Stadtstraße Aspern: Ein Fiasko für den Klimaschutz

Stadtstraße Aspern: Ein Fiasko für den Klimaschutz

Das Wiener Großprojekt „Stadtstraße Aspern“ erntet Kritik von allen Seiten. Für den Verkehr in Wien ist es kontraproduktiv, für Österreichs Klimaschutz insgesamt ein Desaster.  Bereits mehrfach kamen in den letzten Wochen Aktivist*innen zusammen, um gegen das Projekt zu demonstrieren. Klimareporter.in berichtete. Hier fassen wir nochmal die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Straßenbauprojekt zusammen.

Um was geht es?

Die Stadtstraße Aspern ist ein geplantes Großbauprojekt in Wien. Sie soll das Wiener Stadtentwicklungsgebiet Aspern mit der Südosttangente (A23, Anschlussstelle Hirschstetten) verbinden. In weiterer Folge soll sie zudem die A23 an den umstrittenen Lobautunnel anschließen. Die Stadtstraße soll 3,2 Kilometer lang werden. Zwei Spuren soll es pro Fahrbahn geben, außerdem eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h. Im Bereich der Donaustädter Emichgasse und Hausfeldstraße sollen Tunnel in der Länge von 0,79 und 0,55 Kilometern gebaut werden.

Geplante Trasse Stadtstraße Aspern; Quelle: ORF

 
Wie viel soll das Projekt kosten?

Am Donnerstag, den 15. April gab der Mobilitätsausschuss des Wiener Gemeinderates mit den Stimmen von SPÖ, NEOS, FPÖ und ÖVP 460 Millionen Euro für die Realisierung der Stadtstraße frei.

Vier Spuren auf zwei Fahrbahnen. Ist der Begriff „Stadtstraße“ überhaupt zutreffend?

Nicht wirklich. Laut Hermann Knoflacher, emeritierter Professor am Institut für Verkehrswissenschaften an der TU Wien, ist die Bezeichnung „Stadtstraße“ irreführend. Es handle sich um „eine vom lebenden Organismus der Stadt weitestgehend getrennte vierspurige Fahrbahn“. In einer Stellungnahme des Wissenschaftsnetzwerkes Diskurs führt er zudem aus, dass schon in den 1970er-Jahren bei der geplanten Gürtelautobahn versucht worden sei, mit dem Begriff „Hochleistungsstraße“ die Bevölkerung zu „täuschen“. Nach deren Widerstand habe die sozialdemokratische Regierung das Vorhaben im Jahr 1972 gestoppt.

Wie rechtfertigt die Stadt Wien das Projekt?

Die Stadt Wien betonte bereits mehrmals, dass das Projekt wichtig sei. Laut einer Pressemitteilung handle es sich um einen Teil des „zukunftsorientierten Mobilitätskonzeptes“. Ziel der Stadtstraße sei es, den Durchzugsverkehr aus den Siedlungsgebieten abzuziehen und die Wohngebiete in Hirschstetten, Stadlau und Breitenlee zu entlasten. Zudem sichere die Stadtstraße die Anbindung und den Ausbau der Seestadt Aspern. In der Aussendung argumentiert der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Erich Valentin (SPÖ), dass man den Transitverkehr nicht mehr in die Stadt lassen wolle. Das Projekt diene dazu, den Verkehr zu beruhigen und in weiterer Folge den öffentlichen Raum zu gestalten.

Auch Verkehrssprecher Wolfgang Kieslich von der ÖVP betonte in einer Aussendung, dass sowohl an der Stadtstraße als auch am Lobautunnel kein Weg vorbei führe, um „Staus, Lärm und Belastungen durch Schadstoffe endlich aus der Stadt zu bekommen“. Der Bau der Stadtstraße sowie des Lobautunnels sei gerade in Zeiten wie diesen ein wichtiges Infrastrukturprojekt.

Welche Kritik gibt es?

Expert*innen aus Verkehr, Klima und Politik sehen das anders und kritisieren das Vorhaben. Laut Barbara Laa, Verkehrswissenschaftlerin an der TU Wien, sei es erschreckend, dass Politiker*innen immer noch mit Versprechen, den Verkehr zu beruhigen, solche kontraproduktiven Großprojekte forcieren. Für Laa ist es verantwortungslos, dass mitten in der Klimakrise derartige Gelder für den Bau von neuen Schnellstraßen aufgebracht werden. Der Bau führe über Jahrzehnte hinweg zu einem höheren CO2-Ausstoß. In der Fachwelt sei das Phänomen des „induzierten Verkehrs“ längst bekannt: Mehr Straßen führen zu mehr Autoverkehr. Das betont Hermann Knoflacher im Interview mit moment.at anhand eines Beispiels:

„Das hat man auch vor einigen Jahren im Süden gesehen. Es wurde gesagt, man braucht die A23 um die Schlachthausgasse zu entlasten. 10 Jahre Später hatte die Schlachthausgasse 20 % mehr Verkehr und zusätzlich waren noch 80.000 auf der Südosttangente unterwegs. Die Verkehrsanlage macht sich ja dann ihren Verkehr selber und verändert auch die Stadt in diese Richtung.“

Auch Helga Kromp-Kolb, emeritierte Professorin am Institut für Meteorologie und Klimatologie der BOKU verwies darauf, dass die übergeordnete Verkehrsplanung in Wien vor Festlegung der jetzt gültigen Klimaziele erfolgt sei. Sie forderte, dass das gesamte Konzept auf seine Verträglichkeit mit den Klimazielen überprüft werden müsse, bevor weitere Beschlüsse zur Umsetzung des Projekts getroffen werden.

Gibt es Gründe, die für das Projekt sprechen?

Die Stadtstraße ist laut Knoflacher „gut für Baukonzerne, Banken und alle die damit verdienen, nicht aber für die Stadt und ihre Menschen“. Er könne „keinen rationalen Grund finden, außer dass man eben eine Straße bauen will, die anderswo schon abgerissen werden.“

Ist der Verkehr nicht eh schon ein großes Klimaproblem in Österreich?

Ganz genau. Der Verkehr gehört in Österreich zu den Top-Verursachern von klimaschädlichen Treibhausgasen. 30,3% der nationalen Emissionen kommen aus dem Verkehr. Seit 1990 sind die Emissionen hier um rund 75% gestiegen. Bereits mehrfach hat der Verkehrssektor die nationalen Klimaziele verfehlt. Ein Handeln der Politik blieb bisher aus.

Quelle: Umweltbundesamt

Passt das Projekt in das Regierungsprogramm von SPÖ & Neos?

Nein. Bis 2040 soll die Bundeshauptstadt CO2-neutral sein. Die SPÖ erzählt gerne, dass sie Wien zur Klima-Musterstadt machen will. Laut dem Wiener Klimapakt im Regierungsprogramm sollen die CO2-Emissionen des Verkehrssektors pro Kopf bis 2030 um 50% reduziert werden. Ebenso soll der Anteil der PKW-Pendler*innen, die nach Wien kommen, bis 2030 halbiert werden. 80 Prozent aller Wege sollen künftig mit den Öffis, mit dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt werden. Zudem heißt es im Klimapakt „Wirtschaftsverkehre innerhalb des Stadtgebietes sind 2030 weitgehend CO2-frei. Damit schaffen wir eine echte Verkehrswende“. Ein Straßenbauprojekt, das den Verkehr eher steigen als sinken lässt, trägt zu dieser Verkehrswende wohl kaum bei.

Was könnte man stattdessen mit den 460 Mio. Euro tun?

Man könnte die öffentliche Infrastruktur ausbauen, etwa das Straßenbahnnetz. Radwege könnten ausgebaut oder die Lebensbedingungen für Fußgänger*innen verbessert werden. Laut Knoflacher könne man für das Geld „gut 20-30 Kilometer Straßenbahnen bauen. Dann hätte man ein gutes Straßenbahnnetz in der Donaustadt“.

Wurde das Projekt auf Umweltverträglichkeit geprüft?

Ja, im August 2020 wurde die Umweltverträglichkeitsprüfung abgeschlossen, das Prüfverfahren begann 2014. Für die S1-Spange, die die Stadtstraße ergänzt, liegen laut Kurier jedoch noch keine rechtskräftigen Bewilligungen für den Naturschutz vor. Die S1-Spange ist ein Projekt der Asfinag (Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft), die dem Bund gehört. Da Projektgegner*innen auf niederösterreichischer Seite schon Beschwerden eingereicht haben, ist die Genehmigung eine Angelegenheit des Bundesverwaltungsgerichts. Laut Kurier sei bei der S1-Spange vor 2022 mit keiner Entscheidung zu rechnen.

Wie geht es weiter?

Schon Ende des heurigen Jahres soll mit dem Bau der Stadtstraße begonnen werden. Die Freigabe für den Verkehr ist für Ende 2025 anvisiert, das Bauende ist für 2026 geplant.

Kann das Projekt noch verhindert werden?

Verhindern könnte das Straßenbauprojekt – zumindest theoretisch – der Verwaltungsgerichtshof (VwGH). Er befasst sich mit der Stadtstraße, weil die Projektgegner die Bewilligung durch das Bundesverwaltungsgericht anfechten. Unter anderem, weil sie Mängel im Lärmschutz beanstanden. Das hat zwar keine aufschiebende Wirkung, der VwGH könnte das Projekt aber stoppen. Bei der Stadt Wien schätzt man diese Chance laut Kurier aber als gering ein.

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Beitragsbild: Unsplash / Wilhelm Gunckel