähnlich wie beim Rauchen. In der Psychologie spricht man hier von „Optimism Bias“.

Wichtig ist auch das Problem der Isolierung. Die Klimakrise wird oft als ein weiteres Problem auf der journalistischen oder politischen Agenda dargestellt. Da gibt es die Wirtschaftskrise, den Ukraine-Krieg – und eben auch die Klimakrise. Das suggeriert, dass die Klimakrise ein gleichwertiges Problem ist. Aber sie ist vielmehr ein Querschnittsthema und verschlimmert viele Probleme noch weiter.

Mareike: Es ist ohnehin schwer, die Klimakrise als solche zu fassen. Sie ist unglaublich komplex und nicht unmittelbar sichtbar. Das überfordert unser Wahrnehmungsvermögen. Wenn sich der Himmel durch das CO2 beispielsweise grau färben würde, würden wir das Problem schon eher wahrnehmen, und entsprechend handeln.

Welche Gefühle fühlen wir angesichts der Klimakrise und den ökologischen Krisen?

Mareike: Jedes Gefühl, das es gibt, können wir auch im Kontext der Klimakrise erleben. Ich möchte mit unserem Lieblingsgefühl Wut und Ärger beginnen. Oftmals verspüren wir dieses Gefühl dann, wenn die großen politischen Akteure nicht handeln und keine Verantwortung übernehmen. Das löst auch Ohnmacht aus, weil wir als Einzelne konkret gar nicht so viel dagegen machen können.

Lea: Ich glaube, wir sind biographisch geprägt und neigen zu bestimmten Lieblingsgefühlen. Bei mir ist das Wut und Ärger, aber auch Angst. Wenn ich neue Berichte zur Klimakrise lese, empfinde ich oft Angst. Gerade mit Blick auf meine eigenen Kinder. Hinzu kommt ein Gefühl der Machtlosigkeit und Überforderung.

Auch Traurigkeit ist ein häufiges Klimagefühl. Die erleben wir oft in der Natur, wenn wir sehen, wie sich etwa der Wald oder ein Ort unserer Kindheit verändert hat. Dass wir Vogelfutter aufstellen, aber gar kein Vogel kommt.

Mareike: Das nennt sich Solastalgie. Das traurige Empfinden über den Verlust unserer natürlichen Lebensumgebung.

„Hoffnung, wo sie nicht angemessen ist, kann auch eine Form des Verdrängens sein.“

Lea: Es gibt aber auch viele Klimagefühle, die nicht so sehr auf der Hand liegen. Wir verspüren beispielsweise Freude, wenn wir einige Herausforderungen der Klimakrise bewältigen. Einige sagen auch, es gebe nirgendwo so nette Menschen wie in der Klimabewegung. Ich weiß nicht, ob ich das so unterschreiben würde. Aber ich habe dort tatsächlich unglaublich viele tolle Leute kennengelernt.

Mareike: Wenn man ähnliche Werte teilt, ist das sehr bereichernd. Man fühlt sich verstanden und angenommen.

Lea: Dann gibt es in unserem Buch auch noch ein Kapitel der Hoffnung. Wir haben darin gleich am Anfang klargestellt: „Keine falsche Hoffnung!!“ Wir möchten keine Hoffnung dort wecken, wo sie nicht angemessen ist.

Mareike: Hoffnung, wo sie nicht angemessen ist, kann auch eine Form des Verdrängens sein. Das zählt ebenso zum „Optimism Bias“. Dennoch: Wir können noch einiges verhindern und abbremsen.

Lea: Viele denken, dass erst die Hoffnung da sein muss, um ins Handeln zu kommen. Aber es ist umgekehrt. Aus Erfahrung kommt erst das Handeln und dann die Hoffnung. Hoffnung durch Handeln also.

Mareike: Zum Klimagefühl der Schuld ist wichtig zu sagen, dass es eine reale Schuld und ein Schuldgefühl gibt. Die Klimakrise ist in der Regel mit einer Realschuld verbunden, denn unser Handeln und unser Lebensstil wirkt sich auf besonders auf weniger privilegierte Menschen stark negativ aus.

Lea: In der Psychotherapie schauen wir, wo Schuldgefühle berechtigt sind. In der Klimakrise sind sie das großteils. Es geht also eher um die Frage, wie wir uns verhalten können, um möglichst wenig anderen Menschen zu schaden. Gleichzeitig müssen wir aber ein Stück weit aushalten, dass es kein Leben frei von Schuld geben wird.

Ein weiteres Klimagefühl ist Neid. Damit haben wir uns anfangs schwergetan, denn Neid wird oft mit Konsumneid verknüpft. Ich möchte auch so ein tolles Auto wie mein Nachbar haben, zum Beispiel. Aber wir können auch neidisch auf Menschen sein, denen die Dringlichkeit der Klimakrise noch nicht so bewusst ist. In meinem Bekanntenkreis fliegen beispielsweise einige Mütter in den Urlaub. Ich fliege nicht.

Umgekehrt gibt es vielleicht aber auch Menschen, die neidisch darauf sind, dass es klimaengagierten Menschen bereits etwas mehr gelingt, ein wertekonformeres Leben zu führen.

Mareike: Neid kann bestenfalls auch motivieren. Er kann sich dahingehend formieren, dass wir einen positiven Wettbewerb erleben, wer am schnellsten emissionsfrei lebt.

Wie man mit Klimagefühlen richtig umgeht, erklären die Klimapsychologinnen Lea Dohm und Mareike Schulze.
„Klimagefühle“ von Lea Dohm und Mareike Schulze ist ab 1. August im Handel erhältlich.

Wie gelingt ein gesunder Umgang mit unseren Gefühlen? Können wir sie für uns und für ein lebenswerteres Klima nützen?

Mareike: Gefühle sind nicht pathologisch, sondern total hilfreich. Sie zeigen uns Bedürfnisse auf. Wir müssen sie aber auch zulassen und schauen, was wir im Moment Gutes für uns tun können. Etwa, wenn ich Angst habe. Hilft es mir dann, joggen zu gehen, oder mich am Sofa bei einer Tasse Tee einzukuscheln?

Lea: Ich glaube, dass wir in unserer Gesellschaft eher eine Entemotionalisierung erleben. Gefühle spielen im Alltag kaum mehr eine Rolle. Viele Menschen fühlen sich unwohl, sich damit zu befassen und über ihre Gefühle zu sprechen. Aber ein gesunder Umgang erfordert, dass wir uns unseren Gefühlen stellen. Das können wir als Erwachsene. Wir alle haben schon starke Gefühle erlebt und sind daran oftmals gewachsen.

Man kann das auch analog zum Trauerprozess sehen. Eine Art der Verarbeitung ist, sich eher abzulenken. Gesünder ist es aber, die Traurigkeit zuzulassen, einmal einen Abend lang zu weinen. Wenn wir unsere Klimagefühle zulassen, werden wir daran wachsen.

Mareike: Gefühle müssen unbedingt wieder gesellschaftsfähig werden. Wir müssen sie mit anderen teilen.

Wie kann man das Gefühl der Verdrängung überwinden? Verdrängen wir nicht alle ein bisschen die Klimarealität – selbst ihr beide? Und ist ein wenig Verdrängung nicht vielleicht sogar gut?

Mareike: Abwehr ist grundsätzlich etwas total Hilfreiches. Sonst wären wir ständig emotional überflutet. Aber wenn wir wichtige, existentiell bedrohliche Inhalte dauernd von uns fernhalten, wird es gefährlich. Es ist wichtig, hier das Kind beim Namen zu nennen – aber auch zu sagen, dass wir noch vieles gegen die Klimakrise machen können.

Lea: Es hängt auch mit der Tiefe der Problemverarbeitung zusammen. Mehr als 90 Prozent der Menschen wissen mittlerweile, dass wir ein Problem haben. Aber deren Bewusstsein darüber, wie drastisch die Klimakrise wirklich ist, ist sehr unterschiedlich. Drei Faktoren sind hier wichtig. Erstens, die sogenannten mentalen Operationen. Wenn wir uns mit einer Sache auseinandersetzen, führt das dazu, dass wir es weiterverarbeiten. Zweitens, der soziale Vergleich mit einer Gruppe. Wenn andere etwas machen, ist es für mich leichter, daran anzuknüpfen. Wir sind soziale Wesen und möchten nicht auffallen. Ändern sich soziale Normen, fällt es uns leichter, aktiv zu werden. Drittens, die mediale Berichterstattung. Hierzulande gibt es noch ein hohes Vertrauen in etablierte Medien. Viele Menschen denken, wenn es wirklich so schlimm wäre, würde die Klimakrise doch ständig auf den Titelseiten stehen, und es würde drastischer darüber kommuniziert werden. Der Journalismus muss sich hier an die Nase fassen.

Immer mehr junge Menschen denken darüber nach, ob sie überhaupt noch Kinder in diese Zukunft gebären sollten. Was würdet ihr ihnen raten?

Mareike: Das ist ein total schwieriges Thema. Viele Faktoren spielen mit rein. Viele Menschen erleben Kinder als sinnstiftend, und es ist eine biologische Veranlagung in uns. Grundsätzlich möchte ich sagen: Jede Entscheidung, die man trifft, ist in Ordnung. Ich habe mir selber lange darüber Gedanken gemacht. Auch, ob ich es mir selbst zumuten möchte.

Lea: Ich habe einmal von einem Kollegen gehört, für ihn sei die größte emotionale Erleichterung, dass er keine Kinder habe. Ich denke, das trifft es sehr gut. Kinder bringen mehr Dampf in die Klimagefühle. Verzweiflung, Überforderung, Ängste werden ordentlich angestoßen. Denn wir alle wünschen uns das Beste für unsere Kinder. Ein sicheres Umfeld, ein gutes Leben.

Letztlich sehe ich es aber wie Mareike. Viele Faktoren spielen eine Rolle. Ich habe großen Respekt vor allen, die darüber so reflektieren. Ich habe das damals nicht getan, bin reingestolpert. Wenn ich jetzt manchmal darüber nachdenke, ob ich mich mit meinem aktuellen Wissen noch immer für Kinder entscheiden würde? Puh, keine Ahnung.

In „Klimagefühle“ schreibt ihr, eine Reform der medialen Berichterstattung sei nötig. Was muss sich ändern?

Lea: Ein riesengroßes Problem ist, dass der Klimakrise oft mit klassischem Politikjournalismus begegnet wird. Viele Meinungen stehen sich gegenüber, die Wahrheit liegt für die Journalist*innen dann irgendwo in der Mitte. In der Naturwissenschaft ist das aber anders. Es gibt harte Grenzen und klare Fakten.

Der Journalismus hat eine Korrekturfunktion. Aus psychologischer Sicht wäre daher ein unmittelbarer Faktencheck wichtig. Das ist schwierig, aber oft nötig. Denn wenn eine Aussage einmal im Raum steht, ist es schwer, sie zu entkräften.

Wichtig ist aber auch, Klimathemen mit dem Alltag zu verknüpfen. Die Klimakrise muss raus aus der medialen Isolierung. Journalist*innen müssen zeigen, dass sie hinter allen Themen steckt. Sei es das Gas im Ukraine-Krieg oder die klimabedingt erhöhte Gefahr von Pandemien wie Corona. Außerdem dürfen Hitzewellen nicht mehr mit Badebildern in Verbindung gebracht werden. Mir fehlen fast die Worte, was ich da so sehe.

Mareike: Wenn der Journalismus Klima besser mit den Alltagsrealitäten verknüpft, wird ein besserer Bezug für unterschiedliche Menschen hergestellt. Sie erkennen so, dass die Klimakrise nicht nur die Leute im globalen Süden betrifft, sondern auch sie selber.

Lea: Dadurch können wir alle besser einordnen, was das mit mir, meinen Kindern, meinem Wohneigentum oder meiner Altersversorgung zu tun hat. Man muss alltagsnahe Fragen verknüpfen. Es ist daneben aber auch wichtig, niedrigschwellige Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Das muss zielgruppenspezifisch erfolgen. Einer alleinerziehenden Mutter am Lande hilft der Aufruf, dass wir aus den Fossilen raus müssen, wenig. Der Journalismus muss daher zeigen, was ich in meiner Position tun kann. Es gibt genügend Möglichkeiten, aktiv zu werden.

Wie kann man als Journalistin oder Journalist die Dringlichkeit der Klimakrise vermitteln, ohne die Leser*innen zu entmutigen?

Lea: Ich glaube, die Bewältigung der Klimakrise muss interdisziplinär erfolgen. In einem Artikel müssen mehrere Dimensionen abgebildet werden. Einerseits die Katastrophe, die schlechte Neuigkeit. Anderseits muss den Leser*innen ein Weg gezeigt werden. Ein bisschen die möglichen Verarbeitungs- und Umgangsmöglichkeiten vorkauen. Vonseiten der „Psy4F“ besteht außerdem eine große Bereitschaft, dort mit den Medien zusammenzuarbeiten, wo es nützlich ist.

Letztlich ist es aber auch eine Machtfrage, wie so oft. Chefredakteur*innen, die schon seit zwanzig Jahren in ihrer Position sind. Das kann lähmend sein. Die Frage ist, lohnt es sich, sich daran abzuarbeiten, oder sollte man besser etwas Neues schaffen?

Wie merke ich, dass meine Klimagefühle mich überwältigen? Was kann ich dagegen machen, und wann sollte ich professionelle Unterstützung aufsuchen?

Mareike: Zu mir ist noch niemand alleine wegen der Klimagefühle in die Praxis gekommen. Eher sind diese Gefühle ein Begleitthema. Aber sie können einen trotzdem überwältigen. Ich habe öfter Tage, an denen ich weine und Angst habe. Es gibt auch einen sogenannten „Klimaschock“, der auftreten kann, wenn es neue Hiobsbotschaften gibt. Darüber zu sprechen, hilft. Die „Psy4F“ bieten dafür Beratung an. Man kann bis zu drei Gespräche online in Anspruch nehmen. Man kann aber auch in die Sprechstunde von niedergelassenen Praxen kommen.

Lea: Wichtig ist uns, deutlich zu machen, dass wir unsere Klimagefühle verarbeiten können. Bei meinem ersten Liebeskummer habe ich auch gedacht, das zerreißt mich, ich kann nie wieder glücklich werden. Natürlich war es nicht so.

In den allermeisten Fällen geht der Umgang mit unseren Klimagefühlen ohne Beratungshilfe von außen. Das betrifft eher Menschen, bei denen auch andere Probleme hinzukommen.

Mareike: Trotzdem ist es aber unglaublich hilfreich, sich mit Menschen auszutauschen, die uns verstehen und bereits Ähnliches erlebt haben, beispielsweise in einer Klimagruppe. Diese können unsere Gefühle eher nachvollziehen, ohne sie wie so oft in der eher entemotionalisierten Welt herunterzuspielen.


Titelbild: (c) www.tw-klein.com