Umweltrecht 101 – ein Interview mit Umweltjuristin Viktoria Ritter

Umweltrecht 101 – ein Interview mit Umweltjuristin Viktoria Ritter

Was ist eigentlich Umweltrecht und welche Rolle spielt unser Rechtssystem im Kampf gegen die Klimakrise? Um das herauszufinden, hat sich Klimareporter.in mit der Umweltjuristin Viktoria Ritter getroffen, die bei ÖKOBÜRO für die rechtlichen und politischen Interessen der Umweltbewegung arbeitet.

Was versteht man unter Umweltrecht?

Generell kann man sagen, dass es im Kern um den Schutz der Umwelt vor Schäden und somit um den Schutz unser aller Lebensgrundlagen geht. Es wird beispielsweise festgelegt, unter welchen Bedingungen Rohstoffe abgebaut werden oder welche Stoffe in unsere Böden und Gewässer gelangen dürfen. Zunehmend geht es auch um den Klimaschutz, da eine intakte Natur der beste Schutz vor der Klimakrise ist.

Warum braucht es Umweltrecht?

Das klassische Umweltrecht ist entstanden, weil im letzten Jahrhundert Fabriken Schadstoffe emittiert haben, die zu Gesundheitsschäden bei Menschen geführt haben. Auch das fortlaufende Artensterben und die Biodiversitätskrise haben zur Etablierung des Umweltrechts beigetragen. Das ist auch wichtig im Kampf gegen die Klimakrise, weil Biodiversitätsverlust die Klimakrise beschleunigt. Ein Beispiel sind Moore: Sie speichern extrem viel CO2 und haben deshalb eine natürliche Senkenfunktion. Wird ein Moor zerstört, schadet das also der Natur und dem Klima. Umweltrecht kann eine wichtige Rolle spielen, um so etwas zu verhindern.

Wie schaut der Arbeitsalltag von Umweltjurist*innen aus?

In meinem Fall ist es klassische Interessenvertretungsarbeit. Manchmal reichen wir gemeinsam mit Mitgliedsorganisationen Beschwerden ein oder beteiligen uns in UVP-Verfahren (Umweltverträglichkeitsprüfung, Anm.). Oder wenn etwa das Naturschutzgesetz eines Bundeslandes reformiert werden soll, überprüfe ich den Gesetzesentwurf. Ich untersuche, welche konkreten Auswirkungen die Reform auf den Naturschutz hat, und prüfe, ob sie europarechtlich zulässig ist. In Österreich ist ein großer Teil der Arbeit von Umweltjurist*innen auch, immer wieder einzumahnen, was mangelhaft oder noch gar nicht umgesetzt ist.

Welche Rolle spielt Umweltrecht in Österreich?

Das österreichische Umweltrecht ist zu einem sehr großen Teil durch das Europarecht bestimmt. Aber es gibt auch Umweltrecht, das über die europarechtlichen Grundlagen hinausgeht – zum Beispiel die Landschaftsschutzgebiete und Nationalparks. Trotzdem bleiben die europa- und völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs unerfüllt. Gerade wenn es um die Beteiligung von Umweltschutzorganisationen geht. Da ist vieles lückenhaft umgesetzt. 

Inwiefern ist die Beteiligung von Umweltschutzorganisationen denn geregelt? 

Auf höchster Ebene ist sie sogar völkerrechtlich geregelt, in der Aarhus-Konvention. In der Konvention ist von drei Säulen der „environmental democracy“ die Rede. Also quasi Demokratisierung der Umweltentscheidungen.

Die drei Säulen der Aarhus-Konvention. Bild: aarhus-konvention.de

Die erste Säule ist Information der Bevölkerung: Wie geht es meiner Umwelt? Was wollt ihr mit ihr machen und was hat das für Auswirkungen? 

Die zweite Säule ist die Beteiligung in umweltrelevanten Entscheidungen von Menschen, die sowohl direkt als auch indirekt betroffen sind. Das heißt die Bevölkerung, oder Umweltschutzorganisationen als Vertreter*innen der Bevölkerung, werden miteinbezogen. 

Die dritte Säule ist der Rechtsschutz. Sollte eine Behörde eine umweltrechtliche Entscheidung treffen, die ich ungerecht finde, könnte ich zum Beispiel zu einer unabhängigen Stelle gehen. In Österreich ist das ein Gericht. Diese Stelle prüft meine Beschwerde und schaut, ob die Behörde das Umweltrecht eingehalten hat. 

Wie gut wird die Aarhus Konvention in Österreich umgesetzt?

Die Säule Umweltinformation ist in Österreich ganz okay umgesetzt. Es hakt noch bei den anderen beiden Säulen. Umweltschutzorganisationen haben in Österreich nur dann Beteiligungsrechte im Umweltrecht, wenn diese im Europarecht geregelt sind. Beteiligungsrechte für den nationalen Teil des Europarechts Umweltrechts setzt man in Österreich einfach nicht um. Aus völkerrechtlicher Sicht müsste man das aber.

Bei der Rechtsschutz-Säule gibt es große Lücken. Man kann sich zwar gegen eine aktive Entscheidung beschweren. Laut Aarhus-Konvention muss man sich aber auch beschweren können, wenn die Behörde etwas unterlässt. In Österreich ist das noch nicht möglich. 

Was ist ein Beispiel für gut umgesetztes Umweltrecht?

Ich würde sagen: die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) in Österreich. Hier werden die Umweltauswirkungen eines Projektes ganzheitlich geprüft. Eine wichtige Funktion von UVP-Verfahren ist auch, Projekte zu verbessern. Durch die relativ starken Beteiligungsrechte in der UVP (Expert*innen, betroffene Bürger*innen, evtl. Landesumweltanwaltschaft) kommt sehr viel unterschiedliche Expertise zusammen. Oft werden zusätzliche Auflagen für den Bau des Projekts vorgeschrieben und dadurch sichergestellt, dass das Projekt so wenig Umweltauswirkungen wie möglich hat.

Wie unterscheidet sich die UVP von der SUP?

Die SUP ist eine strategische Umweltprüfung. Da werden nicht einzelne Projekte oder Vorhaben geprüft, sondern Pläne und Programme. Eine prominente aktuelle SUP ist die “Strategische Prüfung Verkehr” zu Lobau. Hier wurde geprüft, wie wir das Verkehrsproblem umweltfreundlich lösen können. Das Ergebnis: der Lobau-Tunnel ist die schlechteste Alternative. Allerdings zeigt sich hier das große Problem der SUP: Das Ergebnis ist in Österreich an sich nicht verbindlich. Es muss nur in zukünftigen Verfahren berücksichtigt werden. 

2022 haben Kinder und Jugendliche gegen das schwache Klimaschutzgesetz geklagt. Der Verfassungsgerichtshof hat die Klage zweimal aus formellen Gründen zurückgewiesen. „CLAW – Initiative für Klimarecht“ meint dazu: „Wir haben in Österreich beim Klimaschutz ein Rechtsschutzdefizit. Das bedeutet, dass Rechte zwar auf dem Papier existieren, sie jedoch nicht einklagbar sind und das ist eine Ungerechtigkeit für sich.“ Was bräuchte es, um diese Rechtsschutzlücke zu schließen?

Man müsste in einem Verfahrensgesetz oder in dem Gesetz, um das es thematisch geht, regeln, dass es ein Klagerecht für Untätigkeit der Behörde gibt. Das wäre überhaupt keine Hexerei, es fehlt einfach der politische Wille in Österreich. Zusätzlich setzt der Verfassungsgerichtshof sehr hohe Hürden an die individuelle Betroffenheit, die Voraussetzung für eine Klage ist. Durch die neuen Urteile des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) könnte sich da aber bald etwas ändern.

Wann sind Klimaklagen erfolgreich?

Wir hatten in Österreich noch keine erfolgreiche Klimaklage. Aber wo Klimaklagen im Moment erfolgreicher werden, ist im Menschenrechtsbereich. Aus menschenrechtlicher Sicht ist mittlerweile anerkannt, dass Klimaschutz oder der Schutz vor den negativen Auswirkungen der Klimakrise in gewisser Weise ein Menschenrecht ist. Eine Entscheidung, die zu Recht große Wellen geschlagen hat, ist das bahnbrechende Urteil des EGMR zu den Klimaseniorinnen in der Schweiz. Dadurch wird sich sukzessive auch in den anderen Staaten mehr tun. Interessant wird für uns die Klimaklage „Mex gegen Österreich“, der der EGMR hohe Priorität eingeräumt hat. 

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag beschäftigt sich zurzeit mit der Frage, inwieweit Staaten rechtlich zum Klimaschutz verpflichtet sind. Welche Ergebnisse kann man erwarten?

Die UN-Generalversammlung hat den Internationalen Gerichtshof (IGH) gebeten, zu klären, was die Verpflichtungen von Staaten in Bezug auf die Klimakrise sind. Sowohl mit Blick auf die Zukunft als auch mit Blick auf die Vergangenheit, also die Verantwortung von Industrienationen gegenüber Staaten des globalen Südens. Bei einem Hearing wurde Staaten, aber auch Organisationen und Expert*innen die Möglichkeit gegeben, ihre Rechtsansichten darzulegen. Die Antworten der Staaten fielen sehr unterschiedlich aus. Es ist schwer zu sagen, was der IGH jetzt als verbindliches Völkerrecht feststellen wird. Ganz simpel gesagt muss ich mich als Staat im Völkerrecht aber auch zu nichts verpflichten lassen. Die USA ist beispielsweise jetzt wieder aus dem Pariser Klimaabkommen, einem völkerrechtlichen Vertrag, ausgestiegen.

Viktoria Ritter arbeitet als Umweltjuristin bei ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung. ÖKOBÜRO setzt sich auf rechtlicher und politischer Ebene für die Interessen der Umweltbewegung ein und hat 21 Mitgliedsorganisationen in Österreich, darunter WWF, GLOBAL 2000 und die Vier Pfoten. Viktoria Ritter behandelt vor allem völker- und europarechtliche Fragestellungen. 

Titelbild: ÖKOBÜRO