Klimaklagen: Zum Scheitern verurteilt?

Klimaklagen: Zum Scheitern verurteilt?

Von der niederländischen Tiefebene bis zum Regenwald Kolumbiens und auch in Österreich wird mehr Klimaschutz eingeklagt. Diese Klimaklagen haben eines gemeinsam: Sie wollen zeigen, dass Staaten ihre Bevölkerung vor klimabedingten Gefahren schützen müssen. In Österreich gibt es bis dato noch keine erfolgreiche Klimaklage. Doch wie genau funktionieren Klimaklagen, warum scheitern sie in Österreich und was macht Klimaklagen in anderen Ländern erfolgreich?

Ein Beitrag von Leonie Machhammer, Clemens Schreiber und Theresa-Marie Stütz

Mex M. hat Multiple Sklerose (MS). Damit ist er einer von 11.000 Menschen in Österreich, die an dieser Krankheit leiden, die Gehirn und Rückenmark angreift. Ihre Symptome sind vielfältig. Sie reichen von Seh- und Gleichgewichtsstörungen bis zu Lähmungserscheinungen. Bei Mex M. treten die Lähmungserscheinungen hitzebedingt auf. Die Klimakrise verschlechtert seine Lebensqualität, denn Außentemperaturen von mehr als 25 °C zwingen ihn in den Rollstuhl.

Angesichts der Klimakrise werden solche Temperaturen immer häufiger werden. Österreich hat sich wie fast alle Staaten dazu verpflichtet, im Rahmen des Pariser Abkommens, seinen Teil dazu beizutragen, dass die Erderhitzung auf möglichst 1,5 Grad begrenzt wird. Wie die meisten Staaten verringert Österreich seine Emissionen aber kaum. Das gefährdet die Gesundheit vieler. Mex M. ist einer von ihnen, dem die direkte Betroffenheit krankheitsbedingt leicht nachzuweisen ist. Mit diesem Argument traten Rechtsanwältin Michaela Krömer und Mex M. vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Im August 2021 berichtete klimareporter.in darüber. 

Aber was ist eine Klimaklage eigentlich? Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen definiert diese allgemein als eine Rechtsstreitigkeit, in der die Klimakrise im Fokus steht. Weltweit wurden mittlerweile mehr als 2.300 Klimaklagen eingereicht – zwei davon von österreichischen Kläger*innen.

Europäische Klimaklage – Wir bringen Österreich vor Gericht!

Ein großes Problem des österreichischen Rechtssystems sei, dass es an einer wirksamen Beschwerdemöglichkeit fehle, kritisiert Rechtsanwältin Krömer im Gespräch mit klimareporter.in. Das ist auch Thema der Klage mit Mex M., da das Recht auf Beschwerde eigentlich durch die Verfassung garantiert wird.

Genau daran scheiterte auch eine 2019 von Michaela Krömer eingebrachte Klimaklage – die erste Klimaklage Österreichs. Sie richtete sich in erster Linie gegen Steuerbefreiungen der Flugindustrie. Diese wird in der EU geringer als der klimafreundlichere Schienenverkehr besteuert. Der österreichische Verfassungsgerichtshof wies den eingereichten Individualantrag auf Normenkontrolle aber zurück. Judith Fitz, Universitätsassistentin am Institut für Rechtswissenschaften der BOKU, erklärt die Entscheidung des Gerichts: „Man muss eine unmittelbare Betroffenheit vorweisen, damit man überhaupt einen Antrag stellen kann.“ Das Gericht begründete, dass den Kläger*innen die unmittelbare Betroffenheit fehle. Deshalb würde es der Beschwerde inhaltlich nicht nachgehen. 

Klimaklagen an anderen Kriterien messen 

Österreichs erste Klimaklage ist also auf nationaler Ebene gescheitert. Wäre die Klage erfolgreich gewesen, hätte sie sich wohl positiv auf den Klimaschutz ausgewirkt. Klagen wie diese geben Ziele vor und können deren Einhaltung kontrollieren. Konkrete Maßnahmen werden allerdings nicht vom Gericht, sondern vom Parlament verabschiedet. Rechtsanwalt Florian Stangl bezeichnet angesichts dessen die Notwendigkeit von Klimaklagen als Armutszeugnis: „Es sollte keine Klimaklagen geben, weil man so ein Stück weit die Versäumnisse der Politik über ein Gericht nachholt.“ Juristin Judith Fitz sieht das ähnlich: “Es braucht nicht nur Vorgaben, sondern unbedingt Maßnahmen gegen die Klimakrise.” 

Was von der gescheiterten österreichischen Klimaklage bleibt, ist ein öffentlicher Diskurs über die Notwendigkeit klimaschützender Gesetze. Judith Fitz sagt: „Mit dieser Klimaklage wurde der Finger in die Wunde gelegt.“ Das Hauptargument der Klage, dass die Flugindustrie gegenüber dem Bahnverkehr von unfairen Steuerbefreiungen profitiert, fand zuletzt auch bei Gesetzgeber*innen Gehör. Während Kerosin steuerfrei ist, war die österreichische Bahnstromsteuer EU-weit lange Zeit am höchsten. Doch die Klimaklage erzeugte politischen Druck. 2020 wurde grüner Ökostrom für die Bahn steuerbefreit und sonstiger Bahnstrom steuerlich entlastet. 

Historisches Urteil in Holland 

Dass Klimaklagen aber auch erfolgreich sein können, zeigt die niederländische Umweltstiftung Urgenda. Diese argumentierte 2013 in einer Klage, dass der niederländische Staat zu viele Treibhausgase ausstoße und deswegen seinen Verpflichtungen zur Eindämmung des Klimawandels nicht nachkomme. Sechs Jahre später bekam Urgenda Recht. In letzter Instanz verpflichtete das Höchstgericht in Den Haag den niederländischen Staat, seine Emissionen bis Ende 2020 um mindesten 25 Prozent im Vergleich zu 1990 zu verringern. Bis 2050 sollen die Emissionen um mindestens 90 Prozent gesenkt werden.

Nach sechs Jahren Gerichtsverfahren freut sich Urgenda über die erfolgreiche Klimaklage. Im Bild jubeln mehr als 50 Menschen mit Schildern in niederländischer Sprache in die Kamera. Foto: © Urgenda / Chantal Bekker

Die Klimaklage in den Niederlanden schaffte es, klimapolitisches Handeln einzufordern. Das erste europäische Erfolgsbeispiel. Inhaltlich beriefen sich die Kläger*innen auf das Recht auf Leben und das Recht auf die Achtung des Privat- und Familienlebens. Rechte, die uns die Europäische Menschenrechtskonvention zuschreibt und auf die sich auch Mex M. in seiner Beschwerde beruft.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Österreich und den Niederlanden ist, dass das niederländische Rechtssystem es Umweltschützer*innen erleichtert, ihre Anliegen an die Gerichte heranzutragen. Juristin Judith Fitz erklärt: „In den Niederlanden sieht die Rechtsordnung spezielle Klagemöglichkeiten im Bereich des Gemeinwohls für gemeinnützige Stiftungen vor, worunter auch der Umweltschutz fällt.“ Hierzulande gibt es solche Klagemöglichkeiten nicht. Stiftungen und NGOs können Klimaklagen hauptsächlich finanziell und personell unterstützen. 

Der Blick zum großen Nachbarn 

Nicht nur die Niederlande haben in Europa mit ihrer erfolgreichen Klimaklage für Aufregung gesorgt. „Die größere Überraschung war der Erfolg der Klimaklage in Karlsruhe„, erzählt Anwältin Michaela Krömer. Dort klagten größtenteils Jugendliche und junge Erwachsene – darunter die Aktivistin Luisa Neubauer. Sie argumentierten, dass das deutsche Klimaschutzgesetz nicht mit den Pariser Klimazielen vereinbar ist, da die geplanten Reduktionen der Treibhausgase unzureichend seien. Die Klagenden sahen durch diese Versäumnisse ihre Menschenrechte verletzt.

Vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht demonstrieren Aktivist*innen von Fridays for Future Deutschland für mehr Klimaschutz. Sie verlangen, dass auf die Wissenschaft gehört wird. Die Klimaklage war hier durchaus erfolgreich.
Den Klimakläger*innen gelang am deutschen Bundesverfassungsgericht eine erfolgreiche Klimaklage. Das Urteil verpflichtet den großen Nachbarn dazu, bis 2045 klimaneutral werden. | Foto: Fridays for Future Deutschland

Für das Urteil war jedoch ein anderer Paragraf ausschlaggebend: Artikel 20a des deutschen Grundgesetzes verweist auf die Verantwortung, eine Lebensgrundlage für zukünftige Generationen bereitzustellen. Laut den Richter*innen wurde diese Verantwortung missachtet und damit zukünftige Generationen in ihrer Freiheit eingeschränkt. Das Urteil verpflichtete die Regierung zu einer Gesetzesüberarbeitung, die die Treibhausgasreduktion für den Zeitraum nach 2030 festlegen soll: Klimaneutralität bis spätestens 2045.

In Deutschland müssen Kläger*innen von der Verletzung eines Gesetzes betroffen sein, aber nicht wie in Österreich zusätzlich direkt vom Gesetz angesprochen werden. Das ist ein fundamentaler Unterschied. Das Klimaschutzgesetz beispielsweise richtet sich an den Staat, weil es um dessen Verpflichtungen geht. In Deutschland könnten also direkt Betroffene klagen, wohingegen das in Österreich schwierig ist.

Auf Anfrage bestätigt das österreichische Klimaschutzministerium, dass ein derzeitiges Rechtsschutzdefizit dem Klimaschutz schade: „Grundsätzlich trifft es zu, dass es in Österreich kein Grundrecht auf Klimaschutz gibt“, so die Stellungnahme. Weiters heißt es darin, „dass ein solches Grundrecht grundsätzlich eingeführt werden könnte“. Unbeantwortet bleibt die Frage, ob das noch ausstehende Klimaschutzgesetz vorsieht, Klimaschutz einklagbar zu machen. Jedoch bestätigt das Ministerium: „Zentral dabei ist es, ein Gesetz zu haben, das anders als das bisherige Klimaschutzgesetz institutionell besser verankert ist und auch eine höhere Verbindlichkeit hat.“ Ein Klimaschutzgesetz, das nicht die Bevölkerung adressiert, wird es aber kaum einfacher machen, Klimaklagen einzubringen. Rechtsanwalt Florian Stangl schlägt vor: „Man könnte im österreichischen Recht den Weg erleichtern oder die Schwellen niedriger halten, um Klagen leichter möglich zu machen.“

Die Zukunft der Klimaklagen 

Auch Klimaklagen verändern sich mit der Zeit. Judith Fitz prognostiziert, dass Klimaklagen sektorspezifischer werden. Einen Staat zu verklagen, weil er allgemein seine Klimaziele nicht einhält, wie das Urgenda in den Niederlanden getan hat, sei der Vergangenheit zuzuordnen. Zukünftige Klimaklagen könnten eher konkrete und wirkungsvolle Maßnahmen – etwa in der Landwirtschaft oder im Verkehrssektor – einfordern. Außerdem werden internationale Gerichte an Bedeutung gewinnen. Einer davon, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, wird auch bald entscheiden, ob der österreichische Staat durch seinen fehlenden Klimaschutz die Gesundheit von Mex M. gefährdet. Als klimareporter.in Judith Fitz fragt, wie dieser Fall ausgehen könnte, meint sie: „Ich glaube, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht darum herumkommen wird, auf den Widerspruch zwischen den völkerrechtlichen Verpflichtungen, die Staaten eingegangen sind, und dem, was sie zu deren Umsetzung schlussendlich tun, inhaltlich zu reagieren.“ Es bleibt also spannend, auch wenn es das eigentlich nicht sein sollte.


Bildquellen: Unsplash / Tingey Injury Law Firm (Titelbild) und Urgenda / Chantal Bekker (Bild 1)