Weltklimakonferenz COP 27: Im Namen der Vernunft

Weltklimakonferenz COP 27: Im Namen der Vernunft

33.449 Menschen diskutieren gerade über unsere Klima-Zukunft auf der 27. Weltklimakonferenz in Ägypten. Zwei von ihnen sind Iris und Philipp. Wir sprechen mit den Jugenddelegierten Österreichs über die Rolle der Jugend, die prekäre Menschenrechtslage und ihre Forderungen an die heimische Politik. Außerdem erzählt uns eine UN-Jugendbeauftragte, wie man trotz allem nicht die Hoffnung verliert und dabei seine eigene Klima-Superpower entdeckt.

Auf meinem Laptop sehe ich, wie die Morgensonne im 2.783 Kilometer entfernten Sharm el-Sheik ins Hotelzimmer scheint. Am anderen Ende des Videocalls sitzen Iris Zerlauth und Philipp Steininger, Österreichs Jugenddelegierte auf der 27. Weltklimakonferenz (COP 27). “Dein Pass ist in der Laptophülle“, sagt Iris mitten in unserem Gespräch zu einer Kollegin. Bald müssen sie sich wieder identifizieren, wenn sie die Sicherheitskontrolle der COP 27 passieren wollen. Und diese ist nicht nur aufgrund der geladenen Gäste extrem streng. Gastgeber Ägypten will sicherstellen, dass die Kritik von Menschenrechtsverletzungen bis Greenwashing möglichst leise bleibt.

Anwesend sind unter anderem US-Präsident Joe Biden, der EU-Kommissar für Klimaschutz Frans Timmermans und Österreichs Klimaschutzministerin Leonore Gewessler. Auf diese und andere einflussreiche Politiker*innen Druck auszuüben, ist Iris und Philipp ein großes Anliegen. Als Jugenddelegierte der NGO CliMates Austria, zu der auch klimareporter.in gehört, wollen sie die vielfältigen Stimmen der Jugendlichen auf der COP 27 vertreten. Konkret heißt das für sie: durch die Reduktion von Treibhausgasemissionen und mehr Geld für Klimaanpassungsmaßnahmen eine gerechtere Zukunft und einen bewohnbaren Planeten einzufordern. 

Eine juvenile Willkommenskultur?

Im Oktober haben die Jugenddelegierten in einem Gastbeitrag berichtet, dass junge Menschen nicht immer auf internationalen Klimakonferenzen erwünscht sind. Als Michael Spiekermann – Mentor der diesjährigen Jugenddelegierten – mit einem Pappkarton für mehr Mut im Klimaschutz protestierte, wurde er von Sicherheitskräften vom Konferenzgelände verwiesen.

Vor gut einer Woche bemängelte auch die deutsche Fridays-for-Future Aktivistin Luisa Neubauer, dass die Jugend auf der COP 27 nur willkommen sei, solange sie sich nicht kritisch äußere. Die Regeln geben vor, dass bei Demonstrationen weder Unternehmen noch Länder und deren Politiker*innen namentlich genannt werden dürfen. “Eine Shitshow”, nennt Neubauer das.

Darauf angesprochen bestätigen mir Iris und Philipp, dass es diese Regeln, zumindest auf dem Papier, gibt. “Es kommt allerdings schon vor, dass Politiker*innen, Unternehmen und Länder bei diesen Protesten genannt werden”, erzählt Philipp. Das Konferenzgebäude in Sharm El-Sheikh ist offizieller Boden der Vereinten Nationen (UN), somit ist auch UN-Personal für die Sicherheit vor Ort zuständig. Das spiegelt sich laut Iris auch darin, dass dieses schon sehr tolerant sei. Die Situation auf UN-Boden ist also anders als auf dem Gelände davor, wo Demonstrationen verboten sind. Bis dato (wir führten das Gespräch am 13.11.) kam es in Sharm El-Sheikh zu keinen Inhaftierungen oder gewaltsamen Zusammenstößen – zumindest offiziell.

60.000 politische Gefangene

Angesichts der katastrophalen Menschenrechtslage in Ägypten ist diese Nachricht allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Amnesty International schätzt, dass ungefähr 60.000 politische Dissident*innen in Ägypten inhaftiert sind. 70 davon wurden im Vorfeld des Klimagipfels verhaftet, weil sie zu Protesten aufgerufen hatten. Auch Iris und Philipp betonen, dass die COP 27 gemischte Gefühle in ihnen hervorruft. Neben der Möglichkeit, verbindliche Abkommen auszuverhandeln, bleibt ein bitterer Beigeschmack, da die COP vom ägyptischen Regime instrumentalisiert wird, das eigene Image auf internationaler Ebene zu “greenwashen”.  

Die COP 27 und das Gastgeberland Ägypten wollen sich als offen inszenieren, auch gegenüber der Jugend. Stolz wurde der neue Kinder- und Jugendpavillon, ein speziell reservierter Ort für junge Menschen und deren Anliegen, präsentiert. “Der Pavillon bietet eine Möglichkeit, sich zu vernetzen. Es ist ein großer Raum, um zu lernen und um nach der COP weiterhin länderübergreifend zusammenzuarbeiten,” sagt Iris. Zynische Zungen würden behaupten, dass der Pavillon zwar den Austausch unter Jugendlichen fördere, das eigentliche Problem aber nicht lösen könne: jungen Menschen mehr Macht in Form von Mitspracherecht zu geben. Schließlich bleibt der Pavillon ein Extra-Programm für Kinder und Jugendliche und sondert sie damit von den relevanten Verhandlungen ab. “Allein die Zukunft wird zeigen, wie ernst man die Ideen, die aus dem Pavillon kommen, dann auch wirklich nimmt”, ergänzt Philipp. 

Zwischen Hoffnung und Konfrontation 

Die Bilanz der COP 27 scheint auf den ersten Blick negativ auszufallen. Maulkorb für Demonstrierende, Menschenrechtsverstöße und unzureichende Klimaversprechen. Nichtsdestotrotz ist vor allem die Anwesenheit junger Menschen so wichtig. Sie organisieren die Demonstrationen, tragen die Forderungen am lautesten an die Entscheidungsträger*innen heran und formulieren die radikalsten Ideen. Philipp fasst es folgendermaßen zusammen: “Die Jugendlichen nehmen sich kein Blatt vor den Mund und sprechen die wirklich unangenehmen Themen an. Sie schrecken außerhalb der COP 27 auch nicht davor zurück zu protestieren und sehen auch jetzt keinen Grund, das zu ändern.”

Auffallend sei laut Iris und Philipp, dass insbesondere die Verhandler*innen von Subsahara-Afrika, Südasien und den pazifischen Inselstaaten relativ jung seien. Diese Regionen haben kaum zur Eskalation der Klimakrise beigetragen. Das schützt die dort lebenden Menschen jedoch nicht von den Folgen der Klimakrise. Im Gegenteil. Für sie steht am meisten auf dem Spiel: von Dürren und Hitzewellen ausgelöste Ernteausfälle, sich verändernde Migrationsmuster, der Anstieg des Meeresspiegels und das Verschwinden von küstennahen Landstrichen. Laut dem aktuellen Dürrebericht der Vereinten Nationen könnten im Jahr 2050 mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung von Dürren betroffen sein. Rund fünf Milliarden Menschen würde dann zumindest temporär der Zugang zu Wasser fehlen. Die Gewissheit über diese bevorstehenden Veränderungen und das unsägliche Leid, das dadurch entstehen wird, spornt junge Menschen zu Hochleistungen an. “Die Jugendlichen gehen deswegen direkt und konfrontativ auf Politiker*innen zu. Das ist auch unser Ansatz in den Gesprächen, die wir im Rahmen der COP mit den Politiker*innen führen“, meint Philipp.

Trotz strenger Sicherheitsvorkehrungen wird auch auf der COP 27 lautstark protestiert. Foto: CliMates Austria / Nina Ameseder & Bettina Graml

Leonore Gewessler, Österreichs Klimaschutzministerin, haben Iris und Philipp bereits getroffen. “Im Vergleich zu anderen Staaten haben wir das Gefühl, dass die Kooperation zwischen uns und der österreichischen Delegation, zu der auch Gewessler gehört, gut ist. Man begegnet sich auf Augenhöhe, Einblicke und Informationen werden geteilt”, meint Iris. Dennoch fordern Iris und Philipp mehr Geld für den globalen Süden bei klimabedingten Verlusten und Schäden. Die 12,5 Millionen Euro pro Jahr, die Österreich mittlerweile locker gemacht hat, seien zwar ein guter erster Schritt,  reichen aber bei Weitem nicht aus. Außerdem müssen die Verhandlungen zum Klimaschutzgesetz in Österreich wieder aufgenommen werden. “Das Klimaschutzgesetz liegt seit zwei Jahren auf Eis. Es muss nun endlich wieder aus den verstaubten Aktenkoffern gegraben und endlich beschlossen werden”, kritisiert Iris.

Ein Leitfaden für Jugendliche

Wenige Tage nach dem Gespräch mit Iris und Philipp treffe ich Louise Dorner in einem Café in Wien. Die Uhr zeigt kurz nach drei an, doch draußen beginnt es bereits zu dämmern. Louise arbeitet gerade als Youth Program Officer beim Umweltprogramm der Vereinten Nationen (kurz UNEP) und ist in dieser Funktion für die Umsetzung und Koordination von Jugendprojekten zuständig. Zwar kennt sie Iris und Philipp nicht persönlich, doch gemeinsam verbindet sie der Wille für Veränderung und die Überzeugung, jungen Menschen in dieser Veränderung eine Stimme zu geben. 

Louise war Co-Initiatorin eines Leitfadens für umweltbewusstes Engagement für junge Menschen, der vor drei Wochen in Brüssel vorgestellt wurde. Dieser Leitfaden soll Jugendlichen einen Überblick geben, wie sie, ihren Ressourcen entsprechend, nachhaltiger leben können. Außerdem stellt er auch verschiedene Finanzierungs- und Kooperationsmöglichkeiten vor. Auf meine Frage, warum sich der Leitfaden auf individuelle Verhaltensmuster beschränkt, antwortet Louise, dass sich viele Menschen aufgrund der Intensität und Mehrdimensionalität der Klimakrise überfordert fühlen. Man habe sich deshalb bewusst für eine Art Ratgeber entschieden, der individuelle Empfehlungen gibt. “Der Leitfaden soll zeigen, wie man sich auf individueller, lokaler, nationaler und internationaler Ebene engagieren kann. Jede Person kann sich dann überlegen, wo sie anfangen möchte und in welchem Bereich sie sich als Changemaker sieht”, berichtet Louise. “Die Hauptverantwortlichen für die Klimakrise bleiben aber natürlich die unterschiedlichen Industrien, angefangen von der Öl- und Gasindustrie bis hin zur Landwirtschaft”, fügt sie schnell hinzu. 

Auf positive Kommunikation achten und Anreize setzen 

Die Klimakrise kann bedrückend sein, sowohl für Leute, die sich schon länger mit ihr beschäftigen, als auch für solche, die sich erst seit Kurzem damit befassen. Psycholog*innen nennen dieses Gefühl des Unbehagens und der Verzweiflung “Klimaangst”. In gewissen Fällen kann sie einer Angststörung ähneln. Sie ist allerdings keine medizinische Diagnose, weshalb sie nicht mit einer psychischen Krankheit gleichzusetzen ist. Nichtsdestotrotz ist sie real. In einer Studie der University of Bath gaben von 10.000 befragten Personen zwischen 16 und 25 Jahren 59 Prozent an, entweder “sehr” oder sogar “extrem besorgt” über den Klimawandel zu sein.

Auch für Louise ist es ein schwieriger Balanceakt, die Gefahr der Klimakrise zu betonen, ohne den Leuten Angst zu machen oder die Verantwortung dafür zu individualisieren. Deswegen liegt ihr eine bedachte Kommunikation über die Klimakrise sehr am Herzen. “Es ist wichtig, dass man nicht nur über die Probleme spricht, sondern vor allem jungen Menschen Lösungsansätze gibt. Dazu gehören auch Tipps, was man als individuelle Person machen kann und wie man sich organisieren kann.” Außerdem sei es wesentlich, die Fortschritte im Kampf gegen den Klimawandel von Zeit zu Zeit hervorzuheben. Und tatsächlich gibt es Erfolge, die sich zeigen lassen können: die Wiederaufforstung des Regenwaldes in Costa Rica, die wachsenden Breitmaulnashörner- und Pandabärpopulationen oder der kontinuierliche Rückgang von Gasen, die der Ozonschicht schaden, also sogenannte Fluorchlorkohlenwasserstoffe. 

Wie man die Blase zum Platzen bringt

Je älter wir werden, desto wahrscheinlicher ist es auch, dass wir uns in sozialen Blasen bewegen, die nicht leicht platzen wollen. Vor allem in der Ökoblase kommt es des Öfteren vor, dass komplizierte Argumente vorgetragen und komplexe Themen beredet werden. Damit holt man die Leute aber nicht ab.  Deswegen versucht Louise in ihrer Jugendarbeit auf Themen zu setzen, die eine relativ große Gruppe ansprechen. In Gesprächen mit leidenschaftlichen Skifahrer*innen müsse dann eben die Gletscherschmelze betont werden, in Gesprächen mit Tierliebhaber*innen der Verlust der Artenvielfalt. “Ich kann nur immer wieder appellieren, dass man auch im privaten Kreis ein kleiner Aktivist oder eine kleine Aktivistin ist, denn man weiß nie, wer einen inspiriert oder wen man selbst inspirieren kann”, sagt mir Louise abschließend, als die Sonne nun ganz hinter dem Horizont verschwindet.


Titelbild: Klimaschutzministerin Leonore Gewessler mit den öst. Jugenddelegierte. Foto: MK / Cajetan Perwein