Technologie-Offenheit wird uns nicht retten

Technologie-Offenheit wird uns nicht retten

Werden weitreichende, restriktive Maßnahmen gegen die Klimakrise gefordert, nutzen Gegner*innen oft das Argument „Wir setzen lieber auf Innovationen in der Technologie.“ Doch warum ist dieses Argument eine klassische Verzögerungstaktik? Und was bräuchte es tatsächlich? 

Technologien bieten wesentliche Lösungsansätze, um die Klimawende zu stemmen. Jedoch werden Innovation und Technologie allzu häufig als Ausrede gegen aktive Klimaschutzmaßnahmen genutzt. So schön das Wort „Technologieoffenheit” klingt: Dahinter steckt meist eine Verzögerungstaktik und Ausrede dafür, nichts verändern zu müssen. Sogar Gas-Lobbyverbände sprechen von „Technologieoffenheit“, um gegen eine Elektrifizierung der Wärmeversorgung mobil zu machen.

Nachhaltige Treibstoffe als Klimahelden?

Im Wahljahr 2024 haben Parteien wie die ÖVP immer wieder von „Klimaschutz mit Hausverstand“ und „Technologieoffenheit“ gesprochen. Im Bereich Mobilität war etwa von „grünen Verbrennern“ die Rede und alternative Treibstoffe wie e-Fuels oder Wasserstoff wurden als Lösung präsentiert. Bis diese Treibstoffe jedoch überhaupt flächendeckend angewendet werden könnten, verstreicht Zeit. Das zeigt das Beispiel der e-Fuels: Selbst, wenn weltweit alle e-Fuel-Projekte umgesetzt werden, die angekündigt sind, reicht die gesamte produzierte Treibstoffmenge bis 2035 nicht einmal für die Luftfahrt in Deutschland aus. Hinzu kommt, dass e-Fuels in der Herstellung teuer und ineffizient sind, weil dabei sehr viel Energie verbraucht wird. Auch grüner Wasserstoff bleibt in näherer Zukunft teuer und kann nur in eingeschränkten Mengen produziert werden. Viele der angepriesenen Innovationen im Verkehrssektor sind also noch nicht marktreif und dienen als Argument für das Festhalten an Autos mit Verbrennungsmotoren. Der Verkehrssektor ist in Österreich einer der Hauptverursacher von Treibhausgasemissionen. 

Fusionsenergie

Der weltweite Energiebedarf steigt weiter an, und um fossile Energiequellen zu reduzieren, brauchen wir mehr sauberen Strom. Neben etablierten erneuerbaren Energiequellen wie Sonne, Wasser oder Wind ist auch immer öfter von Fusionsenergie die Rede. In der Fusionsenergie werden Atome miteinander verschmolzen, wodurch sie Energie freisetzen. Diese wird dann in Form von Hitze dazu genutzt, Wasserdampf zu erzeugen. Der treibt dann eine Turbine an, um Strom zu gewinnen. 

Der große Vorteil davon: Anders als bei der Kernspaltung entsteht kein Atommüll. Der Nachteil: Es dauert wohl noch, bis Fusionskraftwerke tatsächlich im großen Stil eingesetzt werden können. Es gibt immer noch technische Herausforderungen. Erste Reaktor-Protoypen werden nun voraussichtlich bis 2040 gebaut. Die Internationale Atomenergie-Organisation geht davon aus, dass Kernfusion in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts zur Stromerzeugung genutzt werden kann. 

CO2– Abscheidung

Können wir dann Treibhausgase nicht einfach aus der Luft filtern? Ausgestoßene Treibhausgase verweilen lange Zeit in der Atmosphäre – Kohlenstoffdioxid zum Teil sogar mehrere Tausend Jahre, wenn es nicht in natürlichen Senken wie Wäldern oder Meeren gespeichert wird. Es gibt Technologien, die Kohlenstoffdioxid abscheiden und speichern können. Sogenannte Carbon Capture and Storage-Technologien (CCS-Technologien) scheiden CO2-Emissionen dort ab, wo sie entstehen. Die Treibhausgase werden dann gespeichert, indem sie zum Beispiel unter der Erde eingelagert werden.

Der Einsatz solcher Technologien kann durchaus dabei helfen, die CO2-Neutralität zu erreichen. In manchen industriellen Sektoren wie in der Zementerzeugung machen chemische Prozessemissionen einen wesentlichen Teil der Emissionen aus. Für diese gibt es oft keine alternativen Produktionsmethoden. In diesem Bereich seien Innovationen von CCS-Technologien hilfreich, meint Karl Steininger, Leiter des Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz. Aber: „Das rechtzeitige Forcieren dieser Schienen für einzelne Bereiche darf in keinster Weise die Reduktion der Emissionen hintanhalten,” so Steininger.

Klar ist also, dass CCS nur einen sehr kleinen Teil zur Lösung beitragen kann. In Europa ist die CCS-Technologie noch im Anfangsstadium. Planung sowie Aufbau der Infrastruktur, um das CO2 zu transportieren, brauchen viel Zeit, Geld und Wasser – die CCS-Technologie ist daher eine unausgereifte Lösung in der Klimakrise.

Die Welt ist voller Lösungen

Im Kampf gegen die Klimakrise ist rasches Handeln notwendig. Je früher Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden, desto effektiver sind sie. Bis zum Jahr 2030 müssen wir unsere Treibhausgasemissionen um die Hälfte reduzieren – es bleibt also keine Zeit, um auf Technologie-Wunderlösungen zu warten.

Die gute Nachricht ist: Bereits mit den heute verfügbaren Technologien wie Windkraft- und Photovoltaikanlagen, die besonders günstig produzieren, sowie Wärmepumpen können 80 Prozent dieses Emissionsrückgangs erreicht werden.

Autoverkehr reduzieren: Alltägliche Wege sollten zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt werden können. Foto: Nubia Navarro/Canva

Neben der Energiegewinnung lässt sich auch im Mobilitätsbereich einiges tun: Der öffentliche Verkehr sowie das Angebot an Hochgeschwindigkeitszügen können ausgebaut werden, und auch ein Ausbau der Fahrradinfrastruktur kann viel bewirken: Werden zum Beispiel an vielbefahrenen Straßen separate, baulich getrennte Radwege errichtet und in Wohngegenden verkehrsberuhigende Maßnahmen getroffen, setzen sich nachweislich mehr Menschen aufs Rad. Werden Städte und Wohnsiedlungen außerdem so geplant, dass die meisten alltäglichen Wege für viele Menschen gut zu Fuß zurückgelegt werden können, wird der Autoverkehr zusätzlich reduziert. Dafür müssen Wohnungen, Arbeitsplätze und öffentliche Orte möglichst nah beieinander, die Wege sicher und gut beleuchtet und auch der öffentliche Verkehr zu Fuß zugänglich sein. Im Individualverkehr sollten zudem Fahrgemeinschaften gefördert und die Effizienz sowie die Elektrifizierung von Fahrzeugen gesteigert werden.

Laut Steininger, der auch an der Universität Graz lehrt, sei die Klimawende mit bereits verfügbaren Technologien und deren Upscaling zu schaffen. „Wir müssen nur die Rahmenbedingungen dafür konsequent setzen”, so der Wissenschaftler, „substantielle Neuentwicklungen, so sie wirklich gelingen, würden dafür zu spät kommen.”

Verschiedenste wissenschaftliche Studien und Projekte bieten eine große Vielfalt an Lösungen für die verschiedenen Sektoren. So etwa der Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), bei dem zahlreiche führende Wissenschaftler*innen aus der ganzen Welt regelmäßig den aktuellen Stand der Wissenschaft aufbereiten. Beim Drawdown-Projekt haben Wissenschaftler*innen eine ganze “Bibliothek der Lösungen” geschaffen, die insgesamt 93 bestehende Technologien und Maßnahmen umfasst, mit denen das Ziel der Klimaneutralität erreicht werden kann. Spoileralarm: Das Festhalten an Verbrennungsmotoren, die Nutzung von Carbon Capture-Technologien oder auch das Warten auf den Durchbruch bei der Kernfusion zählen nicht dazu.