Kontroverse Glyphosat: Die Folgen von weiteren 10 Jahren Zulassung

Kontroverse Glyphosat: Die Folgen von weiteren 10 Jahren Zulassung

Glyphosat ist das weltweit meistverkaufte Beikraut-Vernichtungsmittel*, aber auch eines der umstrittensten. Die Zulassung des Wirkstoffes wäre am 15. Dezember ausgelaufen, nun verlängert die EU-Kommission sie um zehn weitere Jahre. Was bedeutet das für Mensch und Umwelt und warum ist Glyphosat so ein Streit-Thema?

Glyphosat ist der Hauptbestandteil vieler Pestizide, also ein Mittel, um unerwünschte Pflanzen zu vernichten. Der von der Firma Monsanto auf den Markt gebrachte Wirkstoff ist das weltweit am meisten verkaufte Pestizid und vielleicht auch das umstrittenste. Vor allem die Frage, ob der Stoff krebserregend ist oder nicht, sorgt für Diskussionen. Eingesetzt wird das Mittel vor allem in der Landwirtschaft.

Im Hinblick auf den 15. Dezember hat die EU-Kommission vor ein paar Monaten eine Nutzungsverlängerung für weitere 10 Jahre vorgeschlagen – aber unter bestimmten Umständen. Beispielsweise sollen EU-Mitgliedstaaten die maximale Verwendungs-Menge des Mittels selbst festlegen dürfen. Oder Landwirt*innen würden dazu verpflichtet werden, einen bestimmten Abstand zu den Wegen neben ihren Feldern einzuhalten, wenn sie das Mittel versprühen. Außerdem müssen Maßnahmen zum Schutz von umliegenden Pflanzen getroffen werden.Wie schon bei der Abstimmung mit den 27 EU-Mitgliedstaaten im Oktober konnte auch im EU-Berufungsausschuss Mitte November keine qualifizierte Mehrheit für eine Verlängerung erreicht werden. Deshalb hat die EU-Kommission nun im Alleingang beschlossen, dass Glyphosat in der EU für weitere 10 Jahre verwendet werden darf.

Österreich war schon im Vorfeld gegen eine Verlängerung. Grund dafür ist eine bindende parlamentarische Stellungnahme aus dem Jahr 2017. Diese wurde von den Grünen in den EU-Unterschuss eingebracht und beschlossen. Schon in der Vergangenheit wollte Österreich ein nationales Glyphosat-Totalverbot durchsetzen. Laut einer Prüfung durch die EU-Kommission sei das aber rechtlich nicht möglich, da keine spezifisch österreichischen Probleme festgestellt werden konnten, die das Gesetz rechtfertigen würden. Dennoch verringerte Österreich in den letzten Jahren die Verwendung von Glyphosat nach und nach. In Wien ist der Einsatz auf den Flächen, die der Stadt gehören, bereits vollständig eingestellt. 2021 wurde ein Teilverbot im Nationalrat beschlossen: an sensiblen Orten wie Spielplätzen, Parks und Gesundheitseinrichtungen darf Glyphosat nicht eingesetzt werden. Auch die Verwendung im privaten Bereich ist verboten.

Warum ist Glyphosat so umstritten?

Die Meinungen zu Glyphosat gehen stark auseinander. Neben den Auswirkungen auf die Biodiversität und auf Ökosysteme werden vor allem die gesundheitlichen Konsequenzen für den Menschen laufend diskutiert. Laut dem Chemiekonzern Bayer, zu dem Monsanto gehört, ist das Mittel unbedenklich. Der Konzern hat zwar seit 2000 nicht mehr das alleinige Patent auf Glyphosat, gehört aber zu jenen Unternehmen, die Pestizide mit Glyphosat am meisten vertreiben. 

Bayer beruft sich auf eine Langzeitstudie mit 50.000 Teilnehmenden sowie auf die Einschätzungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA und der Europäischen Chemikalienagentur ECHA. Bei der umfassenden Risikobewertung durch diese EU-Behörden und dem anschließenden, groß angelegten Peer-Review-Prozess von 2.400 Studien wurden keine kritischen Problembereiche festgestellt. Anzumerken ist allerdings, dass ein Problem nur dann als kritisch definiert wurde, wenn alle Verwendungen betroffen sind. So könnten beispielsweise keine Probleme bei der Verwendung vor der Aussaat auftreten, nach der Ernte aber schon – laut Definition handelt es sich dennoch um kein „kritisches Problem“. 

Einige Fragen konnten außerdem nicht vollständig beantwortet werden. Aufgrund von fehlenden Daten unter anderem der Punkt, wie hoch das ernährungsbedingte Risiko für Verbraucher*innen ist. Auch die Problematik, welchem Risiko Wasserpflanzen ausgesetzt sind, konnte wegen zu wenigen Daten nicht erforscht werden.

Weiters konnte nicht festgestellt werden, dass Glyphosat krebserregend sei oder Mutationen hervorrufe. Dem widersprechen zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, Bürgerinitiativen und auch die Weltgesundheitsorganisation WHO: im März 2015 stufte ihre Unterorganisation, die Internationale Agentur für Krebsforschung IARC, Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. Laut dem Pestizid-Atlas der Heinrich Böll Stiftung sind Stand 2022 außerdem 30.000 Klagen von Menschen offen, die nach Kontakt mit dem Beikrautvernichter angeblich an Krebs erkrankt sind. Sie verklagen den Hersteller Bayer auf Schadensersatz. Erst Ende Oktober erschien eine neue Studie, laut der Herbizide auf Glyphosat-Basis Leukämie bei jungen Ratten verursachen. 

Der Einsatz von Glyphosat

Trotz der vielen Bedenken, ist Glyphosat derzeit nicht aus bestimmten Bereichen der Landwirtschaft wegzudenken. Im Grünland und im Gemüsebau wird Glyphosat zwar selten eingesetzt. Im herkömmlichen, also nicht-biologischen Ackerbau hingegen, funktioniert zurzeit kaum etwas ohne das Mittel: Außerhalb der EU werden auf den Feldern häufig Pflanzen angebaut, die zuvor so gentechnisch verändert wurden, dass sie gegen Glyphosat unempfindlich sind. Sprüht man in der Folge Glyphosat darauf, sterben alle unerwünschten Pflanzen daneben ab.  

In der EU ist nur eine einzige Sorte gentechnisch veränderter Mais für den Anbau zugelassen. Allerdings wurde es den Mitgliedstaaten überlassen, ob sie den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen einschränken wollen. Österreich hat diese Möglichkeit wahrgenommen und den Anbau der Sorte verboten. 

Hierzulande wird Glyphosat hauptsächlich genutzt, um Schienen von Bewuchs zu befreien oder Felder vor der nächsten Aussaat zu „säubern“. Denn: In Österreich werden keine gentechnisch veränderten Organismen angebaut, der Import ist allerdings erlaubt. Meistens handelt es sich dabei um Futtermittel für Tiere. Es gibt zudem eine Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel, wenn diese gentechnisch veränderte Organismen enthalten. Damit sollen vor allem Verbraucher*innen geschützt und informiert ihre Konsumentscheidungen treffen können.

Eine Landwirtschaft ohne Glyphosat

“Würde in Zukunft der Einsatz verboten werden, so müsste man trotzdem selektive Herbizide einsetzen,” erklärt Siegrid Steinkellner, Professorin am Institut für Pflanzenschutz an der Universität für Bodenkultur Wien. Unter selektiven Herbiziden versteht man Mittel, die nur bestimmte Pflanzen vernichten. Zusätzlich müsste man mehrmals den Boden intensiv mit mechanischen Geräten bearbeiten. Zum Beispiel in erosionsgefährdeten Gebieten. Das sind Gegenden, wo Abtragungen des Bodens aufgrund von Einflüssen wie Wind oder Wasser vorkommen. Dort habe der Glyphosateinsatz einen Vorteil: Man kann pfluglos anbauen und direkt säen. Ein Vorteil ist das deshalb, weil dann keine schweren Maschinen den Boden in den ohnehin empfindlichen Gebieten weiter belasten. Pflugloser Anbau sorgt außerdem für eine bessere Bodenstruktur, weil die Vielfalt an Bodenlebewesen weniger gefährdet wird. “Erosionsschutz, die günstige Wirkung auf den Wasserhaushalt, weniger Treibstoffverbrauch und geringerer CO2-Ausstoß, wären durch das Verbot in Gefahr“, so Steinkellner.

Gegen einige Krankheiten und Schädlinge werden Bio-Pestizide eingesetzt. “Darunter sind Produkte, die gut wirken und kaum Nebenwirkungen zeigen, aber auch Produkte, die zwar als „bio“ eingestuft sind, aber enorme Nebenwirkungen, etwa auf Nützlinge wie Regenwürmer haben”, meint Steinkellner. Anzumerken sei also, dass nur weil “bio” draufsteht, die Produkte nicht zwangsläufig ökologisch verträglicher sind. Für die biologische Landwirtschaft gibt es derzeit zudem keine eigenen Bio-Herbizide. Ein Glyphosat-Verzicht bedeutet neue Herausforderungen, denn andere Herbizide bringen andere Folgen und somit neue Hürden mit sich. 

Landwirtschaft neu gedacht

Zurzeit leben etwa acht Milliarden Menschen auf der Erde, laut Prognosen sollen es 2060 über 10 Milliarden sein. Die Ernährung so vieler Menschen zu gewährleisten, ist eine der zentralen Herausforderungen in Zeiten der Klimakrise. Zurzeit wird Landwirtschaft hauptsächlich intensiv betrieben. Das bedeutet, dass auf möglichst kleiner Fläche möglichst viel Ertrag erwirtschaftet werden soll. Das Problem dabei: Intensive Landwirtschaft laugt den Boden aus. Pestizide wie Glyphosat schaden Nützlingen und die Erholungsphasen des Bodens sind zu kurz. 

2021 entsprachen die landwirtschaftlich genutzten Flächen weltweit etwa einem Drittel der gesamten Landfläche der Erde. Eine Ausbreitung der intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen belastet den Wasserhaushalt, sorgt für Lebensraumverlust und trägt weiter zur Biodiversitätskrise bei. Zudem werden Dürren und andere Extremwetterereignisse aufgrund der Klimakrise immer häufiger, Ernteausfälle sind die Folge. 

Marktgärtnerei: In gartenähnlichen Strukturen wird Gemüse für die lokale Bevölkerung angebaut.

Aber es gibt auch gute Nachrichten: Landwirtschaft wird vielerorts neu gedacht. In Österreich entstehen beispielsweise sogenannte Marktgärtnereien. Dort wird in gartenähnlichen Strukturen Gemüse für die lokale Bevölkerung angebaut. Ein gesunder Boden trotz hoher Produktivität steht im Fokus. Permakultur setzt sich zum Ziel, Landwirtschaft nach dem Vorbild natürlicher Ökosysteme zu gestalten. Entwickelt wurde das Prinzip der Permakultur in den 1970er-Jahren in Australien, als Inspiration dienten die Praktiken von Naturvölkern und alte Kulturtechniken. 

In der sogenannten Agroforstwirtschaft werden Flächen für Ackerbau oder Tierhaltung genutzt, auf denen auch Bäume und Sträucher stehen. Dadurch entsteht ein Lebensraum, der vielen Tieren gleichzeitig dient – die Biodiversität wird gestärkt. Auch auf den Boden und das Klima haben Agroforstsysteme positive Auswirkungen. All diese Alternativen zur herkömmlichen Landwirtschaft kommen ohne chemische Pestizide wie Glyphosat aus. 

Wie geht es weiter?

Als Teil des Green Deals soll der Pestizideinsatz in der EU bis 2030 um die Hälfte verringert werden. Ziel ist es auch, pestizidfreie Zonen rund um Kindergärten, Schulen und Parks sicherzustellen. Wichtig ist, dass die passenden politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um den Wandel hin zu einer kleinstrukturierten und nachhaltigen Landwirtschaft zu ermöglichen. Die Unterstützung von Kleinbäuer*innen im In- und Ausland sollte Priorität haben.

*Was bedeutet Beikraut?
Immer öfter wird von Beikräutern anstatt von Unkräutern gesprochen, da das Wort „Unkraut“ negativ behaftet ist. „Beikraut“ ist neutraler – schließlich sind viele Pflanzen, die als Unkraut betitelt werden, nicht schlecht oder unnütz, nur wachsen sie an für uns Menschen unerwünschten Orten.