Die Wasserkraft in der (Klima-)Krise

Die Wasserkraft in der (Klima-)Krise

60 Prozent des heimischen Stroms kommt aus Wasserkraft. Sie ist die meistgenutzte erneuerbare Energiequelle weltweit und ein wichtiges Puzzlestück, um die Erderhitzung möglichst bei 1,5 °C zu begrenzen. Allerdings wirkt sich die Klimakrise bereits jetzt negativ auf die Stromproduktion aus Wasserkraft aus. Mal regnet es zu viel, mal zu wenig. Hinzu kommt, dass Österreich nicht auf Zielkurs beim Ausbau erneuerbarer Energien liegt. Ein Experte der BOKU Wien erzählt uns von Ursachen und Auswegen.

Ein Beitrag von Selina Graf und Leonie Machhammer

Das kräftige Rauschen des Wassers dröhnt in den Ohren. Wer von der Brücke hinunter sieht, blickt auf tosendes Gewässer, und doch ist dies nur ein kleiner Vertreter seiner Art. Hier im 19. Bezirk Wiens steht das Wasserkraftwerk Nussdorf. Es ist eines von rund 5.000 Wasserkraftwerken in Österreich.

Diese Wasserkraftwerke erzeugten in Österreich im Jahr 2020 durchschnittlich 55 – 67 % des Stroms. In mehr als 35 Ländern wird so zumindest die Hälfte der Stromversorgung gedeckt. In Bhutan, Äthiopien, Lesotho, Mozambique und Nepal sogar über 90%. Weltweit erzeugt Wasserkraft mehr Strom als alle anderen erneuerbaren Energieformen zusammen. Sie ist damit eine der wichtigsten Quellen für eine nachhaltige Energieversorgung und essentiell im Kampf gegen die Klimakrise. Gleichzeitig wird sie aber von dieser bedroht.

Klimakrise: weniger Strom aus Wasserkraft

Mittlerweile ist wissenschaftlich belegt, dass sich Extremwetterereignisse wie Dürren, Überflutungen und gewisse Sturmarten durch die Erderhitzung häufen und intensivieren.  Mit Folgen für die Wasserkraft: 2021 wurde global 0,4 % weniger Strom aus Wasserkraft gewonnen als im Jahr zuvor. Das ist beispielsweise auf Dürren in Brasilien, den USA oder in China zurückzuführen.

In Österreich konnten im Juli dieses Jahres überhaupt nur 77 % des Strombedarfs aus Wasserkraft gedeckt werden, wie der Standard berichtete. Im Juli des Vorjahres waren es dagegen noch 96 %. Eigentlich sollte laut Internationaler Energieagentur (IEA) aber sogar jedes Jahr um drei Prozent mehr Strom aus Wasserkraft erzeugt werden, damit die Emissionen bis 2050 auf Netto-Null zurückgehen. 

Netto-Null bedeutet, das Ausstoßen von Treibhausgasemissionen soweit zu senken, dass Senken wie z.B. Wälder, Moore und Ozeane diese ausgleichen können. Bei Netto-Null wird also nicht mehr ausgestoßen, als durch Senken wieder aus der Atmosphäre entfernt werden kann. Dadurch soll die Erderhitzung auf möglichst niedrigem Niveau stabilisiert werden.

Zu wenig Wasser bei Dürre, zu viel bei Starkregen

Klimareporter.in hat mit Helmut Habersack, Leiter des Instituts für Wasserbau, Hydraulik und Fließgewässerforschung an der BOKU Wien gesprochen. Die Forschung sei sich einig:

Die Klimakrise wirkt sich auf die Wasserkraft aus und die richtigen Maßnahmen müssen getroffen werden, um möglichst gut mit den Herausforderungen umgehen zu können.

Denn die Wasserkraft hat einen großen Vorteil gegenüber der Solar- und Windkraft. Sogenannte Pumpspeicherkraftwerke können während eines Überangebots an Strom das Wasser in eigene Speicher pumpen. Wenn sich die Nachfrage erhöht, kann dieses Wasser zusätzlich die Turbinen antreiben und so mehr Strom liefern.

Laufkraftwerke seien dagegen laut Habersack besonders anfällig für klimatische Veränderungen. Deren Turbinen werden durch die Fließgeschwindigkeit und teils auch durch eine gewisse Fallhöhe des Wassers angetrieben. Wenn bei einer Dürre weniger Wasser fließt, kann entsprechend weniger Strom erzeugt werden. Bei Starkregen, der ebenfalls durch die Klimakrise intensiver und häufiger wird, sind Laufkraftwerke oft gar nicht mehr in Betrieb.

Einer Studie der Internationalen Kommission für Hydrologie des Rheingebiets zufolge, der auch Habersack angehört, deute deshalb alles auf eine Verschiebung des bisher Wasserkraft-starken Sommers hin zu Herbst und Winter. Zudem soll es vermehrt Niedrigwasserphasen geben, und die verarbeitbare Menge an Wasser – der sogenannte Abfluss – wird stärker schwanken als bisher. Im Worst Case-Szenario könnte sich beispielsweise der Abfluss des Rheins in den Sommermonaten um 25 % verringern. Hinzu kommt noch eine weitere Bedrohung: Gletscher, die bisher die Niedrigwasserphasen bei Hitze und geringen Niederschlägen ausgeglichen haben, könnten bis 2050 abgeschmolzen sein.

Auswege aus der Krise: Bypass und Grundablass

© Pixabay

Durch das Abschmelzen der Gletscher versanden und verlanden viele Stauräume. Bei Starkregen kann sich zudem das vormals durch das Eis gesicherte Material leichter lösen. Die Staubecken füllen sich dadurch mit Geröll und können weniger Wasser halten. Darunter leidet die Effizienz der Kraftwerke: Derzeit geht weltweit mehr Speicherkapazität durch Verlandung verloren, als durch neue Bauten ausgeglichen werden kann.

Verlandung beschreibt die Auffüllung der Staubecken von Speicherkraftwerken mit Steinen, Geröll und Sand. Das wirkt sich negativ auf die Stromproduktion aus.

Das Problem der Verlandung und Versandung müsse deshalb bei Neubauten entsprechend berücksichtigt werden, betont Habersack. Eine Möglichkeit wäre eine Art Bypass, wie man ihn aus der Medizin kennt. Dieses Tunnelsystem transportiert das Material dann über eine Umleitung aus dem Speicherbecken. Japan konnte durch den Einsatz dieser Technologie bereits zusätzliche Küstenfläche gewinnen.

Eine andere Möglichkeit wäre ein Grundablass. Dabei wird der Staudamm leicht geöffnet und das sedimentbeladene Wasser fließt durch diese Öffnung ab. Auch das verlandete Material wird so weggespült.

Mehr, mehr, mehr?

Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz sieht vor, dass 2030 100 % des Stroms in Österreich aus erneuerbaren Quellen erzeugt werden soll. Dafür wird vor allem der Ausbau der Solar- und Windkraft propagiert. Allerdings soll ebenso die Wasserkraft, die in Österreich bereits eine große Rolle spielt, weiter forciert werden. Derzeit hinkt man mit dem Ausbau aber hinterher.

Die Rede ist von zusätzlichen 5 TWh (Terawattstunden). Habersack erklärt, dass durch die Modernisierungen bestehender Wasserkraftwerke 0,8 – 1 TWh erzeugbar wären, also knapp ein Fünftel des vorgesehenen Ausbaus. Wichtig sei, alte Turbinen mit geringem Wirkungsgrad rasch zu ersetzen. Dafür brauche es auch Subventionen. An diese könne man wiederum ökologische Forderungen knüpfen.

Helmut Habersack betont aber auch, dass die Zeit drängt. Bis 2023 sollte deshalb ein Konsens bezüglich des Ausbaus der Wasserkraft gefunden werden.

Aktuell geht die Stromproduktion aus Wasserkraft eher zurück, anstatt dass man auf Zielkurs für 2030 liegt. Screenshot: klimadashbord.at


Titelbild: Leonie Machhammer