Über Fleisch, Nachhaltigkeit und mehr als Kaugummi kauen

Über Fleisch, Nachhaltigkeit und mehr als Kaugummi kauen

Wusstet ihr, dass Fleisch für 43% der ernährungsbezogenen Treibhausgase verantwortlich ist? Dass jede*r Österreicher*in durchschnittlich 63 Kilo Fleisch pro Jahr isst und sich damit nicht nur in Europa im Spitzenfeld befindet? Dass die Produktion von einem Kilo Rindfleisch 15.500 l Wasser verbraucht, von Weizen dagegen 1.300? Dass 40% der Antibiotika in Österreich für Nutztiere verwendet werden?

Photo on Unsplash by Christopher Sardegna

Unsere Ernährung ist für ein Viertel unseres ökologischen Fußabdrucks verantwortlich. Vor allem über Eier, Milch und – Fleisch. Österreicher*innen essen im Durchschnitt dreimal so viel Fleisch wie das Gesundheitsministerium empfiehlt. Aber man muss nicht ganz auf Fleisch verzichten, sondern kann wenig essen und dafür auf die Qualität schauen. Weniger Fleisch sei „zurück zu einem gesunden Maß“ und gleichzeitig notwendig auf einem begrenzten Planeten. Das war die Main Message der Pressekonferenz des WWF diesen Montag, bei der die Umweltschutzorganisation den neuen Fleischratgeber mit einem grün-orange-rot Ampelsystem präsentiert hat. Er soll die Frage beim täglichen Einkauf beantworten: wenn schon Fleisch, dann am besten welches? Denn auch Fleisch ist nicht gleich Fleisch.

Die Challenge: wissenschaftlich und gleichzeitig praktisch anwendbar

(c) Adriana Bascone

Der Fleischratgeber als wissenschaftlich fundierte Entscheidungsbasis zum persönlichen Fleischkonsum ist Teil der Iniative „Fleisch ist uns nicht wurscht“ gemeinsam mit der Umweltberatung und der MA22 Umweltschutzabteilung der Stadt Wien. Viele Prominente unterstützen die Kampagne, so auch Schauspielerin Franziska Weisz. Sie hat zusammen mit Helene Glatter-Götz, Programmleitung Nachhaltige Ernährung beim WWF Österreich und Thomas Lindenthal von der BOKU und dem Forschungsinstitut für Biologischen Landbau das Projekt vorgestellt. Der Ratgeber wurde ursprünglich an einer schwedischen Uni entwickelt und gemeinsam mit einem Forschungsteam rund um Thomas Lindenthal für Österreich angepasst. Damit man schnell und ohne Verwirrungen im Ratgeber nachschauen kann, musste für jede Kategorie ein Durchschnitt gebildet werden. Das war laut dem Forscher auch wichtig, um die Nachaltigkeit von Produkten wie Wurst oder Leberkäse einzuschätzen. Gleichzeitig stimmt es natürlich, dass nicht jedes Bio gleich ist und es auch in der konventionellen Landwirtschaft gute Markenfleischprogramme gibt. Bei Bio haben demeter und BioAustria beispielsweise höhere Standards.

Jeder von uns hat mindestens dreimal täglich die Möglichkeit, sich für eine nachhaltige Ernährung und für weniger und dafür besseres Fleisch zu entscheiden“ – Helene Glatter-Götz

Was uns das angeht

Franziska Weisz, Photo by klimareporter.in

„Fleisch ist uns nicht wurscht“ soll eine offene Diskussion ermöglichen und unterschiedliche Perspektiven aufzeigen. Was uns das Thema angeht bringt Franziska Weisz auf den Punkt: „Unser Fleischkonsum ist ein Schlüssel für die ganz großen gesellschaftlichen Probleme, die wir jetzt haben und die in Zukunft mehr und nicht weniger werden“. Von Zivilisationskrankheiten und Überlastung der Krankenkassa bis Artenstreben, Klimawandel und Trinkwasserknappheit. Und Fleisch ist das am aufwendigsten produzierte Nahrungsmittel. Gleichzeitig seien wir eine Konsumgesellschaft, was nicht nur ein Problem ist, sondern auch unser größter Hebel. Von sich Sorgen machen und nur auf die Politik verweisen hält sie wenig.

„Sorgen machen und darauf hoffen, dass die Politik irgendetwas für uns regelt, ist genauso effektiv wie Kaugummi kauen für den Weltfrieden. Da wird nicht wahnsinnig viel passieren.“ – Franziska Weisz

Nachhaltigkeit ist nicht gleich CO2 und Klimawandel

(c) Ben White on Unsplash

Fleisch hat vielfache Rucksäcke„. Anders gesagt – Auswirkungen auf den Ressourcenverbrauch. Daher hat der Ratgeber mehrere Kriterien als Basis: Klima, Artenvielfalt, Pestizideinsatz, Antibiotikaeinsatz, Überdüngung von Gewässern und Böden und nicht zuletzt Tierwohl. Wichtig war, ein möglichst umfassendes Bild zu zeichnen. Denn Klima ist nur eine sehr spezifische Blickrichtung. Wie Thomas Lindenthal erklärte, es gibt bei wissenschaftlichen Nachhaltigekeitsbewertungen bis zu 50 verschiedene Kriterien. Puh, das wäre zu komplex für Konsument*innen gewesen. Daher wurden Wasserverbrauch, Stoffströme von z.B. Stickstoff und Phosphor oder Hummusaufbau als grundlegender Bestandteil fruchtbarer Böden ausgeklammert. Das kann sich aber noch ändern, da es regelmäßige Updates geben wird. Außerdem ist Nachhaltigkeit eine „große Breite and ökologischen, ökonomischen und sozialen Kriterien„, so Lindenthal. Das bedeutet, dass weitgereiste Linsen insgesamt nachhaltig sein können, da es hier nicht nur um die Tramsportemissionen geht. Es bedeutet auch, die sozial-ökonomische Nachhaltigkeit nicht zu vergessen, wie ein angemessenes Einkommen der Landwirte.

Ihr fragt euch vielleicht, warum Gentechnikfreiheit positiv gewertet wird? Weil es laut WWF bei Gentechnik zu Verlusten in der Artenvielfalt kommt, speziell auf den extra gerodeten Flächen für Sojaanbau in Südamerika, wo früher ein Regenwald stand.

Die Politik trägt auch Verantwortung

Bei der Pressekonferenz. (c) klimareporter.in

Nicht nur Konsumenten tragen Verantwortung für die Kehrtwende im Ernährungssystem. Die wichtigste Forderung an die Politik ist die Herkunftskennzeichnung von verarbeiteten Fleischprodukten im Handel. Unternehmen haben die Verantwortung, weniger und besseres Fleisch zu beziehen sowie ein attraktiveres vegetarisches Angebot anzubieten. Für die Gastronomie, auch abseits der Gemeinschaftsverpflegung, soll auch Kennzeichnungspflicht herrschen. Ein großer Hebel liegt in der öffentlichen Beschaffung, wie Schulen, Krankenhäusern und weiteren öffentlichen Einrichtungen. Laut WWF braucht es hier österreichweite Kriterien und in der Vorreiterstadt Wien mehr Ambition. Unter anderem sollen alle tierische Produkte aus biologischer Haltung kommen, nicht zuletzt wegen der Tierwohlstandards.

Laut Presseinformation fordert der WWF Österreich eine verpflichtende Kennzeichnung von Herkunft, Haltung, Futtermittel und Tierwohl.

Ein paar mehr Zahlen?

Die Tierhaltung braucht, vor allem für die Produktion von Futtermitteln, 70% der weltweiten landwirtschaftlichen Fläche, so Helene Glatter-Götz. Dabei werden 75% des Soja-Anbaus für Tierfütterung verwendet. 1kg Fleisch braucht 6-16 kg Futtermittel. Ernährung verursacht in Österreich Treibhausgasemissionen pro Kopf, die mit einer Autofahrt von Wien nach Peking vergleichbar sind. Und zurück. Davon entstehen 2/3 durch tierische Produkte; und, nur 4 Prozent des Fleisches in Supermärkten kann empfohlen werden – dies laut WWF Factsheet. Franziska Weisz fügte noch bildlich hinzu: wenn 1 Hektar für den direkten Verzehr 20 Menschen ernähren kann, dann können bei Anbau von Futtermitteln auf der gleichen Fläche nur 2 Menschen satt werden. Und: Eine Fläche von umgerechnet Portugal, Dänemark, Ungarn und Niederlanden zusammen braucht die Produktion von Futtermitteln in Südamerika für den europäischen Markt.

Wenn Fleisch, zu welchem soll man dann greifen?

Die Antwort ist: zu Biohuhn, ob aus Österreich oder der EU mit EU-Biogütesiegel oder als zweite Alternative zu Bio-Schwein, auch laut Ampelsystem unabhängig davon ob aus Österreich oder nicht. Dennoch gibt es laut Thomas Lindenthal bei inlädischem, konventionellem Fleisch höhere Standards und Benühungen für Gentechnikfreheit im Vergleich zu anderen Ländern. Und möglichst regional sei in der Regel am besten. Noch besser wäre, Fleisch durch Folgendes zu ersetzen: Bio-Linsen, Bio-Bohnen und Bio-Erbsen, Bio-Tofu, Bio-Sojaschnetzel un Bio-Tempeh sowie Bio-Seitan und andere Produkte auf Weizen-Basis. Bei nicht-biologischem Anbau sticht der hohe Pestizideinsatz heraus. Die Antwort des WWF auf eine Frage zur Sinnhaftigkeit klassischer Fleischersatzprodukte ist, dass diesen Teil der Bevölkerung erreichen, aber dass es viele abwechslungsreiche Möglichkeiten in unserer Küche gibt, so dass wir „nicht erst anfangen müssen, Fleisch zu imitieren„. Mehr Obst, mehr Gemüse, mehr Hülsenfrüchte.

Also, schon mal an Hülsenfrüchte gedacht? Schmackhafte Rezepte gibt es hier unten, denn jeder kann klein anfangen, Neues ausprobieren und schlussendlich gemeinsam einen großen Unterschied machen.

Redet über das Thema mit euren Freunden, Familie und Kolleg*innen 😉

Weitere Infos

https://fleisch-ist-uns-nicht-wurscht.at

Fleischratgeber: https://fleisch-ist-uns-nicht-wurscht.at/der-fleischratgeber/

Kurz & bündiges Infoblatt „Klimaschutz mit gesunder Ernährung!“ von Die Umweltberatung: https://www.umweltberatung.at/klimaschutz-mit-gesunder-ernaehrung

Rezepte mit Hülsenfrüchten von Die Umweltberatung: https://www.umweltberatung.at/huelsenfruechte

https://www.umweltberatung.at/koestlichkeiten-aus-bohnen-und-linsen-47905

Als Zusatz ein paar vegane Rezepte von WWF Deutschland, von Restlkochen & Quiche bis Bratapfel-Smoothie oder Allzweckreiniger: https://www.wwf.de/themen-projekte/landwirtschaft/ernaehrung-konsum/wwf-zum-anbeissen/

Quellen

http://www.footprint.at/fileadmin/zf/footprintfragen/Footprint-Broschuere-2013.pdf

Photos by Klimareporter.in, wenn nicht anders angegeben