Aktivismus im Klimajournalismus: „Ich möchte mir später einmal in die Augen schauen können“

Aktivismus im Klimajournalismus: „Ich möchte mir später einmal in die Augen schauen können“

Reportage

Die Klimakrise ändert die Spielregeln des Journalismus. Sie bedroht nicht nur, was sich auf der Bühne abspielt, sondern die Bühne – unsere Erde, wie wir sie kennen – selbst. Wie sollen Medienschaffende über das Klima berichten, wenn es um unser aller Zukunft geht und wie hat es sich mit dem Aktivismus? Das habe ich Menschen aus der Branche gefragt.

Vor zweieinhalb Jahren hat Anna mit einer Reportage über Fridays for Future ihre erste Klimageschichte produziert. Wen sie denn als Gegenstimme hätte, habe ihr Chef von ihr wissen wollen. „Die Wissenschaft ist eindeutig, es braucht keine Gegenstimme“, entgegnete Anna damals und ergänzt: „mittlerweile ist zumindest das in der Redaktion angekommen“. Anna ist ein Pseudonym für eine Journalistin mittleren Alters, die sich als Aktivistin sieht, das Wort aber anders deutet. „Aktivistin zu sein bedeutet für mich andere zu aktivieren und nicht zu blockieren“, teilt sie mir mit. Anna möchte anonym bleiben, denn wenn sie auf die Straße geht, widersetzt sie sich den Richtlinien ihres Arbeitgebers. Das könnte sie den Job kosten.

Vielen Journalist:innen geht es wie Anna. Sie haben in ihrer Ausbildung gelernt, sich keiner Sache gemein zu machen, auch nicht einer guten. Blinde Äquidistanz funktioniert allerdings ebensowenig. „Will man seine journalistische Integrität wahren, kann man in manchen Fällen nicht neutral sein“, schreibt etwa die Zeitungswissenschaftlerin Samira El Ouassil in ihrer Kolumne auf Übermedien. Das gilt besonders für die Klimakrise.

Was sagen die Medien zum Aktivismus im Klimajournalismus?

Manuel Grebenjak schreibt im STANDARD den Blog ‚Klima in Bewegung‘ und ist in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv. Bei meiner Recherche wies er mich darauf hin, „dass der Aktivismus-Vorwurf ganz klar den Zweck und die Wirkung hat, dass manche Journalist:innen infrage stellen, wie sie über das Klima berichten dürfen und sich tendenziell weniger trauen“.

Gezielte Desinformationskampagnen der Industrie sowie gewisser Thinktanks und Institute würden für noch größere Verwirrung sorgen, ergänzt der renommierte Medienmanager Wolfgang Blau gegenüber dem Radiosender Ö1. Deshalb müsse man Redaktionen dabei helfen, in ihren Statuten zu definieren, wann Berichterstattung als Aktivismus gilt.

Besagte Richtlinien – oft als ‚Code of Ethics‘ bezeichnet – gibt es im englischsprachigen Raum etwa bei der Financial Times, der New York Times, dem Wall Street Journal, bei NPR oder beim britischen Guardian. Ganz so klar geregelt ist das allerdings nicht, wie mir Blau mitteilt: „Was natürlich keines dieser Dokumente thematisiert ist der ‚Aktivismus‘, der darin bestehen kann, bestimmte Themen nicht oder nur minimal zu reportieren.“

Auch die Abgrenzung zum Aktivismus wird unterschiedlich geregelt. Während die Teilnahme an Demonstrationen beim ORF „Zweifel an der Unabhängigkeit“ aufkommen lassen könnte, akzeptiert der Guardian das „Recht des Journalisten auf ein Privatleben und das Recht auf Teilnahme an der bürgerlichen Gesellschaft“. Die Washington Post sieht darin hingehen die „Fähigkeit, fair zu berichten [beeinträchtigt]“ und verbietet die aktive Beteiligung an sozialen Aktionen. Wie sollen Journalist:innen nun also über die Klimakrise berichten und sollten sie überhaupt demonstrieren?

Was sagen die Journalist:innen selbst?

Um für mehr Klarheit zu sorgen, habe ich einen Fragebogen angelegt. Geantwortet haben zehn Journalist:innen aus der Branche. Die Umfrage ist weder repräsentativ, noch finden sich alle Antworten der Befragten im Text. Vielmehr soll sie die Fülle an Argumenten zeigen und die Angst vor dem Aktivismus-Vorwurf nehmen.

Aktivismus im Klimajournalismus

Sieben der zehn Befragten geben an, man könne gleichzeitig Aktivist:in sein und über die Klimakrise schreiben – häufigstes Argument: Privatleben. „Ich bin ja auch noch Privatfrau und Bürgerin“, schreibt etwa Judith Kösters vom Hessischen Rundfunk. Auch Verena Mischitz, Videojournalistin beim STANDARD, sieht kein Problem darin, sich privat für etwas einzusetzen.

Wichtig sei aber, „seine eigene Meinung im Hintergrund zu halten“, mahnt ORF.at-Redakteurin Tamara Sill und Sarah Kleiner, Chefin vom Dienst beim Original Magazin, ergänzt: „Journalismus muss weitestgehend neutral berichten“. Immerhin sind Objektivität, Ausgewogenheit, Meinungsvielfalt, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit die Grundwerte des Journalismus und sichern das Vertrauen zwischen Medienschaffenden und Rezipienten, stehen so selbst im ORF-Gesetz. Doch ihre Anwendung ist Auslegungssache und nicht unumstritten.

Ausgewogenheit, Meinungsvielfalt und der Objektivitäts-Schwindel

„Objektivität ist eine Illusion. Die meisten Journalist:innen haben eine Agenda, eine Haltung und Wertungen, die ihre Arbeit beeinflussen“, findet Robert Fishman, der unter anderem für den Deutschlandfunk, WDR und das Forum Magazin tätig ist. „Dann ist es ehrlicher, [seine Haltung] auch sichtbar zu machen.“

„In der Klimaberichterstattung ist es wichtig, ausgewogen und differenziert über ein Thema zu berichten, ohne dabei ‚false balance‘ zu betreiben“, bringt Verena Mischitz ein weiteres Problem auf den Punkt. Meinungsvielfalt endet dort, wo die Erde plötzlich zur Scheibe wird oder Zweifel an der Klimakrise gestreut werden. Dennoch werden immer wieder Klimawandelskeptiker oder Verharmloser ins Studio eingeladen – meist, um die Diskussion anzuheizen. Zum Aktivismus wird es für Mischitz erst dann, „wenn es mehrere Optionen gibt und man sich bewusst auf eine Seite stellt.“

Wann wird Klimajournalismus zum Aktivismus?

Für Robert Fishman beginnt Aktivismus dort, wo man „kritische Fragen und Einwände nicht mehr zulässt“ und wenn man „für die ‚gute Sache‘ Falschmeldungen verbreitet“. Wichtig sei auch, bei der Recherche kontroverser Themen die Gegenseite zu hören.

Für Judith Kösters ist die Schwelle dann überschritten, wenn man fast alle Sätze mit „Wir müssen…“ beginnt. Politisch motivierter Journalismus sei ein weiteres No-Go, findet die freie Journalistin Jule Zentek, die den Instagram-Kanal ‚Klima.neutral‘ des WDR betreibt. Klare Forderungen und Handlungsanweisungen können ebenfalls problematisch sein, meint Sarah Kleiner und ergänzt: „Für mich hat Aktivismus definitiv mit realen Aktionen zu tun, mit Demos, mit zivilem Ungehorsam. Vom Schreibtisch aus alleine kann man meiner Meinung nach kein Aktivist sein.“ Für Tamara Sill ist es dann Aktivismus, „wenn man den Bereich der Fakten verlässt und (ungeprüft) Ideologien präsentiert“.

„Die Klimakrise ist eines, wenn nicht sogar das wichtigste Thema unserer Zeit.“

Tamara Sill

Nina Ameseder berichtet für die Online-Redaktion der Oberösterreichischen Nachrichten über tagesaktuelle Themen und ist für Klimareporter.in als Podcasterin tätig. Als Privatperson ist sie Aktivistin, doch auch als Journalistin sieht sie es als ihre Aufgabe, über die Klimakrise aufzuklären. „Aktivismus ist es dann, wenn ich aktiv Menschen dazu auffordere, sich für die Sache einzusetzen. Journalist:innen können aber durchaus aktivistisch sein, wenn die Grenzen offen geklärt werden“, argumentiert Ameseder.

Deutliche Worte findet auch Katharina Kropshofer, freie Wissenschaftsjournalistin unter anderem für den STANDARD, DATUM und für Ö1. Die Klimakrise sei keine Haltungsfrage, sondern eine Frage des Überlebens. „Viel in der Berichterstattung wird als Aktivismus deklariert, obwohl es sich ‚lediglich‘ um eine faktengetreue Wiedergabe handelt. Da die Dringlichkeit noch nicht erkannt wurde, die Wissenschaft aber klar ist, sind außergewöhnliche Maßnahmen notwendig.“

Lösungsorientierter Klimajournalismus und ein Appell an die junge Journalist:innen-Generation

Die Klimaberichterstattung soll „auf die Dringlichkeit hinweisen, die Wahrheit ungeschont kommunizieren, Korruption und Täuschungsmanöver aufdecken und die Konversation antreiben“, führt Kropshofer weiter aus und schlägt in dieselbe Kerbe wie die anderen Befragten: aufklären, erklären, Wissenschaftstransfer, Meinungsbildung ermöglichen, verschiedene Positionen darstellen, Bewusstsein schaffen, die Dringlichkeit betonen und vor allem eines: Lösungen aufzeigen – das sind nur einige der Aufgaben der Klimaberichterstattung.

Was kann man also der jungen Journalist:innen-Generation auf ihren Weg mitgeben? So einiges. Es lohnt sich ein Blick in die Slideshow. Besonders treffend sind die Worte von Tamara Sill: „Aktivismus soll einen nicht zurückhalten, journalistisch tätig zu sein.“ Beide Seiten beschäftigen sich mit denselben Themen. Überschneidungen sind unvermeidbar und die Grenzen fließend. Gerade deswegen braucht es für Kira Taylor aber eine professionelle Haltung, „damit [man] die Proteste in einem größeren Kontext betrachten kann“. „Für mich ist es wichtig, ein gutes Verhältnis zu den Aktivisten zu haben. Klimaaktivisten [sind] eine wichtige Quelle für Recherchen und Meinungen, aber auch Teil der breiteren Gruppe, die benötigt wird, um diese Themen zu kommentieren. Wenn ein junger Journalist zu einem Klimaprotest gehen möchte, ist es vielleicht besser, als Journalist zu gehen und über die Ereignisse zu berichten“, rät die bei EURACTIV.com tätige Journalistin.

Was noch zu sagen bleibt

Selbst aus der Pandemie lassen sich viele Lehren ziehen. „Wenn in der Corona-Krise Journalist:innen über den richtigen Umgang mit der Krise berichten und dafür mit Expert:innen gesprochen und sich auf medizinische Fakten berufen haben, hat auch niemand gesagt: Das ist jetzt aber aktivistisch. Das Thema Klimakrise ist emotional und auch durch Lobbyismus aufgeladen, sodass dieser Vorwurf des Aktivismus immer wieder entsteht. Das muss sich ändern“, fordert Jule Zentek.

Zudem gehe die Klimakrise jeden etwas an, erinnert Florian Koch: „Auch, wenn ich mich selbst nicht als Aktivist sehe, denke ich, dass sich Journalist:innen bei diesem Thema nicht einfach an den Rand stellen können, um nur zu beschreiben und zu beobachten. Alle werden gebraucht.“ Um es mit den Worten der hitzigen wie brillanten Newsletter-Autorin Emily Atkin zu sagen: „Jeder sollte Klimareporter:in sein. Und wenn Sie jetzt noch nicht Klimareporter:in sind, werden Sie es bald sein.“

Anna wird jedenfalls weiterhin auf die Straße gehen. „Ich sehe keine Alternative. Ich möchte mir später einmal in die Augen schauen können“, erklärt sie ihre Motivation. Sie versteht nicht, warum Klimaschutz nicht allen Parteien ein Anliegen ist. „Immerhin geht es ja um das Überleben unserer Spezies.“

Hund mit Streikschild. Passen Klimajournalismus und Aktivismus zusammen?
© Jakob Arendt

Titelbild aus eigener Quelle.

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