EU-Klima- und Umweltpolitik findet Stadt. Wenige wissen, wie die EU mit Wien zusammenhängt – ich wusste es auch nicht. Und habe nachgefragt. Ob Richtlinien oder Verordnungen, die EU erlässt einiges an Gesetzestexten, an die sich Mitgliedstaaten halten müssen. Vor der EU-Wahl am 26.Mai stellen sich viele eher die Frage: wie soll ich am besten für’s Klima wählen? Doch eine genauso spannende Frage ist: welchen Unterschied macht die EU überhaupt lokal? Es geht auf Stadt- und Bundeslandebene um viel mehr als die EU, aber sie bildet den Rahmen. Über wie man Wirtschaft verändert, wie sich Städte vernetzen und wie das mit EU-Recht einfach gesagt läuft.
Am 15.Mai habe ich den Nachhaltigkeitskoordinator der Stadt Wien und Leiter der Abteilung Nachhaltige Entwicklung der Wiener Umweltschutzabteilung (MA 22) Thomas Hruschka interviewt. Mit dabei war auch Roman David-Freihsl, zuständig für Kommunikation mit Schwerpunkt auf Lebensmittelprojekten (siehe unten). Ich wollte wissen: wie wirkt sich EU-Klima- und Umwelt-Politik in Wien aus und wie wird sie umgesetzt? Oder spielt in der Stadt eigentlich Anderes eine Rolle? Da ich noch Fragen hatte, habe ich auch bei der Abteilung für Europäische Angelegenheiten und bei der Magistratsdirektion nachgefragt.
Lasst euch übrigens nicht verwirren: wir reden hier meist vom Land Wien, Wien ist bekanntlich auch gleichzeitig größte Gemeinde also Stadt Österreichs.
Was macht die Abteilung in der MA22 und wie spielt die EU rein?
Thomas Hruschka leitet den Bereich Nachhaltige Entwicklung. Das wichtigste Programm darin ist Ökobusiness – das Mitfinanzierungs- und Beratungsförderungsprogramm der Wiener Umweltschutzabteilung für Privatunternehmen, damit diese nachhaltiger werden können. Außerdem das ökologische Beschaffungsprogramm der Stadt Wien – Ökokauf -, das auch marktverändernd wirkt, und unter anderem vieles zum Thema Abfallveremeidung mit Fokus auf Lebensmittelabfallvermeidung. Er ist auch Nachhaltigkeitskoordinator für Wien, wobei jedes Bundesland eine*n Nachhaltigkeitskoordinator*in hat. Alle Koordinator*innen informieren sich in einer Konferenz gegenseitig und planen gemeinsame Projekte, wie etwa die gerade österreichweit laufenden Aktionstage Nachhaltigkeit. Klimaschutz spielt in Vielem eine Rolle; direkt zuständig ist die Klimaschutzkoordinatorin, die unabhängig von einer Abteilung ist und für das Klimaschutzprogramm Wiens verantwortlich ist. Das Programm kann man sich als Dach vorstellen, das durch die genannten Projekte und Maßnahmen gefüttert wird.
Wie viel hat das nun mit der EU-Ebene zu tun?
Die Arbeit von Magistratsabteilungen läuft auf der Umsetzungsebene.
Thomas Hruschka sieht seine Arbeit im strategischen Bereich; es geht nicht darum, Vorgaben umzusetzen, sondern Nachhaltigkeit praktisch zu realisieren. Über die sogenannte mittelbare Bundesebene sind EU-Richtlinien und Verordnungen auf Bundes- und bis zu Länder- und Gemeindeebene umzusetzen (genauer erfahrt ihr es weiter unten in der zweiten blauen Box!).
Städte sind europaweit vernetzt
Die MA 22 arbeitet auch auf der Ebene der strategischen Zusammenarbeit, z.B. im Großstädtennetzwerk EUROCITIES für Städte mit mehr als 250.000 Einwohner*innen. Gegründet wurde EUROCITIES im Jahr 1991, weil Regionen auf EU-Ebene institutionell verankert sind, Städte aber nicht. Das bedeutet, dass ihre Rolle nicht genau definiert ist und die Stadtebene sonst nicht in der EU-Klimapolitik verankert wäre. Es ist eine Lobby-Organisation und Interessengemeinschaft vor der EU mit unterschiedlichen Foren wie dem Umweltforum, in dem Hruschka die Stadt Wien vertritt. Wozu eigentlich? Vor allem, um Know-how und Erfahrungen zwischen Städten austauschen. Genau gesagt hat jedes Forum Arbeitsgruppen; in der Arbeitsgruppe Greening the Local Economy war Ökobusiness Thema. Dies erfolgte durch einen strategischen Austausch zwischen Kopenhagen, Göteborg und Genua, die ähnliche Programme haben.
Städte lobbyieren bei der EU-Kommission, was sie gerne hätten oder nehmen Stellung zu Verordnungsentwürfen, z.B. zum Kreislaufwirtschaftspaket. Die Stellungnahmen sind laut Hruschka das Unwichtigere, da es um Anpassungen von Formulierungen geht. Wie wenn in Österreich ein Gesetzesentwurf des Bundes an Stakeholder geschickt wird, mit Bitte um Stellungnahme dazu. Das ist die administrative Ebene. Das Besondere an Eurocities ist aber das Informationsnetzwerk zwischen Städten, einfach auch international persönliche Kontakte zu haben und jemanden anrufen können. Ganz simpel. Und da dreht sich nicht alles um EU-Projekte.
Der Covenant of Mayors (Konvent der Bürgermeister für Klima und Energie) hat dagegen Klimathemen von Städten auf die europapolitische Ebene gehoben. Bürgermeister*innen beschließen gemeinsam Ziele zu Klimaschutz oder Klimawandelanpassung und lobbyieren damit auf EU-Ebene. Politisch kommt noch der EU-weite Ausschuss der Regionen dazu, der unter anderem vom EU-Rat, EU-Parlament und der EU-Kommission konsultiert wird und Stellungnahmen abgeben kann. Es gibt interregionale Gruppen, die sich gemeinsam treffen und Fachkommissionen zu bestimmten Themenbereichen zur Vorbereitung dieser Sitzungen. Das Land Wien entsendet den/die Landeshauptmann oder Landeshauptfrau.
Als eigener Zusatz: weltweit gibt es auch andere Städtenetzwerke zum Thema Nachhaltigkeit wie ICLEI oder C40 cities, wobei österreichische Städte nicht dabei sind.
Weitere Zusammenarbeit zwischen Städten
Neben Eurocities gibt es auch andere Netzwerke – ohne Fokus auf Nachhaltigkeit – wie den Rat der Gemeinden und Regionen Europas, das politische Netzwerk der EU-Regionen mit Gesetzgebungsbefugnis (REGLEG, REGions with LEGislative power) oder die Vereinigung der Hauptstädte der EU.
Der Städteatlas sammelt Daten zu Risiken und Chancen, Auswirkungen des klimawandels und möglichen Überschwemmungsgefahren. Das ist ein Projekt der GMES (Global Monitoring for Environment and Security), die wiederum vor 20 Jahren von der EU-Kommission und der Europäischen Raumfahrtbehörde gegründet wurde. Oder auch die Initiative CONCERTO, die eine Plattform für den Austausch von Erfahrungen von Städten und Gemeinden in der nachhaltigen Energienutzung schafft mit finanzierten Pilotprojekten. Für Österreich in Salzburg, Tulln, Mödling oder Hartberg.
Von Kreislaufwirtschaftspaket bis UN-Nachhaltigkeitsziele
Was ist das EU-Kreislaufwirtschaftspaket?
Ende 2015 hat die EU-Kommission das Kreislaufwirtschaftspaket veröffentlicht. Ziel ist, eine stärker kreislauforinetierte Wirtschaft zu schaffen. Produkte, Stoffe und Ressourcen sollen so lang wie möglich innerhalb der Wirtschaft gehalten werden und möglichst wenig Abfall erzeugen. Das Paket besteht aus einem „Abfallpaket“ mit 4 Gesetzgebungsvorschlägen für den Bereich und einem Aktionsplan. Mehr Info hier.
Ich wollte wissen: Wie wirkt sich das EU-Kreislaufwirtschaftspaket in Wien und anderen Städten aus? Kreislaufwirtschaft ist nämlich nicht nur auf EU-Ebene sehr „in“ als Begriff. Die Antwort: Städte überlegen sich, welche Aspekte drin sind, die sie noch nicht angegangen haben. Das Paker gibt einen Anreiz, weil man es kommunikativ zum Ansporn gegenüber Betrieben nutzen kann. Und es wird auch in EUROCITIES diskutiert: Wie kann man es auf städtischer Ebene umsetzen? Amsterdam ist zum Beispiel stark dabei. Gleichzeitig schafft Kreislaufwirtschaft ein “Etikett für etwas, das es schon lang gibt”, ob eben in Amsterdam oder in Wien. Die gleichen, passenden Dinge gibt es schon lange unter anderem Titel – in Wien schon seit 20 Jahren als Nachhaltige Entwicklung und Ökobusiness Projekte. In ganz Österreich ist der Begriff Kreislaufwirtschaft nicht so präsent, aber auch im Ausland finden es Bürgermeister*innen sinnvoller, weiterhin nur inhaltlich arbeiten und ihre Programme nicht ständig umzubenennen. Man orientiert sich in Wien an den UN-Nachhaltigkeitszielen Sustainable Development Goals: Darin “sind alle Themen drinnen. Da brauche ich kein eigenes Kreislaufwirtschaftspaket oder Klimapaket”.
Die UN-Nachhaltigkeitsziele “müssen in einem systemischen Dialog sein, das ist viel interessanter”. Ein Kreislaufwirtschaftspaket landet in vielen Städten in der Abfallwirtschaftsabteilung und man ist damit „wieder in einem Sektor gefangen”. Für zukünftige Lösungen sei das Aufbrechen der derzeitigen administrativen- und Projektstruktur und der Übergang zu etwas Sektorübergreifendem viel wichtiger. Da die Ziele teilweise einander widersprechen, muss auch die MA 22 mit unterschiedlichen Magistratsabteilungen oder mit dem Klimaschutzprogramm reden. Die SDGs werden laut David Freihsl immer mitkommuniziert und wurden mit allen Unterzielen in die bestehende Smart City Rahmenstrategie eingearbeitet, die nun noch politisch beschlossen werden muss. Die Nachhaltigkeitsziele werden aber – anders als in anderen Städten – nicht in Workshops an Büger*innen kommuniziert, sondern es geht darum, was die Bürger*innen von einer Maßnahme haben.
Kurzgesagt: Was ist EU-Klimapolitik und wer macht sie?
Die EU hat sich selbst Klimaziele gesetzt. Die jetzt aktuellen sind für 2020, 2030 und 2050. Und zwar in den Bereichen Emissionsrückgang, Erhöhung des Anteils Erneuerbarer Energien und Energieeffizienz. EU-Klimapolitik kann man grob in zwei Bereiche unterteilen. Den EU-Emissionshandel, um den Treibhausgasausstoß mit möglichst geringen volkswirtschaftlichen Kosten über Handel mit Zertifikaten zu senken und die Wirtschaftsbereiche, die ihm nicht unterliegen. Die EU erlässt sowohl Verordnungen, die unmittelbar wirken sowie Richtlinien (siehe unten :)) und andere Gesetzestexte, um eine rechtliche Grundlage für die Erreichung seiner strategischen Ziele zu schaffen. Manche Themenbereiche fallen in die Kompetenz der EU, und andere in die der Nationalstaaten. Zum Beispiel kann Österreich selbst über ein Tempolimit auf der Autobahn entscheiden, muss sich aber wie alle anderen an Grenzwerte im Spritverbrauch pro 100 Fahrkilometer halten. Die Kompetenz für Umwelt und Verkehr teilen sich die beiden Ebenen also, Tourismus oder Kastrophenschutz sind (größtenteils) Sache der Nationalstaaten. Die gemeinsame Handelspolitik, die auch klima-relevant ist – ist EU-Sache.
Die zuständigen Gruppen in den europäischen Institutionen sind: der Ausschuss für Gesundheit und Umwelt im europäischen Parlament, der EU-Rat Umwelt und der von Verkehr, Telekommunikation und Energie sowie drei Zweige der EU-Kommission, genannt Generaldirektionen (GD): GD Umwelt, GD Klimapolitik, GD Energie. Dann gibt es die Europäische Umweltagentur (EUA), die eng mit den wichtigen Städtenetzwerken zusammenarbeit und städtebezogene Strategien der EU unterstützt. Wie etwa durch die Analyse und Aufbereitung der Themen Lärm und Luftqualität. Mehr Infos & Akteure hier.
Energieeffizienz und „Die Wirtschaft ist wie sie ist“
Energieffizienz – warum ist gerade das Thema? Weil Städte 80% der Gesamtenergie Europas verbrauchen. Wir wissen auch, dass wir unseren Energieverbrauch stark reduzieren müssen, da erneuerbare Energieversorgung in Zukunft den hohen Energieverbrauch nicht decken kann. Daher ist Energieeffizienz auch großes Thema in der EU und wird auch reguliert.
Die EU-Energieeffizienzrichtlinie aus dem Jahr 2012 ist laut Thomas Hruschka sehr hilfreich, aber es ist immer eine Frage der Umsetzung! In den letzten Jahren haben Unternehmen viel Energie darin investiert, Umweltmanagementsysteme und Strukturen für Datensammlung aufzubauen, so “dass nichts mehr überbleibt, um Sachen auf den Boden zu bringen”. Es gäbe einen Unterschied, ob Unternehmen nach einem Schema berichten oder für sich selbst erkennen, dass sie aus Umstellungen einen Vorteil ziehen und diese Umstellungen auch umsetzen. Auf allen Ebenen im Berichtswesen würde im Namen von Transparenz und Vergleichbarkeit in Bürokratie investiert, wobei strenge EU-Vorgaben nicht helfen. Zum Beispiel gibt es bei Ökobusiness seit 1998 eine begleitende Evaluation in einem unbürokratischen Rahmen.
“Die Wirtschaft ist wie sie ist. Sie will Geld verdienen”. Und das ist ok. Man muss Unternehmen nur ihren Vorteil zeigen, denn es gibt einen Unterschied zwischen etwas tun, weil man es machen muss, und wenn man erkennt, dass es einem was bringt. Der Vorteil ist die Senkung der Betriebskosten, und manchmal kann man auch mit Enkerlgeneration argumentieren, um Betroffenheit zu erzeugen.
In Wien hat es wenig Einfluss, wenn ein neuer EU-Gesetzestext rauskommt, jedoch ist die Energieeffizienzrichtlinie am präsentesten. Ökobusiness darf durch ihre Umsetzung zum Beispiel nun einige Betriebe nicht mehr mitfinanzieren, wenn diese schon gesetzlich verpflichtet sind, ein Energiemanagementsystem aufzubauen. Das Problem dabei sei, dass den Unternehmen ein Bild fehlt, wie viel Potential für Veränderung in ihren Prozessen steckt, statt nur zu sagen: “Wir optimieren ja eh”. “Es muss jemand die blöden Fragen stellen”, um Veränderung anzustoßen.
Bei Ökobusiness gibt es viele Unternehmen, die Maßnahmen aus ihrem eigenen Vorteil 5, 6,7 Jahre lang umsetzen und sie dadurch ihre Haltung so verändern, dass sie dann auch Sachen umsetzen, die sich nicht rechnen würden. Das Programm zeichnet Betriebe aus, die einen Weg gegangen sind, der groß genug war. Daher bekommen Ökotriebe kaum eine Auszeichnung, was nur auf den ersten Blick paradox klingt.
Wir zeichnen in Ökobusiness Bewegung aus.
Thomas Hruschka
Thomas Hruschka
(c) Thomas HruschkaRoman David-Freihsl
(c) David
Wie kommt eine EU-Richtlinie aus Brüssel nach Wien?
EU-Richtlinien müssen durch die einzelnen Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Das funktioniert so, dass die Richtlinie Ziele vorgibt, die durch Gesetze oder Verordnungen in Österreich innerhalb einer Frist national zu Recht werden müssen. Wie das nun genau abläuft: die Bundesministerien und die 9 Bundesländer prüfen gleichzeitig, ob sie glauben, in ihrem Zuständigkeitsbereich durch die neue Richtlinie etwas umsetzen zu müssen und erlassen wenn gebraucht Gesetze. Meist sind die Zuständigkeiten schwierig abzugrenzen und man sagt, dass die EU „bundesstaatenblind“ ist 😉 das Problem gab es auch bei der Umsetzung der Energieeffizienzrichtlinie. Der Bund ist dazu verflichtet, bei Themen in der Gesetzgebungskompetenz der Länder in Verhandlungen & Abstimmungen in der EU nach den einheitlichen Stellungnahmen von ihnen zu handeln.
Das Bundesland Wien hat die Energieeffizienzrichtlinie durch ein Update des Elektrizitätswirtschaftsgesetzes und ganz besonders durch andere, nicht-gesetzliche Maßnahmen umgesetzt. Durch z.B. den ÖkobusinessPlan Wien, das Klimaschutzprogramm der Stadt ( KLiP) oder das Programm Umweltmanagement (PUMA) im Magistrat, wobei all diese Initiativen schon vor der Richtlinie existiert haben und dann der Europäischen Kommission als Umsetzungsmaßnahmen einfach gemeldet wurden. So eine Meldung von existierenden Maßnahmen passiert genauso bei schon existierenden Gesetzen oder Verordnungen.
Bei Energieeffizienz von Gebäuden gibt es eine eigene Richtlinie der EU aus 2010. Wien hat sie durch mehrere Sachen umgesetzt: eine Änderung der Bauordnung, der Ökodesign-Novelle wo das Thema Heizungs- und Klimaanlagen reinfällt sowie Updates der Wohnbauförderungsverordnungen.
Der Bund, also Österreich auf nationaler Ebene, hat die Richtlinie mit der Änderung von einigen Gesetzen umgesetzt, von Ökostromgesetz, Elektrizitätswirtschafts- und Organisationsgesetz, Gaswirtschaftsgesetz bis zum ganz zentralen Energieeffizienzpaket und anderen.
Städte und Gemeinden sind nur unmittelbar durch EU-Richtlinien betroffen, da ja Bund und Bundesländer die Verflichtungen aus der Richtlinie wahrnehmen müssen. Zum Verständnis: Städte sind Verwaltungseinheiten ohne „Gesetzgebungskompetenz“, sie können daher (nur) praktische Maßnahmen zur Erreichung der in der EU-Richtline festgelegten Ziele beitragen. Gleichzeitig müssen sie natürlich EU-Richtlinien wie auch die Wasserrahmenrichtlinie respektieren.
Plastik – Thema Nummer 1?
Beim Interview ist das Thema dann kurz auf Plastik geschwenkt. Die EU-Plastikverordnung basiert auf einem Check, welche 10 leicht ersetzbaren Einwegplastik-Produkte am meisten am Meer angeschwemmt werden. Für Länder mit Meereszugang natürlich ein größeres Problem als für andere. Bezugnehmend auf das Plastiksackerlverbot in Österreich ab 2020: “In Österreich ist die Plastiksackerl-Debatte nicht die wichtigste, die wir zu führen haben.“ Einweg-PET-Flaschen und andere Kunststoffströme haben laut Thomas Hruschka mehr Dringlichkeit und größeren Impact. Da europäische Politik auf Kompromissen basiert, schafft der EU-weite Fokus auf ein Thema keine Ausrede, sich auch in Österreich darauf zu konzentrieren und mindestens genauso wichtige Umweltthemen in den Hintergrund zu drängen.“Ich kann mich mit voller Wucht auf ein Randthema stürzen und sagen ich bin gut”.
Wien macht viel aus eigener Motivation, ohne Bund oder EU
„Keine Verordnung zwingt Wien dazu, ein Projekt wie Ökobusiness oder Ausbau von Öffis umzusetzen.“
Wien sei noch inhaltsgetrieben und setze Maßnahmen aus Überzeugung.
Ein paar Projekte in Wien, die nicht mit anderen abgestimmt werden: Wien bleibt cool, ein Paket zur Klimawandelanpassung in Wien mit neuen Parks oder grünen Fassaden. Dieses hat gleichzeitig mit dem Urban Heat Islands Projekt (=Hitzeinseln) in Zentraleuropa zu tun, bei dem die MA 22 dabei ist, und damit mit europäischer Vernetzung. Das Projekt Gutes Gewissen, guter Geschmack arbeitet zu Tierwohl und Umweltschutz in fleischerzeugenden Betrieben. Dabei geht es wie oft darum, „die richtigen Leute zusammenzubringen“, wie durch einen runden Tisch für Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Stakeholdern, um erfolgreich zu sein. Ganz konkret, entstand durch die Plattform ein Gespräch mit dem Obmann der Elternvereine und nachdem klar wurde, wie stark Elternvereine beim Essen in der Schule mitentscheiden, kam eine Erhöhung des Bio-Anteils zustande. „So etwas kann man mit einer Verodnung nicht abdecken„.
Das Beratungs- und Auszeichnungsangebot für Gastronomiebetriebe Gutes Gewissen, guter Geschmack als Teil des Projekts wurde mit Partnern aus der Gastronomie entwickelt und bietet ein niederschwelliges Angebot für einen Wandel Richtung biologisch, regional, Tierwohl und Lebensmittelqualität – und zwar für Betriebe, die das sonst fix nicht interessiert. Think Gaststätte im Prater, die in einem Jahr auf Bio umgestellt hat. Indirekt geht es hier auch um Klima. „Ein politischer Rahmen hilft, aber durch die Bioverordnung allein ändern sich Betriebe nicht.“
Ökobusiness Wien und Impact Hub Vienna unterstützen mit ihrem Startup-Programm, das zum Beispiel Shades Tours oder Endlos Fesch für Designermode zum Ausleihen begleitet hat, und früher noch den jetzigen Kooperationspartner students‘ innovation centre [sic!] angehende nachhaltige Start-ups.
Das Interview kann man vielleicht so zusammenfassen: Praxis und Dialog sind das, was wirklich Veränderung bewirkt. Der entsprechende, ambitionierte gesetzliche Rahmen ist die Vorbedingung.
Wofür gehen Sie am 26.Mai wählen?
Thomas Hruschka meint, die Fragen unserer Zeit sind Themen wie Klimawandelanpassung oder Ressourcennutzung. “Ich gehe dafür wählen, dass diese wichtigen Themen wirklich wichtige Themen werden.” Das bedeutet, die Prioritäten auf EU-Ebene endlich richtig zu setzen. Roman David Freihsl fügt noch hinzu: „Welche Politik hört eher darauf, was die Jugendlichen jeden Freitag demonstrieren?“ Das ist die Frage.
Und vielleicht sollten wir uns intensiv mit unserem Wording beschäftigen; damit, wie wir etwas kommunizieren. Denn, “Wir schützen nicht das Klima, wir schützen uns.” Das Wording kann bewirken, wieder intrinsische Motivation zu erzeugen, jetzt zu handeln.
Bristol war mal europäische Umwelthauptstadt im Rahmen von EUROCITIES. “Wir sperren immer nur den Ring”, so Hruschka. Der ehemalige Bürgermeister von Bristol sagte dazu etwas Augenöffnendes. “Wir schließen Straßen nicht, wir öffnen sie.” Und zwar sie öffnen sie für die Menschen.
Man wird nicht nur mit Worten verändern, aber auch.
Wir schließen die Straßen nicht, wir öffnen Sie.
ehemaliger Bürgermeister von Bristol, nach Thomas Hruschka
Ihr wisst noch nicht so recht wie ihr wählen wollt? Hier ein paar nützliche Wahlhelfer und Infos, die natürlich nur als Hilfestellung dienen sollen:
https://www.voteswiper.org/de
https://wahlkabine.at/
https://yourvotematters.eu/en/quiz/start sowie weitere Infos auf der Homepage
Die Studie Defenders, Delayers and Dinousaurs der NGO Climate Action Network (CAN) misst, wie gut oder eher nicht politische Gruppen im EU-Parlament sowie politische Parteien der Mitgliedstaaten es mit Klimaschutz haben. http://www.caneurope.org/docman/climate-energy-targets/3476-defenders-delayers-dinosaurs-ranking-of-eu-political-groups-and-national-parties-on-climate-change/file
Lest auch unseren anderen Artikel Die EU, der Umweltschutz und ich!
Photo im Titelbild: von Eberhard Grossgasteiger auf Pexels
Vielen Dank an Thomas Hruschka und Roman David-Freihsl für das Interview, an Martin Pospischill von der Magistratsabteilung 27 für Europäische Angelegenheiten für seine Hilfe und die Zusendung des unten angeführten Textes, an Michael Raffler von der Magistratsdirektion für Informationen und Vermittlung sowie an Matthias Ferner – ebenfalls von der Magistratsdirektion, Geschäftsbereich Recht – für die ausführliche Beantwortung meiner Fragen.
Quellen
Pospischill: Wien und die EU (in Holoubek/Madner/Pauer, Recht und Verwaltung in Wien 2014, 75ff.).
Magistratsabteilung 18 Wien, Österreichischer Städtebund: Städtepolitik in der Europäischen Union. Ein Handbuch (2012)
Zum Weiterlesen
EUROCITIES, climate and energy good practices
http://www.eurocities.eu/eurocities/Climate-and-energy-good-practices
Klimaschutzprogramm: https://www.wien.gv.at/umwelt/klimaschutz/pdf/klip-bericht-2018.pdf