Ein Bündnis junger Menschen, Familien und Indigener macht vor, wie eine neue Strategie gegen den Klimawandel aussehen könnte: verklag‘ deine Regierung!
Gastbeitrag von Maja Hoffmann
Extreme Hitze, Dürre und Waldbrände in Europa und der ganzen Welt – die letzten Wochen haben uns eindringlich vor Augen geführt, dass schon die bereits erreichte durchschnittliche globale Erwärmung von einem Grad Celsius katastrophale Konsequenzen haben kann. Und das war nur ein fader Vorgeschmack; die Temperaturen werden weiter steigen. Ein Bündnis von zehn Familien und einer indigenen Jugendorganisation möchte nun nicht länger tatenlos hinnehmen, dass die Politik nicht genug gegen den Klimawandel unternimmt und hat daher die EU vor dem Gericht der Europäischen Union wegen der Verletzung ihrer Grundrechte angeklagt. Die im Mai eingereichte Klage wurde im August angenommen und hat damit ihre erste, wichtige Hürde genommen.
Gericht soll EU zu mehr Klimaschutz anweisen
Die Klägerinnen und Kläger des „People’s Climate Case“ machen geltend, dass die EU-Klimaziele bis 2030, die 2014 verabschiedet und kürzlich durch drei Richtlinien bzw. Verordnungen konkretisiert wurden, unzureichend sind, um ihre Grundrechte auf Leben, Gesundheit, Berufsfreiheit und Eigentum zu schützen. „Die Waldbrände 2017 haben meinen Besitz zerstört“, so der portugiesische Mitkläger Armando Carvalho. „Dieses Jahr kämpfen wir schon wieder mit massiven Hitzewellen und Waldbränden in Europa. Seit Beginn dieses Sommers haben viele andere Menschen wegen der immer schlimmeren Folgen des Klimawandels ihr Leben oder ihr Zuhause verloren. Wir können dazu nicht länger schweigen. Bei diesem Fall geht es um unsere gemeinsame Zukunft und wir sind froh, jetzt einen Schritt weiter gekommen zu sein, Gehör zu finden.“
Entsprechend soll das Gericht die Angeklagten, das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union, anweisen, die EU-Klimaziele nachzubessern, auch um übergeordnetes Recht – wie das Pariser Klimaabkommen – einzuhalten. Das aktuell geltende EU-Ziel, den Treibhausgasausstoß bis 2030 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken, sei unrechtmäßig; ein legitimes Ziel müsse viel höher liegen. Daher seien die drei jüngst verabschiedeten Richtlinien bzw. Verordnungen zur Emissionsreduktion zu annullieren und neu auszuarbeiten. Zudem soll das Gericht feststellen, dass der Klimawandel eine Grundrechtsangelegenheit ist und die EU in der Verantwortung steht, zum Schutz dieser Grundrechte in vollem Umfang ihrer Möglichkeiten einen gefährlichen Klimawandel zu verhindern.
Die klagenden Familien, Kinder und Jugendlichen, insgesamt 36 Personen sowie eine Jugendorganisation, kommen aus Deutschland, Fidschi, Frankreich, Italien, Kenia, Portugal, Rumänien und Schweden. Sie alle sind heute schon existentiell von den Folgen des Klimawandels betroffen und möchten Schlimmeres verhindern, damit sie und ihre Kinder auch in Zukunft so leben können, wie sie es traditionell getan haben. Die indigenen Sami, die in den arktischen und subarktischen Gebieten Nordeuropas leben, beobachten beispielsweise, dass steigende Temperaturen die Lebensgrundlagen der Rentiere und damit ihre traditionelle Lebensweise bedrohen: „Wenn wir die Rentiere verlieren, ist die samische Kultur verloren“, sagt die 22-jährige Vorsitzende des mitklagenden samischen Jugendverbandes Sáminuorra, Sanna Vannar. „Viele samische Jugendliche möchten bei ihren Familien bleiben und Rentierhirten werden, aber sie sehen keine Zukunft, hauptsächlich wegen der Bedrohung durch den Klimawandel. Das muss dringend angegangen werden, für die Sicherheit unserer Generation und der nächsten Generationen.“
Immer mehr Klimaklagen weltweit
Der People’s Climate Case wird unterstützt von einem breiten Bündnis von Nichtregierungs-organisationen, AnwältInnen und WissenschaftlerInnen, sowie von schon fast 140.000 Menschen, die die offizielle Petition des People’s Climate Case unterzeichnet haben, um ihre Solidarität mit den Klagenden zu zeigen. Auch in anderer Hinsicht allerdings sind die Klägerinnen und Kläger dieses Falls nicht alleine: europa- und weltweit gibt es immer zahlreichere Gerichtsverfahren zum Klimawandel (englisch „climate litigation“) gegen Staaten oder Unternehmen. Neben Fragen der Kompensation oder der Rechtmäßigkeit von Großprojekten geht es, wie in diesem Fall, immer öfter um Prozesse, in denen verhandelt wird, ob Staaten bzw. Regierungen unzureichendes Handeln oder Untätigkeit nachgewiesen werden kann, um sie dann zu verpflichten, wirksamere Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen (vergleiche die Infografik „Klimaklagen weltweit“ oder eine jüngere Publikation des Umweltprogramms der Vereinten Nationen).
Auch laut einer Studie über Klimagerechtigkeit und Klimagerichtsverfahren gibt es weltweit eine wachsende Dynamik hin zu immer mehr Klimaklagen die immer ambitionierter werden und dabei einander als Vorbilder dienen. Grundlage dafür seien zunehmendes Wissen über den Klimawandel und zunehmend spürbare Auswirkungen kombiniert mit einem neu entstehenden Bestand an Klimarecht und der Entwicklung neuer Rechtstheorien, in mancher Hinsicht vergleichbar mit ähnlicher Rechtsprechung in der Vergangenheit bezüglich Tabak oder Asbest. „Nur effektives Handeln der internationalen Gemeinschaft wird in der Lage sein, den wachsenden Trend zu Klimaklagen vor nationalen Gerichten zu dämpfen“, schreiben die AutorInnen der Studie, und weiter: „Klimagerichtsverfahren könnten die Rechtssysteme überfordern, in ihrer Komplexität und in der schieren Zahl möglicher Fälle.“
Neues, wirksames Instrument für Klimaschutz
Für Menschen, die die Entwicklungen um den Klimawandel und das Handeln bzw. Nicht-Handeln ihrer Regierungen mit wachsender Sorge betrachten, ergibt sich daraus eine interessante neue Perspektive: durch Klimaklagen kann auf neuartige – und potentiell sehr effektive – Weise Druck auf Staaten ausgeübt werden, und zwar auf einer Handlungsebene, die Regierungen nicht einfach ignorieren können. So sieht Florian Carl, Projektkoordinator für Skandinavien bei der Umweltorganisation Protect the Planet, die den People’s Climate Case unterstützt, den Fall „als Möglichkeit, das System sowohl von innen zu verändern, als auch von außen in Frage zu stellen: er bietet eine Plattform, die Auswirkungen des Klimawandels zu verdeutlichen, Narrative zu verändern, und darzustellen, dass wir Klimapolitik nicht einfach laufen lassen können. Die Zivilgesellschaft muss alle möglichen Instrumente für gesellschaftlichen Wandel nutzen, und neben Nichtregierungsorganisationen, Wahlen, Protesten usw. sind die Judikative ja auch Teil der Demokratie.“
Bekannt wurde zuletzt auch der Fall der von den Klagenden (vorläufig) gewonnenen „Urgenda“-Klimaklage in den Niederlanden, in deren Folge das Landgericht Den Haag die niederländische Regierung anwies, die nationalen Treibhausgasemissionen bis 2020 gegenüber 1990 um mindestens 25 Prozent zu reduzieren, und die früheren, niedrigeren Reduktionspläne als rechtswidrig erklärte. Somit schaffen Klimaklagen im Erfolgsfall, was aller zivilgesellschaftlicher Druck der letzten Jahrzehnte nicht vermochte; dringend benötigte Fortschritte in der Klimapolitik.