Die Auseinandersetzung mit der Klimakrise kann zahlreiche Emotionen zum Vorschein bringen. Es kann sogar soweit kommen, dass ein Gefühl so viel Raum einnimmt, dass der eigene Alltag dadurch stark eingeschränkt wird. Besonders Personen, die sich intensiv mit dem Klimawandel auseinandersetzen, wie beispielsweise Wissenschaftler*innen oder Klimaaktivist*innen, gelten als Risikogruppe für Klimaangst. Was man unter Klimaangst versteht und wie man als Betroffene oder Betroffener handeln kann, haben wir im Rahmen einer Zusammenarbeit von Klimareporter.in und Psychologists & Psychotherapists for Future für dich geklärt.
Aktuelle Sorgen und Ängste junger Menschen
Momentan befinden wir uns mitten in einer Pandemie mit tiefgreifenden und teils unabsehbaren Folgen. Ist hier überhaupt noch Platz für Bedenken und Ängste bezüglich der Klimakrise? Eine von SOS Kinderdorf in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2020 zeigt ganz deutlich, dass dem so ist. Die Ergebnisse machen die größten Sorgen junger Menschen in Österreich sichtbar. Sie zeigen, dass trotz der aktuellen Corona-Krise, die Sorgen angesichts des Klimawandels Jugendliche und Kinder am stärksten belasten.
Der Mensch, ein emotionales Wesen
Mit Ängsten und Sorgen sollte stets sorgsam und umsichtig umgegangen werden. Vor allem, da der Grad zwischen einer lähmenden und einer antreibenden Wirkung, kein allzu großer ist. Studien zeigen, dass ein zu hohes Angstlevel einen Menschen ausbremst, wohingegen ein mittleres Angstlevel sogar leistungssteigernd ist.
Die Angst ist die vermutlich am intensivsten erforschte und am besten verstandene Emotion. Man kann Emotionen als Bewertungssysteme verstehen, welche uns helfen eine Situation schnell und möglichst richtig einzuschätzen. Sie beeinflussen unsere Aufmerksamkeit sowie unser Denkvermögen und wirken sich auch direkt auf Körperprozesse aus. Deshalb schwitzen wir, wenn wir Angst vor einer bevorstehenden Prüfung haben und unser Herzschlag beschleunigt sich rapide, wenn wir uns erschrecken. Unser Körper soll zum Handeln aufgefordert werden, um unser Überleben zu sichern. So ist es auch mit Emotionen, die in Bezug auf die Klimakrise hochkommen. Mögliche Zukunftsszenarien, die in der Auseinandersetzung mit der Thematik erkannt und verarbeitet werden, können vielfältige Gefühle auslösen.
Klimaangst, Eco Anxiety und Climate Anxiety
Tippt man auf Instagram #ecoanxiety ein, tauchen dazu über 11.200 Beiträge auf. Die Suchmaschine Ecosia findet zu dem Begriff „Klimaangst“ 59.200 Suchergebnisse. Das sind bloß zwei Beispiele die deutlich zeigen, dass viele Menschen versuchen ihren Sorgen und Ängsten in Bezug auf die Klimakrise einen Namen zu geben, um sich darüber austauschen zu können. Das ist nachvollziehbar und verständlich. Schließlich fällt es leichter, sich mit Gefühlen auseinanderzusetzen und sich darüber zu unterhalten, wenn sie benannt werden können. Die Organisation Psychologists & Psychotherapists for Future (Psy4Future) regt jedoch dazu an, die inflationäre Verwendung von Begriffen wie „Klimaangst“, „Eco Anxiety“ und „Climate Anxiety“, in der öffentlichen Diskussion um den Klimawandel, zu überdenken.
Psychologists & Psychotherapists for Future
Psy4Future ist eine Gruppierung von Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen, die ihr Fachwissen nutzen, um eine nachhaltigere Zukunft mitzugestalten. Sie verstehen sich als Teil der „For Future“ Bewegung und stehen daher hinter den Forderungen von „Fridays for Future“. Wenn du mehr über die Organisation erfahren möchtest, hier findest du ihr Selbstverständnis.
In Bezug auf Klimaangst haben sie es sich zum Ziel gesetzt, einen differenzierten Umgang mit dem Begriff zu ermöglichen, den Diskurs darüber zu versachlichen und den Fokus wieder auf die Grundprobleme der Klimakrise zu lenken. Das Erleben und die Gefühle einer/eines Jeden sind dabei relevant und dürfen auch ihren Raum einnehmen. Um im Klima- und Umweltschutz jedoch wichtige Forderungen durchzubringen und Fortschritte zu erwirken, ist es zwingend notwendig, dass der Schwerpunkt der Aufmerksamkeit auf eine gesamtgesellschaftliche und politische Ebene gebracht wird.
Klimaangst als adaptives Gefühl
Wird von Klimaangst gesprochen, verstehen die Expert*innen darunter einerseits die Sorge um das eigene und fremde Dasein in einer Welt voller Veränderungen, andererseits die Angst vor konkreten Folgen der Klimakatastrophe. Wichtig ist, dass Klimaangst keine psychiatrische Diagnose, sondern eine natürliche und angebrachte Reaktion auf eine Bedrohung ist. Ängste und Sorgen sollte man nicht per se als schlecht abstempeln. Sie erfüllen eine adaptive, also eine sich anpassende, Funktion. Dadurch können wir angemessen auf Bedrohungen reagieren. Auch auf solche, die so komplex und schwer greifbar sind, wie die Klimakrise.
Tipps für den Umgang mit überwältigenden Emotionen
Gefühle wie Angst, Wut oder Trauer sind in der Auseinandersetzung mit der Klimakrise durchaus angemessene Reaktionen. Es stellt sich jedoch die Frage: Wie kannst du am besten mit diesen Emotionen umgehen?
Hierzu 3 Tipps:
1. Sprich über deine Sorgen. Am besten geht das mit Leuten, denen du nahestehst und denen du vertraust. Freunde und Familie können hier eine große Stütze sein. Auch der Austausch mit Gleichgesinnten fühlt sich für viele Menschen bestärkend und bereichernd an.
2. Finde die Balance. Versuche Zeiträume und Möglichkeiten zu schaffen, in denen du zur Ruhe kommen und Kraft tanken kannst. Denn auch die engagiertesten Personen können dem Klima- und Umweltschutz keine Energie mehr zukommen lassen, wenn sie nicht gut auf sich selbst achten. Versuche ein Gleichgewicht zwischen der aktiven Beteiligung am Klimaschutz und deinen Erholungszeiten zu finden.
3. Engagiere dich für den Klimaschutz. Und zwar so, dass es deinen Stärken entspricht. Manche Menschen fühlen sich in Bereichen wie Kommunikation wohler während andere lieber die Organisation übernehmen. Geh beispielsweise mit Freunden auf eine Klimademo, tritt einer Klimaschutzvereinigung bei oder engagiere dich für eine umweltfreundliche Partei. Es gibt reichlich Möglichkeiten mitzuwirken und zusammen können wir vieles erreichen.
Die Belastung ist zu groß – Hier findest du Hilfe
Bei den meisten Menschen bleibt es dabei, dass Gefühle wie Klimaangst eine eher adaptive Funktion erfüllen und sie dadurch motiviert werden. Es kann jedoch vorkommen, dass Angst und Besorgnis überhandnehmen und den eigenen Alltag stark einschnüren. Manchen Menschen fällt es schwerer mit den Gefühlen, welche die Auseinandersetzung mit der Klimakrise in ihnen auslöst, zurechtzukommen. Dann besteht die Möglichkeit, dass sich eine „klinisch bedeutsame Angststörung“ entwickelt.
Sollte es dir beispielsweise Schwierigkeiten bereiten Freude zu empfinden oder deinem Beruf nachzugehen, raten Expert*innen dazu, sich Hilfe zu holen. Auch die Anmerkung einer nahestehenden Person, dass du in letzter Zeit sehr bedrückt wirkst, kann ein Warnsignal sein. Für diesen Fall bietet Psy4Future kostenlose Beratungen an. Mit deinem Anliegen und deinen Fragen kannst du dich gerne an beratung@psychologistsforfuture.org wenden. Dort wirst du unterstützt und gegebenenfalls weitervermittelt.
Auch wenn die oben genannten Beispiele nicht auf dich zutreffen, zögere nicht das Beratungsangebot in Anspruch zu nehmen. Vor allem wenn du das Gefühl hast, dass deine Emotionen dich belasten. Du kannst dich gerne melden – auch, bevor du dich ausgebrannt fühlst. Psy4Future freut sich über kleine und große Anfragen, die Kapazitäten dafür sind vorhanden. Weitere Informationen findest du hier.
We’re all in this together
Emotionen können überwältigend sein und oft fällt es schwer, Abstand von ihnen zu nehmen, um sie ins Große und Ganze einzuordnen. Nach der Auseinandersetzung mit dem von Psy4Future erarbeiteten und zur Verfügung gestellten Material, möchten wir gerne nochmal hervorheben: Klimaangst, Klimawut oder Klimatrauer sind keine persönlichen, psychischen Probleme, sondern mögliche Reaktionen auf eine Bedrohung und globale Katastrophe. Um langfristig etwas dagegen zu tun, dürfen wir nicht auf einer individuellen Ebene verharren, sondern müssen uns auf eine gesamtgesellschaftliche und politische Ebene begeben. Lasst uns gemeinsam Ursachen bekämpfen. Diese Verantwortung soll nicht auf den Schultern vieler Engagierter abgeladen werden, sondern auch die Politik muss unbedingt handeln. Solltest du die emotionalen und zeitlichen Ressourcen haben, versuche dich für wirksamen Klimaschutz stark zu machen. Gemeinsam können wir viel bewirken und uns gegenseitig unterstützen. Aber zuallererst – und das hat nichts mit Egoismus oder Ignoranz zu tun – achte gut auf dich selbst.