Psychologin Rima Ashour: “Wir brauchen auch unangenehme Gefühle”

Psychologin Rima Ashour: “Wir brauchen auch unangenehme Gefühle”

Die Klimaberichterstattung wirkt häufig dystopisch, die Lage scheint aussichtslos. Oft fühlt man sich dadurch machtlos, vermeidet vielleicht sogar Nachrichten zur Klimakrise. Im “Medienleitfaden Klima” erläutern die Psychologists for Future, wie Journalist*innen dem entgegenwirken können. Und, wie sie psychologische Bedürfnisse in ihre Arbeit integrieren können, um eine konstruktive Berichterstattung zu ermöglichen. Ein Interview mit Rima Ashour von den Psychologists for Future Deutschland.

Welche Rolle spielen psychologische Aspekte für die Klimakommunikation?

Eine wichtige Rolle. Egal, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Wenn wir kommunizieren, lösen wir immer etwas in anderen Menschen aus. In der Klimakommunikation kann allein die Darstellung der Tatsachen Wut oder Traurigkeit auslösen. Wir haben dann oft den Impuls, dass wir das Thema vermeiden wollen, weil es diese negativen Gefühle in uns hervorruft.

Entscheidend ist hier, ob die Klimakrise als etwas Unüberwindbares dargestellt wird. Die Reaktion ist eine andere, je nachdem, ob man sich der Situation hilflos ausgeliefert fühlt oder sich als handlungsfähigen Menschen wahrnimmt. Das hängt natürlich nicht nur davon ab, wie es kommuniziert wird, aber die Kommunikation spielt durchaus eine große Rolle.

Was braucht es aus psychologischer Sicht, damit Menschen sich handlungsfähig fühlen und aktiv werden gegen die Klimakrise?

Im menschlichen Leben spielen Emotionen eine enorm große Rolle. Wir brauchen auch unangenehme Gefühle, um Motivation zu schöpfen. Ohne die Energie der Wut oder des Ärgers habe ich oft gar nicht die Kraft, mich für oder gegen etwas einzusetzen. Wenn ich keine Angst habe, dann schütze ich mich nicht. Das sind biologische Dinge, die in uns angelegt sind. 

Die Frage in der Klimakommunikation wäre dann: Sollen wir diese negativen Emotionen abfedern? Die Antwort darauf ist häufig nein, denn die Emotionen sind der Situation angemessen. Sie sind zwar schwierig, aber es ist wichtig, sie zu fühlen. Man kann Menschen helfen, mit diesen Gefühlen umzugehen, indem man darüber redet. Nicht indem wir sie vermeiden, sondern indem wir den Menschen bestätigen, dass diese Gefühle normal sind und es vielen Menschen so geht.

Ob man sich handlungsfähig fühlt, hängt vor allem davon ab, ob man überhaupt Handlungsmöglichkeiten sieht. Wir sollten also aufzeigen, wo es möglich ist, etwas zu tun und welche Effekte diese Dinge haben.

Was heißt das konkret für die Medien? Was können wir tun, um den psychologischen Aspekten gerecht zu werden?

Genau darum geht es in unserem Medienleitfaden. Darin haben wir drei konkrete Empfehlungen erarbeitet, die Antworten auf diese Fragen liefern sollen.

Die erste Empfehlung besagt, dass es wichtig ist, die Klimakrise immer wieder zu thematisieren, überall dort, wo sie eine Rolle spielt. Denn sie spielt in sehr vielen unterschiedlichen Aspekten unseres Lebens eine wichtige Rolle. In einigen Bereichen wird die Dimension Klima trotzdem noch nicht mitgedacht. Klima hat etwas mit Politik zu tun, mit Wirtschaft und Mobilität, mit Wohnen und unserem Konsum im Allgemeinen. Es ist wichtig, diese Zusammenhänge klar darzustellen.

Wie kann man die Klimakrise laut Medienleitfaden am besten außerhalb des Klima- und Wissenschaftsressorts einbinden? 

Es sollte der generelle Zugang zu allen Themen sein, immer mitzudenken, wie das Zusammenspiel mit der Klimakrise aussieht und dies auch darzustellen. Das müssen nicht drei Absätze sein, manchmal reicht auch ein Satz in einem ganzen Artikel. Wir haben dazu den Vorschlag gemacht, einen Klimakasten an Artikel anzuhängen, in dem man wichtige Informationen zur Klimakrise in einem kurzen Standardtext wiedergibt.

Der Klimakasten soll analog zu den Infokästen funktionieren, die in der Suizidberichterstattung bereits etabliert sind. In diesem Bereich gibt es relativ viele Hilfsangebote. Welche Angebote für die mentale Gesundheit gibt es denn im Hinblick auf Klimagefühle?

Zumindest in Deutschland wird die Klimakrise in den psychotherapeutischen Verbänden immer mehr zum Thema. Das heißt, wenn sich jemand mit einer starken Belastung an therapeutische Institutionen wendet, können die Therapeut*innen besser reagieren und entsprechende Hilfe leisten.

In Krisensituationen kann man durchaus eine unverbindliche Beratung in Anspruch nehmen. Als Psychologists for Future bieten wir Beratungen für Menschen an, die an ihren Klimagefühlen leiden oder die sich sehr hilflos fühlen. Oft ist das aber überhaupt nicht notwendig. Die Gefühle sind ja der Situation angemessen. In solchen Fällen geht man normalerweise nicht zur Therapie.

Eine große Hilfe kann stattdessen der Austausch mit anderen Menschen sein, denen es genauso geht. Gute Anlaufstellen dafür sind Gruppen, die sich fürs Klima einsetzen, egal in welcher Art und Weise. Dort trifft man mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Menschen, die offen dafür sind, über ihre Klimagefühle zu sprechen.

Wie verhindert man, dass Leser*innen der Dimension Klima überdrüssig werden?

Um dieses Thema geht es ganz wesentlich in unserer zweiten und dritten Empfehlung. Denn die Frage nach der Überdrüssigkeit ist eine berechtigte Angst. Wer will denn die ganze Zeit diese negativen Gefühle haben, die mit der Klimakrise einhergehen?

Wir können den Menschen auf zwei Arten helfen, diese Gefühle zumindest besser zu verarbeiten. Das eine ist, die Emotionen anzuerkennen und zu erläutern, dass es vielen Menschen so geht.

Außerdem ist es wichtig, dem Ohnmachtsgefühl bei den Leser*innen entgegenzuwirken, indem man aufzeigt, dass die Änderung des individuellen Konsumverhaltens nicht die einzige Handlungsoption ist. Denn natürlich gibt es Grenzen der individuellen Möglichkeiten. 
Aber man kann sich auch auf anderem Wege gegen die Klimakrise engagieren. Man kann sich klimaaktivistischen Gruppen anschließen, bei Bürgerinitiativen mitwirken oder Petitionen starten. Der Journalismus sollte diese Möglichkeiten aufzeigen und berichten, welche Effekte verschiedene Aktionen haben können. Dabei muss man sich nicht auf eine Seite stellen. Man kann zum Beispiel verschiedene Initiativen porträtieren, deren Erfolge und auch Kritikpunkte aufzeigen. So bleibt die journalistische Neutralität gewahrt.


Titelbild: Michelle/PicturePeople