Katja Trippel: „700 schwer erkrankte Menschen müssen nicht sein“ – Wie sich das Klima auf die Gesundheit in Österreich auswirkt

Katja Trippel: „700 schwer erkrankte Menschen müssen nicht sein“ – Wie sich das Klima auf die Gesundheit in Österreich auswirkt

In regelmäßigen Abständen erweitern wir unser Dossier zu „Klimakrise und Gesundheit in Österreich“. Teil 1 des Dossiers widmet sich der Verantwortung des Journalismus. Die freie Journalistin und Autorin Katja Trippel erzählt, wie sich das Klima auf die Gesundheit in Österreich auswirkt, wie die Gesundheitsrisiken am besten kommuniziert werden sollten, und wo man sich zum Thema informieren kann.

Du hast gemeinsam mit der Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann das Buch “Überhitzt” geschrieben, das uns zu diesem Dossier inspiriert hat. Wie ist es zu eurem Buch gekommen?

Der Verlag „Duden“ ist an uns herangetreten. Ich habe früher schon über den Zusammenhang zwischen Klima und Gesundheit berichtet. Meist aus fremden Ländern. Hier in Europa schien das Thema bislang nicht so aktuell. Aber das ist ein Trugschluss. Darum bin ich sofort auf das Angebot des Verlags eingegangen. Mit Claudia Traidl-Hoffmann habe ich mir eine renommierte Umweltmedizinerin gefunden, und wir sind das Projekt gemeinsam angegangen.

Ihr beschreibt darin Kapitel für Kapitel, wie das Klima die Gesundheit beeinflusst. Werden diese gesundheitlichen Folgen auch im neuesten Bericht des Weltklimarats (IPCC) entsprechend behandelt?

Anders als die vorherigen IPCC-Berichte finde ich diesen extrem prägnant und präzise zum Thema. Er benennt die genauen Folgen für uns Menschen. Die Begriffe „health“ (übersetzt: Gesundheit) und „well-being“ (übersetzt: Wohlergehen) werden so häufig genannt wie nie zuvor. Er beschreibt genau, was eine Erwärmung um 1,5 °C bedeutet – und zeigt, dass die Erkenntnisse eindeutig belegt sind. Es gibt keine Zweifel mehr. Hinter fast allen Formulierungen steht „high confidence“ (übersetzt: hohes Vertrauen) oder „very high confidence“ (übersetzt: sehr hohes Vertrauen).

Die Wissenschaftler*innen haben begriffen, dass Zahlen oder Klimamodellierungen nicht ausreichen, um Menschen zu bewegen. Sie müssen übersetzen, was ihre Erkenntnisse für Hanna Müller und Heinz Mayer bedeuten.

„Überhitzt“ von Katja Trippel und Claudia Traidl-Hoffmann

Der IPCC-Bericht identifiziert Hitze, Trockenheit, Überflutungen und Wasserknappheit als die größten Risiken für Europa. Welche gesundheitlichen Folgen gehen damit einher?

Wir sind in Europa noch relativ fein raus. Der größte Teil der Menschheit wird mit Ernährungsproblemen zu kämpfen haben: mit Hunger, Wassermangel und Fehlernährung. Trotzdem spüren auch wir die Folgen schon stark. Die Brände im letzten Sommer von Portugal über Spanien bis hin nach Österreich kannten wir so nicht. Das passiert, weil es viel zu trocken ist. Es sind unkontrollierbare Feuer. Dazu die Überschwemmungen mit über 180 Toten allein in Deutschland, die Katastrophen kommen näher.

Ich bin seit ein paar Wochen wieder in Südfrankreich, bei Avignon. Seit Anfang des Jahres hat es hier nur ein paar Tage geregnet. Man kann jetzt schon absehen: Für die Landwirtschaft wird die Dürre ein Riesenproblem – und sie wird weitere Feuer anfachen, deren Rauchpartikel auch Menschen in weiter Distanz gefährden. Vor allem Menschen mit Asthma. Aber auch für an Covid Erkrankte. Der Rauch geht stark auf die Atemwege.

Wie wirken sich Hitzewellen aus, die ja immer häufiger und intensiver werden?

Das trifft neben Älteren und ganz kleinen Kindern wieder die mit den klassischen Vorerkrankungen am meisten: Herzkreislauf- und Atemwegserkrankungen etwa. Der Körper ist nach mehreren heißen Tagen über 30 Grad unglaublich gestresst, seine Normaltemperatur zu halten. Wenn es auch in der Nacht nicht abkühlt, geht das nicht nur auf den Kreislauf, sondern auch auf die Atemwege.

Es gibt klare Zusammenhänge mit Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten und Aggressionen. Und es kann bis zum Hitzschlag gehen. Der Körper baut durchs Schwitzen enorm viel Flüssigkeit ab. Darum müssen wir trinken, trinken, trinken. Sonst haut es uns von den Füßen. Aber nicht einmal in Krankenhäusern und Pflegeheimen wird genügend darauf geachtet.

Es wird also zu wenig Wert auf Prävention gelegt?

Genau. In Frankreich starben im August 2003 rund 15.000 Menschen infolge einer Hitzewelle. Wenn seither so etwas ansteht, wird hier mittlerweile in allen Medien gewarnt. Man kann in gekühlten Bibliotheken Schutz suchen. In Städten wie Dörfern sind die Bürgermeister*innen verpflichtet, sich um alleinstehende, ältere Menschen zu kümmern. Es läuft im Ernstfall einfach eine Routine zum Schutz der Bevölkerung ab, die es in Deutschland und Teilen Österreichs nicht gibt.

Als freie Journalistin kommst du viel herum: etwa Deutschland, Brasilien, Frankreich, Australien. Wie erlebst du dort die Klimakrise?

Ich lebte in Australien, als 2019 und 2020 die wahnsinnigen Wildfeuer tobten. Das waren unkontrollierbare Feuer mit zerstörerischen Folgen für die Natur und die Menschen. Die Rauchwolken, der Rauchgestank, überall die Asche zu sehen und nicht mehr gefahrlos aus den Städten rausfahren zu können, all das hat wirklich Angst gemacht.

Jetzt erlebt Australien Überschwemmungen bisher nie gehabten Ausmaßes. Halb Queensland und New South Wales stehen unter Wasser. Das ist ein wenig wie vergangenes Jahr in Deutschland in der Ahr. Es passiert alles schon jetzt.

Das klingt alles sehr erschreckend. Auch der IPCC-Bericht liest sich wie eine Horror-Geschichte auf 3600 Seiten. Gleichzeitig scheint die Krise an den meisten Tagen doch fern zu sein. Wie sollen Journalist*innen mit diesem scheinbaren Widerspruch umgehen?

Es würde sicher helfen, lösungsorientierter zu berichten. Beim Thema Hitze gibt es so viele gute, erprobte Beispiele. Wir wissen, dass sich der Asphalt und Beton in den Städten aufheizt. Aber wir können die Temperaturen mit Frischluftschneisen runterkühlen, wenn wir sie denn nicht zubauen.

Und mit Bäumen und Büschen, Rasenflächen, Gärten, Fassaden- und Dächerbegrünung. Die Vegetation funktioniert wie eine natürliche Klimaanlage: Wasser verdunstet und kühlt die Umgebung um mehrere Grad herunter. In Wien müssen beispielsweise bei Neubauten die Fassaden begrünt werden. Bei Altbauten können Fördermittel abgerufen werden. Das sind gute Maßnahmen, die lauter kommuniziert werden sollten.

Verbrannte Erde nach den Feuern in Adelaide. Die Rachpartikel sind ein Aspekt dessen, wie Klima die Gesundheit beeinflusst.
Südaustralien bei Adelaide Januar 2020, zwei Wochen nach den Feuern. Bild: Katja Trippel (privat)

Was wird anderswo bereits getan?

Ein praktisches Beispiel für die Klima-Gesundheit: In Australien hängen an öffentlichen Toiletten Poster, die dir sagen, wie viel du trinken sollst. Je nachdem, welche Farbe dein Urin hat. Wenn er hellgelb ist, ist alles in Ordnung. Wenn er aber dunkler wird, ist das ein Zeichen für Flüssigkeitsmangel der Nieren, und du solltest schnell etwas trinken. Das versteht jedes Kind.

In der „tube“ in London (U-Bahn) kommt an Hitzetagen eine Durchsage, die einen erinnert, genug zu trinken. In Frankreich fordern die Medien an Hitzetagen auf, sich um seine Nachbarn zu kümmern.  Das Bewusstsein für die Gefahr und für all diese Anpassungsmöglichkeiten ist im deutschsprachigen Raum leider bislang wenig vorhanden.

Die Klimaerwärmung wirkt sich auch auf die Vegetation aus. Was hat das für gesundheitliche Folgen?

Die Pollensaison verlängert sich und beginnt früher. Vor allem Birke und Hasel beginnen schon bis zu zwei Wochen früher zu blühen. Das kann schon im Februar sein. Die Allergie-Saison zieht sich dann bis in den Herbst hinein. Neue Pflanzen wie die Ambrosia (Ragweed) fühlen sich mittlerweile wohl. Das ist ein hochallergenes Kraut, dass aus den USA zu uns kam. Nun ist es in ganz Europa zu finden. Die Ambrosia liebt es trocken und wächst genau dort, wo andere nicht mehr genügend Wasser finden. Sie ist bekannt für Kreuzallergien.

Ich habe etwa im Sommer Gräser- und Beifuß-Allergien entwickelt. Die Kreuzallergie des Beifußes mit der Ambrosia zieht die Beschwerden für mich jetzt bis in den Oktober hinein. Viele Allergiker*innen müssen durchgehend Medikamente einnehmen, um aus den Augen sehen und sich überhaupt konzentrieren zu können. Arbeiten und studieren ist dann mehr als anstrengend. Meine Co-Autorin warnt immer: Allergien und Pollen sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Von einem leichten Schnupfen kann sich das schnell hin zu Asthma und ernsthaften Atemwegserkrankungen entwickeln. Besser zum Arzt oder zur Ärztin gehen und abklären lassen!

Das ist bereits eine lange Liste, wie sich das Klima auf unsere Gesundheit auswirkt. Aber damit ist es nicht getan, oder?

Die kleinen Tierchen haben wir noch. Österreich ist eines der Länder in der EU, dass am meisten mit Zecken zu kämpfen hat. Je wärmer es wird, umso mehr Zecken überleben und es kommt nachweisbar zu mehr Infektionen. Egal, ob FSME oder Borreliose.

Bislang hat man in Österreich gute Erfolge mit der FSME-Impfung erzielt. Eine Zeit lang waren fast 85 Prozent der Bevölkerung durchgeimpft. Aber die Zahlen gehen zurück. Vielleicht, weil man weniger von diesen schrecklichen Erkrankungen hört. 700 schwer erkrankte Menschen, das muss nicht sein!

FSME wird hauptsächlich vom Holzbock übertragen. Aber mit der Wärme kommen neue Zeckenarten zu uns, die neue Krankheiten übertragen: etwa das Fleck-Fieber oder das Krim-Kongo-Fieber. Daran sterben in Griechenland und in der Türkei sehr viele Menschen. Besonders jene, die mit Tieren in Kontakt sind, von denen die Zecken zum Menschen überspringen. Wenn wir die Erderwärmung nicht stoppen, werden wir auch damit immer mehr zu kämpfen haben.

Mücken sitzen auch schon ums Eck. Die normale Hausmücke kann an heißen Tagen inzwischen das West-Nil-Fieber übertragen, die Asiatische Tigermücke, die Krankheiten wie Dengue oder Zika verbreitet, ist mittlerweile in Frankreich und Italien heimisch und in Österreich und Deutschland Dauergast. In Süddeutschland wird mit einem riesen Aufwand bekämpft, aber ExpertInnen sagen: Die Frage ist nicht, ob es hier Dengue geben wird, sondern wann.

Im wärmeren Klima fühlt sich die Tigermücke wohl und gefährdet mit übertrgbaren Krankheiten unsere Gesundheit. Im Bild: Eine schwarz-weiße Tigermücke, die gerade jemanden sticht.
Tigermücke

Wie reagiert die Medizin, wenn sich bisher unbekannte Überträger und Krankheiten in neuen Gegenden ansiedeln? Ist sie darauf vorbereitet und funktioniert die Diagnostik?

Tropenkrankheiten kannten wir lange höchstens als Urlaubsmitbringsel. Darum reagieren viele Ärzt*innen nicht bei entsprechenden Symptomen Sie haben es nicht gelernt. Die Klimakrise steht auch noch nicht in den medizinischen Lehrplänen.

Bei vielen Medikamenten ist den Ärzt*innen und Apotheker*innen zum Beispiel nicht klar, dass sie bei Hitze anders dosiert werden müssen. Der Körper ist da in einem anderen Zustand. Im schlimmsten Fall wirken die Medikamente sogar kontraproduktiv. Gerade bei Menschen mit Bluthochdruck oder Schizophrenie. Deshalb müssten die Menschen bereits vor dem Sommer informiert werden, und Medikamente entsprechend angepasst werden.

Wie wirkt sich die Klimakrise auf unsere Psyche aus?

Diese wurden bisher kaum beachtet. Es betrifft hauptsächlich die jüngere Generation. Der IPCC-Bericht zeigt, dass es bei 1,5 °C Erderhitzung schon richtig sch***** aussieht. Wie gehe ich damit um? Wie plane ich eine Familie? Wie verarbeite ich, wenn mein Haus einfach weggeschwemmt wird? Und vor allem: Wie gehe ich mit diesem ignoranten Umfeld um? Warum etwa bekommen die erneuerbaren Energien nicht den Schub, den sie bräuchten?

Es ist absurd, was angesichts des Ukraine-Kriegs in den letzten Tagen an mentaler Kehrtwende zu dem Thema passiert ist. Aber diese Einsicht darf nicht nur kommen, um Kriegstreiber zu stoppen. Sondern auch, um unsere (Klima-)Gesundheit zu sichern.

Die psychischen Folgen der Klimakrise nennt man ja auch Klimaangst, Climate Anxiety oder Klimadepression – sie sind eine viel „normalere“ Reaktion auf den Zustand der Welt als die Ignoranz der meisten! In den letzten ein bis zwei Jahren ist hier viel passiert. Die Psychologist4Future haben sich gegründet. Es gibt Gesprächsgruppen, Aktionsgruppen. Klar ist: Je mehr wir uns engagieren, desto mehr Chancen bestehen, das Schlimmste zu verhindern. Wir müssen Menschen erreichen und mitnehmen.

Wie kann hier der Journalismus für mehr Bewusstsein sorgen?

Ganz einfach: Menschen interessieren sich für Menschen. Wenn ich berichten kann, welche Auswirkungen die Hitze auf Sandra Maier hat und was mit Franz Wagner passiert ist, als ihn die Tigermücke gestochen hat, dann wird das auch gelesen. Auf diese Art Klima-Geschichten zu erzählen, das geht quer durch alle Ressorts. Es betrifft die Stadtplanung, die Finanzen, die Schulbildung, etc.

Welche Initiativen und Netzwerke gibt es, über die man sich zu Klima und Gesundheit informieren kann?

Die Helmholtz-Zentren in Deutschland sind mittlerweile multidisziplinär top aufgestellt. Dort arbeiten etwa Stadtplaner*innen mit Pfleger*innen Konzepte aus. Mit diesen Leuten sollte man sprechen.

KLUG (Klimawandel und Gesundheit) ist gerade für Mediziner*innen eine gute Plattform. Man kann sich hier Konzepte anschauen. Es gibt kostenlose Fortbildungen. Eine unerschöpfliche Quelle an Wissen und praktischen Gesundheitstipps.

Natürlich aber auch die Klimajournalismus-Netzwerke in Deutschland und Österreich. Man kann sich austauschen, welche Expert*innen gut geeignet sind und aus welchen Studien man zitieren sollte. Ich erlebe das auch als wohltuend, weil man mit seinem Frust nicht alleine bleibt.

Dann gibt es noch viele gute Bücher wie die Klimaschmutzlobby von Susanne Götz und Annika Joeres. Die schon erwähnten Psychologists4Future. Und ich bin ein Fan von klimafakten.de.

Auf Twitter lernt man auch viele interessante Menschen kennen, vor allem die Leute des Helmholtz-Netzwerkes. Die KLUG-Leute sind auch stark auf Twitter vertreten. Ebenso meine Co-Autorin Claudia Traidl-Hoffmann.

Katja Trippel und Claudia Traidl-Hoffmann, Autorinnen von „Überhitzt“.

Weitere Infos zu Klima und Gesundheit:


Katja Trippel ist freie Journalistin für die Fachzeitschrift GEO, Riffreporter und das SZ-Magazin. Sie lebt meist in Berlin, aber auch in London, Mazan (FR) und Adelaide (Südaustralien). Gemeinsam mit der Umweltmedizinerin Claudia-Traidl Hoffmann hat sie das Buch „Überhitzt“ geschrieben, das Kapitel für Kapitel die gesundheitlichen Folgen der Klimakrise erläutert.

Illustration: Blanka Vaszi